Nach Urlaubs-Affäre: Folgt Hofreiter auf Spiegel? Grüne wollen Nachfolge rasch regeln

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Vielleicht der künftige Familienminister? Anton Hofreiter von den Grünen. Foto: Stefan Puchner/dpa/Archivbild

BERLIN. Noch ist unklar, wer nach dem Rücktritt von Anne Spiegel künftig am Kabinettstisch Platz nimmt. Ein Mann stand schon lange nicht mehr an der Spitze des Familienministeriums.

Gut vier Monate nach Amtsantritt der Ampelkoalition müssen die Grünen für das Familienressort eine neue Ministerin oder einen neuen Minister benennen. Die Grünen-Spitze hatte am Montag angekündigt, nach dem Rücktritt von Ressortchefin Anne Spiegel zeitnah einen Vorschlag zur Nachfolge zu machen. In Husum in Schleswig-Holstein setzt der Grünen-Bundesvorstand am Dienstag seine Klausur mit dem Fokus Energie fort. Doch dürfte auch die Personalfrage bei den Beratungen eine Rolle spielen.

Spiegel hatte am Montag ihren Rücktritt vom Amt der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erklärt. «Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht», hatte die Grünen-Politikerin erklärt.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass sie als damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin zehn Tage nach der Flut zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrochen hatte. Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal.

Bei einem emotionalen Auftritt hatte Spiegel den Urlaub am Sonntagabend als Fehler bezeichnet und sich dafür entschuldigt. Sie begründete ihre damalige Entscheidung unter anderem mit dem Gesundheitszustand ihres Mannes, der 2019 einen Schlaganfall erlitten habe. Auch die Belastung ihrer vier Kinder in der Corona-Pandemie führte Spiegel an. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht.

Die Parteichefs der Ampelpartner hatten Spiegel Respekt für ihren Schritt gezollt. Für Scholz und seine Regierung war es der erste Ministerrücktritt. «Ich habe mit Bundesministerin Anne Spiegel gut und gerne zusammengearbeitet», sagte der Kanzler in Berlin am Montagabend. Es habe ihn «sehr berührt», was die 41-Jährige über ihre Lebenssituation gesagt habe. «Deshalb hat ihre Entscheidung höchsten Respekt verdient, meinen hat sie jedenfalls.»

Zum Amtsantritt als Familienministerin hatte sie im vergangenen Dezember den Kampf gegen Kinderarmut und die Einführung der sogenannten Kindergrundsicherung als vorrangige politische Ziele genannt. Erst vor Kurzem war Spiegel mit ihrer Familie nach Berlin umgezogen. Ein Bundestagsmandat hat sie nicht.

Im Gespräch für die Nachfolge Anne Spiegels ist laut einem Bericht der „Frankfurter Rundschau“ der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter. Hofreiter galt nach der Bundestagswahl als aussichtsreicher Kandidat für ein Ministeramt, z.B. für das Landwirtschaftsministerium, das aber mit seinem Parteifreund Cem Özdemir besetzt wurde, oder für das Verkehrsressort, das an den ehemaligen rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Volker Wissing von der FDP ging. Nach Spiegels Rücktritt könnte Hofreiter als Familienminister nachrücken.

Eine andere Variante bestünde laut „Frankfurter Rundschau“ darin, dass Özdemir ins Familienministerium wechselt und Hofreiter das Landwirtschaftsministerium übernimmt. Das Problem in beiden Fällen: Die Grünen haben sich selbst strikte Geschlechterparität auferlegt. Die Grünen besetzen im Kabinett Scholz eine ungerade Anzahl an Ministerien – im ganzen fünf. Bisher bestand die Ministerriege der Partei aus zwei Männern – Wirtschaftsminister Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Özdemir – und drei Frauen – Außenministerin Annalena Baerbrock, Umweltministerin Steffi Lemke und eben Familienministerin Anne Spiegel. Rückte Hofreiter nun nach, wären es drei Männer und nur zwei Frauen – ein Problem für eine Partei, die sich die Förderung von Frauen besonders auf die Fahnen geschrieben hat.

In den vergangenen Jahrzehnten war das Familienministerium von Frauen geführt worden. Letzter Mann an der Spitze war Heiner Geißler (CDU) von 1982 bis 1985. Ihm folgten Rita Süssmuth, Ursula Lehr, Hannelore Rönsch, Claudia Nolte, Christine Bergmann, Renate Schmidt, Ursula von der Leyen, Kristina Schröder, Manuela Schwesig, Katarina Barley, Franziska Giffey, Christine Lambrecht und zuletzt Anne Spiegel. Die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war von 1991 bis 1994 Frauen- und Jugendministerin, heute gehört dieser Teil zum Familienressort.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst regte an, über eine bessere Vereinbarkeit von Familie und politischen Ämtern zu sprechen. Er könne den Schritt von Spiegel nachvollziehen. «Aber wichtig ist, glaube ich, in dieser Diskussion, dass wir möglich machen, dass auch in Zukunft Menschen mit Kindern, Menschen mit Familie politische Spitzenämter haben», sagte der CDU-Politiker am Montagabend dem TV-Sender «Welt»-Fernsehen. «Das ist ein Spannungsfeld, man ist da oft hin- und hergerissen zwischen Familie und Amt», machte Wüst deutlich.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte der «Rheinischen Post» (Dienstag), es sollte alle nachdenklich machen, dass Spiegel ihre familiäre Situation «offensichtlich nicht einmal ihrer Grünen Partei mit den sonst so hohen Moralansprüchen erzählen» konnte. Der SPD-Linke Sebastian Roloff sagte dem «Handelsblatt» (Dienstag), er sehe nach dem Rücktritt Spiegels keinen Grund an der Handlungsfähigkeit der Ampelkoalition zu zweifeln. «Ich gehe von einer schnellen Nachbesetzung aus, wie von der Grünen-Spitze angekündigt, und bin mir sicher, dass die Bundesregierung immer handlungsfähig ist.» (dpa/Lokalo)

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