WITTLICH. Der Fall sorgt weiterhin für Empörung in Wittlich und darüber hinaus: Ein US-Soldat ersticht auf deutschem Boden einen Deutschen, gesteht die Tat – und wird vor einem US-Militärgericht freigesprochen. Eine umfassende Recherche des Onlinemagazins Legal Tribune Online (LTO) bringt nun neue Vorwürfe ans Licht: Fehlende Übersetzungen, unvollständige Vernehmungsprotokolle und die fragwürdige Entscheidung der Staatsanwaltschaft Trier, den Fall an die US-Justiz abzugeben, könnten dabei maßgeblich zum Freispruch beigetragen haben.
Der tödliche Streit auf der Säubrennerkirmes
Am 18. August 2023 feierte der 28-jährige Michael Ovsjannikov mit Freunden auf der Säubrennerkirmes in Wittlich. Auf dem Heimweg geriet er in eine Auseinandersetzung mit zwei US-Soldaten der Air Base Spangdahlem. Einer von ihnen, der 27-jährige Grant H., zog ein Messer und stach mindestens zweimal zu. Ovsjannikov verblutete noch am Tatort.
Geständnis und dennoch Freispruch – was lief schief?
Die Polizei nahm Grant H. fest. In der ersten Vernehmung gestand er die Tat, erklärte, er sei „ausgeflippt“ und habe aus Angst um seinen Freund zugestochen. Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft Trier das deutsche Ermittlungsverfahren ein und übergab den Fall an die US-Militärjustiz – mit folgenschweren Konsequenzen.
Die Hauptverhandlung begann im September 2024 vor einem US-Militärgericht auf der Air Base Spangdahlem. Doch obwohl Grant H. in Deutschland ein Geständnis abgelegt hatte, wurde die Jury darüber nicht informiert. Grund dafür war ein Beschluss der Militärrichterin, die die Aussage als nicht verwertbar einstufte. Laut LTO bleibt die genaue Begründung des Gerichts unter Verschluss, doch es wurde argumentiert, dass die Vernehmung möglicherweise nicht unter rechtsstaatlichen Bedingungen erfolgt sei.
Die Verteidigung nutzte diese Entscheidung geschickt aus und präsentierte eine alternative Version der Tatnacht, in der nicht Grant H., sondern sein Freund für die tödlichen Messerstiche verantwortlich gemacht wurde. Am Ende sprach das US-Militärgericht den Angeklagten frei.
Neue Vorwürfe: Ermittlungsfehler begünstigten den Freispruch
Wie konnte es dazu kommen, dass das Geständnis eines mutmaßlichen Täters nicht verwertet wurde? Eine zentrale Rolle spielten offenbar Fehler der deutschen Ermittler. Laut der LTO-Recherche könnte ein folgenschwerer Übersetzungsfehler im Vernehmungsprotokoll dazu beigetragen haben, dass das Geständnis von Grant H. nicht zugelassen wurde.
Kritische Fehler der Ermittler:
- Der Tatvorwurf „Tötungsdelikt“ wurde nicht korrekt ins Englische übersetzt. Im Protokoll blieb stattdessen ein Platzhalter stehen.
- Die Vernehmung wurde nur unvollständig aufgezeichnet, insbesondere die Fragen an den Angeklagten auf Englisch fehlen.
- Es gibt keine vollständige Dokumentation der Übersetzung, sodass unklar bleibt, ob Grant H. tatsächlich wusste, dass er eines Tötungsdelikts beschuldigt wurde.
Diese Versäumnisse ermöglichten es der US-Verteidigung, die Vernehmung als fehlerhaft darzustellen und das Geständnis anzufechten.
Hätte Deutschland den Fall behalten können?
Das NATO-Truppenstatut erlaubt es Deutschland grundsätzlich, bei schweren Straftaten die Zuständigkeit für die Strafverfolgung zu übernehmen. Doch Rheinland-Pfalz hat eine Verwaltungsvorschrift, die eine solche Übernahme nahezu unmöglich macht.
Laut LTO hat das Bundesland Rheinland-Pfalz seit über 30 Jahren keinen einzigen Fall zurückgeholt, auch nicht bei schweren Delikten wie Mord oder Totschlag. Im Fall Wittlich erklärte die Staatsanwaltschaft Trier, sie habe „keine Zweifel“ daran gehabt, dass der Prozess in den USA nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt werde. Im Nachhinein erscheint diese Einschätzung fragwürdig.
Wut und Proteste in Wittlich – Rufe nach Konsequenzen
Nach dem umstrittenen Freispruch kam es in Wittlich zu Protesten vor der Air Base Spangdahlem. Viele Bürger fordern eine Überprüfung der Verfahrensregeln, um ähnliche Fälle in Zukunft zu verhindern.
Das rheinland-pfälzische Justizministerium hat angekündigt, mögliche Änderungen bei der Anwendung des NATO-Truppenstatuts zu prüfen. Unklar bleibt jedoch, ob es künftig tatsächlich zu einer anderen Entscheidung kommen würde.
Für die Angehörigen von Michael Ovsjannikov bleibt nur die bittere Erkenntnis, dass auf deutschem Boden ein tödliches Verbrechen geschah, das am Ende ungesühnt bleibt.