TRIER. Die Benediktinerabtei St. Matthias Trier hatte am gestrigen Karfreitag zu einer besonderen Meditation in Wort und Bild eingeladen. Zu den Passionsbildern des Künstlers Christoph Anders wurden zeitgenössische und biblische Texte mit Bezug zur Passion Christi vorgetragen, musikalisch umrahmt durch das Vokalensemble ConSonus sowie durch Orgelmusik, gespielt vom Organisten der Basilika, Gabriel Moll.
Von Alexander Scheidweiler
Das aus dem Biedermeier stammende Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“ erfreut sich bis in unsere postmodernen Tage einer großen Beliebtheit – und mit dem Wandel der Zeitläufte wuchs ihm nach und nach eine österliche Bedeutung zu, die sein Verfasser, der aus Thüringen stammende evangelische Pfarrer Johann Wilhelm Hey, nicht hätte erahnen können. Denn nicht nur kommt das Christuskind „alle Jahre wieder“, zu Weihnachten, „auf die Erde nieder“ – alle Jahre wieder, zu Karfreitag, kehrt auch die Debatte wieder, ob die Erinnerung an die Passion Christi im Rahmen eines stillen Feiertages begangen werden sollte. Vor wenigen Tagen erst veröffentlichte die Mainzer „Allgemeine Zeitung“ einen Artikel mit dem als Frage formulierten Titel „Ist das Tanzverbot an Karfreitag noch zeitgemäß?“, welche Frage wohl inzwischen so eine Art säkularer Running Gag der Osterzeit sein dürfte. Ein Tag, der dem Innehalten, dem Zu-sich-Kommen und der Reflexion über die letzten Dinge vorbehalten ist – das scheint der Gegenwart zumindest teilweise zu jenem Stein des Anstoßes geworden zu sein, als den der erste Petrusbrief den Glauben an Tod und Auferstehung Christi bezeichnet.
Dass für unsere Zeit noch immer große Sinnpotenziale in diesem Tag des Innehaltens, der österlichen Mini-Auszeit im Weltgetriebe, stecken, konnten die zahlreichen Besucher der gut gefüllten Matthias-Basilika in Trier am gestrigen Abend erleben. Die Benediktinerabtei St. Matthias hatte um 20.30 Uhr zu einer besonderen Meditation in Wort und Bild zur Einstimmung auf das Osterwochenende eingeladen. Musikalisch begleitet durch das mehrfach ausgezeichnete Schweizerische Vokalensemble ConSonus, das geistliche Lieder von Bach bis Arvo Pärt sang, sowie den Organisten der Basilika, Gabriel Moll, der auf der Schuke-Orgel Stücke aus der „Via Crucis“ von Franz Liszt spielte, wurde den Besuchern eine Kombination der Passionsbilder von Christoph Anders, die als Stelen im Park der Abtei zu finden sind, und zeitgenössischen sowie biblischen Texten mit Bezug zur Passion geboten.
Den Leitfaden bildeten dabei die Passionsbilder des 1938 in Schlesien geborenen und seit 1953 in Senheim an der Mosel lebenden Künstlers, die auf eine Leinwand im Chor projiziert wurden. Anders’ Passionsbilder stellen Gesichter und Hände in den Mittelpunkt, so dass sich das Motto der Meditation, „Be-greifen“, erklärt: Die Hände seien „das ausführende ‚Werkzeug‘, die Vollstrecker einer Idee“, so heißt es im Programm der Meditation. Darin liegt eine gewisse Ambivalenz, je nachdem, welche Idee durch die Hände vollstreckt wird: „Ihre Gesten zeigen ein Begreifen (Verstehen). Ein Hand-anlegen im guten wie im bösen Sinne. Die Gesichter verändern sich gemäß der Zeitfolge. Die Krone beginnt sich früh zu flechten“ – das Leiden Christi gelangt zur Darstellung, nimmt in den Bildern seinen Lauf. Durch die „endgültige Form“ der Krone aber erfährt der Prozess des Leidens seine hoffnungsfrohe, österliche Wendung: Am Ende gibt der aus der Dornenkrone „erwachsene Ölzweig Hinweis auf Hoffnung, auf Veränderung.“
Dass man in der Betrachtung dieses Prozesses die Passionsgeschichte nicht einfach in historischer Ferne belassen kann, dass es vielmehr darum gehen muss, die Passion und die Leiden der Gegenwart produktiv aufeinander zu beziehen, machte Abt Ignatius Maaß in seinen Bemerkungen zum ersten Bild deutlich, das Jesus mit gefesselten Händen, eingebettet zwischen zwei Blöcken, zwischen „verhärteten Strukturen“, zeigte: Die Meditation eröffne „eine Möglichkeit, die Passion unserer Tage in ein größeres Ganzes einzufügen“.
Ein weiteres Bild, das Kopf und Hände mit Stacheldraht gebunden zeigt, bezog der Abt auf „das Monster der Unmenschlichkeit“, das seit dem 24. Februar in Gestalt des Krieges in der Ukraine Europa zu zerreißen droht, so wie Kopf und Hände auf dem Passionsbild von Christoph Anders durch den Stacheldraht zerrissen werden. Der Abt erinnerte in diesem Kontext an die mutige Tat der russischen Journalistin Marina Ovsyannikova, die am 14.3. in der Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens ein Plakat hochhielt, das die Zuschauer darauf hinwies, dass sie in dieser Sendung belogen werden. Maaß wies darauf hin, dass die aus Odessa in der Ukraine stammende Ovsyannikova im Nachgang ihrer Protestaktion selbst darüber gesprochen hat, dass ihr Vater Ukrainer, ihre Mutter Russin ist – „und sie waren niemals Feinde.“
Während Moll gekonnt die Liszt’sche „Via Crucis“ auf der Orgel zu Gehör brachte und ConSonus insbesondere mit dem Brahms-Lied „In stiller Nacht, zur ersten Wacht“ nach dem Text des in Trier bestatteten Spee v. Langenfeld ein musikalisches Juwel zum Funkeln brachte, wurde auch an das Leid der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer erinnert, das angesichts des Ukraine-Krieges in Vergessenheit zu geraten droht. An neutestamentlichen Texten wurden die Heilung der kranken Frau aus dem fünften Kapitel des Markusevangeliums sowie das Versprechen der Auferweckung des Lazarus an Martha im elften Kapitel des Johannesevangeliums vorgelesen, biblische Texte der Hoffnung, gewissermaßen auch Ölzweige, die aus Dornen wachsen. Wirklich bewegend war der Vortrag des Gebets „In Tiefen, die kein Trost erreicht“ des Bonhoeffer-Freundes und Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus Justus Delbrück, der, nach dem 20. Juli von der Gestapo verhaftet, schließlich im Oktober 1945 im sowjetischen Speziallager Nr. 6 im brandenburgischen Jamlitz verstarb, gesungen von Br. Matthias Vogt. In dem Text, den Delbrück in der Zeit seiner Haft verfasste, heißt es u.a.:
„Wenn die Seele wie ein irres Licht / flackert zwischen Werden und Vergehen, / wenn es mir an Trost und Rat gebricht, / wollest du an meiner Seite stehen.“
Eine mächtige Bitte und Botschaft, verfasst von einem, der die Kerker zweier Totalitarismen erdulden musste, auch Botschaft der Hoffnung, dass aus den Dornen ein Ölzweig wachsen könnte und ein Beispiel für die Kraft des Gebetes: „Wir begreifen, dass wir Dir im Gebet alles überlassen, alles anvertrauen können“, so Abt Ignatius im abschließenden Gebet der Meditation.