„Eine ganz eigene Theatersprache entwickeln“. Der Autor, Regisseur und Produzent Martin Mühleis im Gespräch über sein Gastspiel am Theater Trier

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Foto: Stefan Nimmesgern

Der Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Verleger Martin Mühleis hat mit vielen Großen der Filmbrache gearbeitet. Am 26.9. gestiert er zum dritten Mal mit seinem freien Ensemble am Theater Trier. Mit dem sagas.ensemble führt Mühleis seine literarische Collage „Drei Frauen aus Deutschland“ auf, in der es um die drei Schriftstellerinnen Bettina von Arnim, Else Lasker-Schüler und Erika Mann geht. Gespielt werden die drei Autorinnen von den bekannten Film- und Fernsehschauspielerinnen Ann-Kathrin Kramer, Barbara Auer und Gesine Cukrowski. Lokalo hat mit Martin Mühleis über das Trierer Gastspiel gesprochen.

Lokalo: Herr Mühleis, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview mit Lokalo.de nehmen. Am 26.9. gastieren Sie mit dem sagas.ensemble zum dritten Mal am Theater Trier, diesmal mit Ihrer literarischen Collage „Drei Frauen aus Deutschland“. Freuen Sie sich darauf, wieder in der Römerstadt aufzutreten?

Mühleis: Ich freue mich sehr. Zum Einen freuen wir freien Theaterleute uns nach den langen Monaten des Lockdowns, endlich wieder spielen zu können. Zum Anderen habe ich mit Trier eine private Verbindung. Während meines Studiums an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film hat meine damalige Freundin in Trier Modedesign studiert. Die Beziehung ging in die Brüche, die Freundin ist in Trier geblieben. Jedes Gastspiel nutzen wir für ein Wiedersehen. Bislang hatten wir dazu zweimal die Gelegenheit: Einmal, als wir mit meiner Bearbeitung von Albert Camus‘ „Der erste Mensch“ mit Joachim Król im Theater Trier waren. Zuletzt waren wir mit meiner Bearbeitung von Erich Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“ hier.

Lokalo: Im Zentrum der „Drei Frauen aus Deutschland“ stehen die Schriftstellerinnen Bettina von Arnim, Else Lasker-Schüler und Erika Mann. Warum haben Sie diese drei Autorinnen in den Mittelpunkt Ihres Werks gestellt?

Mühleis: Ich hatte die Idee, zweihundert Jahre deutsche Geschichte mal aus der Frauenperspektive zu erzählen. Dafür habe ich drei Schriftstellerinnen gesucht, deren Vitae sich einigermaßen chronologisch aufeinanderfolgend in diese Zeitschiene fügen. Bei diesen drei Damen ist das der Fall. Es hätten in der Frühphase des Projekts durchaus auch andere Künstlerinnen sein können. Aber wie das so ist: Wenn man sich einmal für eine Geschichte entschieden hat und sich in ihr die Erzählstränge gut fügen, sie Humor und Energie und eine kraftvolle Botschaft hat, dann ist es so, als gäbe es keine Alternativen. Das ist bei diesen drei Frauen der Fall. Wir sind fasziniert von ihnen und freuen uns immer wieder, einen Abend mit ihnen verbringen zu dürfen.

Lokalo: Im Falle aller drei Frauen gab es enge, persönliche Beziehungen unterschiedlicher Art zu berühmten männlichen Autoren: Bei Bettina von Arnim waren es Goethe und ihr Mann Achim, bei Else Lasker-Schüler Gottfried Benn und bei Erika Mann ihr Vater Thomas. Inwieweit kommt die daraus resultierende Spannung in „Drei Frauen aus Deutschland“ zum Tragen?

Mühleis: Mir war es wichtig, die Frauensicht im Fokus zu haben und nicht ihre Beziehungs-Verhältnisse. Dennoch spielen diese natürlich eine Rolle. Am stärksten bei Bettina von Arnim, die sich mit viel Witz und Engagement gegen die Männerwelt ihrer Zeit zu behaupten wusste.

Lokalo: Als Bettina von Arnim geboren wurde, regierten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation noch die Habsburger und man reiste mit der Pferdekutsche. Kurz nachdem Erika Mann verstarb, wurde Willy Brand Bundeskanzler und musste sich mit den Schrecken eines möglichen Atomkrieges beschäftigen. In der Ankündigung zu ihrem Stück ist davon die Rede, dass Geschichte zumeist von Männern geschrieben wird und Frauen häufig nur die Rolle von Randfiguren zugestanden wurde. In welcher Weise verschaffen Sie mit „Drei Frauen aus Deutschland“ der weiblichen Perspektive auf die Geschichte Gehör?

Mühleis: Alle drei waren Frauen des Wortes, sie haben geschrieben. Bettina von Arnim hat sich in ihren frühen Jahren vor allem im privaten Bereich Gehör verschafft, in vielen wunderbaren Briefen, in denen sie sich unter anderem auf sehr moderne Weise zu pädagogischen Fragen äußert. Else Lasker-Schüler war natürlich in erster Linie in ihren phantastischen Gedichten hörbar. Aber auch sie hat sich in vielen Briefen zu ihrer Situation und zur damaligen Situation in Deutschland und der Welt geäußert. Und Erika Mann war Autorin fürs Kabarett, Reiseschriftstellerin, Vortragsrednerin gegen Hitler und später Berichterstatterin aus einem geschlagenen Land. Unter anderem erhielt sie als einzige Frau Zutritt in die Zellen der inhaftierten Nazigrößen, um diese für den London Evening Standard zu interviewen. Gänsehautmomente.

Lokalo: Die Lebensgeschichte der Protagonistinnen ist, wie angedeutet, untrennbar auch mit den politischen Zuständen in Deutschland verbunden. Bettina von Arnim lebte in der Ära Metternich, Else Lasker-Schüler wurde unter Bismarck groß, Erika Manns formative Jahre fallen in die Zeit der Weimarer Republik. Was sagt uns die Geschichte der „Drei Frauen aus Deutschland“ über Deutschland?

Mühleis: Der Chauvinismus ist eine Plage. Nicht nur für die Frauen. Und er feiert leider regelmäßig eine Renaissance. Sich dagegen aufzulehnen ist eine Aufgabe – nicht nur für Frauen.

Sie verkörpern die „Drei Frauen aus Deutschland“: Die Schauspielerinnen Barbara Auer, Ann-Kathrin Cramer und Gesine Cukrowski. Foto: Sagas/Janine Guldener/Thorsten Wingenfelder/Mirjam Knickriem

Lokalo: Die drei Protagonistinnen werden in ihrer Produktion von drei aus Film und Fernsehen sehr bekannten Schauspielerinnen verkörpert: Ann-Kathrin Kramer spielt Bettina von Arnim, Barbara Auer verkörpert Else Lasker-Schüler und Gesine Cukrowski gibt Erika Mann. Sie haben im Laufe ihrer Karriere als Regisseur und Drehbuchautor mit vielen berühmten Persönlichkeiten der Filmbrache gearbeitet, von Joachim Król bis Walter Sittler, und dennoch: Diese drei großartigen Schauspielerinnen präsentieren zu können ist etwas besonderes. Was bedeutet diese Besetzung für die Aufführung?

Mühleis: Wir haben tatsächlich das Glück, in unserem Ensemble mit vielen außergewöhnlichen Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten zu dürfen. Dass sie darüber hinaus wegen ihrer Arbeit am Theater, aus Film und Fernsehen bekannt sind, ist für uns als freies Ensemble natürlich ein zusätzlicher Nutzen. Das macht Manches etwas einfacher. In erster Linie aber achten wir tatsächlich auf die Qualität der jeweils Schauspielenden, und darauf wie die Künstlerin zur Figur passt. Mit diesen Schauspielerinnen ist die Zusammenarbeit ein Vergnügen. Und nicht zuletzt die Vorstellungen selbst sind es. Da sitze ich im Publikum noch immer mit roten Ohren und lasse mich verzaubern.

Lokalo: Sie sind für innovative Formate bekannt, die verschiedene Kunstformen verbinden: Ihr Melodram „Ahab“ nach Herman Melville wurde von der Sächsischen Staatskapelle Dresden aufgeführt. Auf Grundlage des Japan-Romans „Seide“ schufen Sie eine von den Rezensenten hochgelobte Bühnenballade. Welche Art von Theatererlebnis erwartet das Trierer Publikum bei den „Drei Frauen aus Deutschland“?

Mühleis: Vor kurzem kam ein junger Schauspieler im Theater von Lübeck nach einer unserer Camus-Vorstellungen auf mich zu und fragte völlig aus dem Häuschen: Was ist das? Wie nennt ihr das, was ihr macht? Das hat mich gefreut. Ich wollte schon immer eine ganz eigene Theatersprache entwickeln, eine karge, auf die Sprache und die Literatur und die Geschichte fokussierte, und dennoch eine, die das Publikum „voll erwischt“. Wie den jungen Kollegen aus Lübeck. Unsere Stücke sind ohne äußere Knalleffekte Gefühlsachterbahnen, die Menschen im Publikum lachen und weinen und denken oft noch lange darüber nach. Ich tue mich oft selbst schwer, das zu benennen, was wir tun. Die „Drei Frauen“ habe ich in der Anfangszeit eine „literarische Revue“ genannt, bin davon aber abgekommen, weil man bei einer Revue Musik erwartet, die ich in diesem Fall ganz bewusst weggelassen habe. Eigentlich ist der Abend ein Gespräch zwischen drei Frauen – die sich in Wirklichkeit nie begegnet sind und dennoch wie beste Freundinnen daherkommen.

Lokalo: Ihr Trierer Gastspiel findet am Abend der Bundestagswahl statt. Warum sollte man Bettina von Arnim, Else Lasker-Schüler und Erika Mann den Vorzug geben vor Angela Merkel, Annalena Baerbock und Saskia Esken?

Mühleis: Wir haben in unserer Gesellschaft ja schon lange verschiedene Wirklichkeitsebenen. Verkürzt: Eine mediale und eine präsente. Ich ziehe die Präsenzvorstellung der medialen immer vor, nicht zuletzt, weil das, was ich in der persönlichen Begegnung verpasse, nie wieder in irgendeiner Mediathek nachschauen kann. Ich bin ein politischer Mensch, habe bereits gewählt und bin wie Viele sehr gespannt auf den Wahlabend. Das schaue ich mir Alles auch an – aber erst nach unserer Vorstellung.

Lokalo: Herr Mühleis, ich bedanke mich für das Interview!

Die Fragen stellte Alexander Scheidweiler.

Zur Kartenbestellung geht es hier: https://theater-trier.de/auffuhrung/drei-frauen-aus-deutschland/.

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