
TRIER. Die Wernadskyj-Nationalbibliothek der Ukraine beherbergt über 15 Millionen Werke und zählt somit zu den 20 größten Bibliotheken der Welt. Sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg, als die Ukraine unabhängig wurde, eröffnet und am 24. Februar 2022 wegen des russischen Überfalles unbefristet geschlossen. Das wichtigste Wissenschafts- und Informationszentrum des Staates ist für Nutzer nicht mehr zugänglich und das reiche Kulturerbe in der Nationalbibliothek in höchstem Maße bedroht. Daher verzichten die Wissenschaftliche Bibliothek und das Stadtarchiv im März auf eine Vorstellung des „Objekts des Monats“ aus ihren Beständen und präsentieren stattdessen eine wertvolle Sammlung aus Kiew, deren Zukunft unsicher ist. Dies teilt die Stadt Trier heute mit.
Die Sammlung hat viele Schwerpunkte, darunter handschriftliche Originalüberlieferungen wie das Kiewer Missale, die älteste existierende kirchenslawische Handschrift. Diese Werke sind für die ukrainische Kultur von größter Bedeutung. Aber nicht diese Schätze wurden 2005 auf die Liste des Unesco-Weltdokumentenerbes aufgenommen, sondern eine Sammlung von Edison-Wachszylindern, auf denen jüdische Folkloremusik gespeichert ist. Das ist eines der wichtigsten Kulturgüter der jüdischen und ukrainischen Geschichte mit einem herausragenden ästhetischen, stilistischen und sprachlichen Wert. Dazu gehören viele Aufnahmen, die zwischen 1912 und 1947 in der heutigen Ukraine und in Weissrussland entstanden sind.
Um das Ausmaß der Gefährdung zu verstehen, sollte man sich die Worte von Kiews Oberrabbiner Jonathan Markovitch in Erinnerung rufen: „Wir haben Angst vor Antisemitismus, weil wir nicht wissen, was passieren wird.“ Die wertvollen Zylinder sind also nicht nur durch die militärischen Aktionen gefährdet, sondern auch durch autoritäre Tendenzen. Die Unesco-Kommission hat neben der Einhaltung des humanitären Völkerrechts gefordert, das Haager Übereinkommen zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten einzuhalten. Zudem hat der Deutsche Bibliotheksverband den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilt und zur Solidarität aufgerufen: „Wir stehen an der Seite unserer ukrainischen Kolleg*innen (…) Die Bibliotheken unterstützen Menschen dabei, Falschinformationen besser zu erkennen, was in diesen Zeiten wichtiger ist denn je.“