Fell: Stolpersteine erinnern an ermordete jüdische Familie

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Die fünf Stolpersteine erinnern in der Kirchstraße in Fell vor dem letzten frei gewählten Wohnort der Familie an ihr grausames Schicksal. Foto: Bistum Trier

FELL. Das kleine Einfamilienhaus an der Hauptstraße mitten im Ort Fell ist eher unscheinbar. Wand an Wand mit den anderen Häusern des alten Ortskerns, irgendwann mal renoviert, weiß, anthrazitfarbener Balkon. Ein Haus, wie es sie Tausendfach in deutschen Dörfern gibt, unauffällig, zum Dran-Vorbei-Laufen. An die Geschichte, die es erzählt, erinnert heute nichts mehr. Dabei ist sie eine zum Stolpern, zum Wachwerden, zum Weitererzählen. Weil es bald keine Menschen mehr gibt, die sie selbst erlebt haben und davon berichten können, klafft an diesem tristen Februarmorgen ein Loch im Bürgersteig in Fell. Ein paar Steine wurden herausgerissen. So wie Samuel und Sophie Meyer mit ihren Kindern Martha, Thekla und Leo, die hier vor über 80 Jahren aus ihrem Dorf, ihrem Leben gerissen wurden.

Seit 30 Jahren setzt Berliner Künstler Zeichen gegen das Vergessen

Dafür, dass sie und viele andere nicht vergessen werden, setzt sich seit über 30 Jahren der Künstler Gunter Demnig mit seinen „Stolpersteinen“ ein. Eine auf Steinen angebrachte Messingplatte mit Namen erinnert an das Schicksal der vertriebenen und ermordeten Opfer der Nationalsozialisten: Juden, Sinti und Roma und andere. Eingelassen ins Straßenpflaster stehen sie gegen das Vergessen, sagt Demnig. Vor über dreißig Jahren setzte er den ersten Stein vor dem Kölner Rathaus – „eine illegale Aktion“, erinnert sich der 75-jährige Künstler. Heute seien die Steine Teil der Stadtrundgänge. Inzwischen liegen Stolpersteine in 31 Ländern und allein in Deutschland an 1.300 Orten, Demnig hat drei Ateliers und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – eine traurige Bilanz – eigentlich.

Ortsvorsteher Michael Löwen, Künstler Gunter Demnig, Ortsbürgermeister Alfons Rodens (vlnr.) möchten mit den Stolpersteinen ein Zeichen gegen das Vergessen des Unrechts gegen jüdische Mitbürger setzen. Foto: Bistum Trier

Erste Stolpersteine in Fell

In Fell sind es die ersten verlegten Stolpersteine. Stellvertretend für viele jüdische Familien hat Ortsvorsteher Michael Löwen die Geschichte der Familie Meyer recherchiert. Die Stolpersteine und ein Vortrag über jüdisches Leben am Vortag sind Teil des Begleitprogramms einer Initiative der Arbeitsgemeinschaft Gedenken Schweich. Zu der gehört auch Pastoralreferentin Judith Schwickerath, die für die katholische Kirche im Pastoralen Raum Schweich arbeitet. „Es geht uns vor allem um zwei Ziele: Wir möchten den jüdischen, aber auch anderen, Opfern des Nationalsozialismus ein Gesicht geben und dafür ein Bewusstsein schaffen. Zum anderen fragen wir danach, wie wir gemeinsam eine Zukunft auf demokratischen Werten gestalten können, ohne Diskriminierung und Menschenverachtung. Deshalb arbeiten wir oft mit Schulen und der Erwachsenenbildung zusammen.“ Dass die Aufklärungsarbeit schon in der Grundschule behutsam beginnen kann, beweist der Einsatz zweier Grundschülerinnen der Grundschule Fell, die bei der Verlegung Gedichte der jüdischen Schriftstellerin Gerty Spies vortragen.

Menschenverachtende Vernichtungsmaschinerie

Wie menschenverachtend, gar zynisch die Vernichtungsmaschinerie der Nazis funktionierte, wird beim näheren Blick auf die Geschichte der Meyers deutlich, die in Fell eine Metzgerei betrieben: Bevor die Samuel und seine Familie deportiert werden, müssen sie haargenau ihren Besitz auflisten, der anschließend versteigert wird. 1.517,20 Reichsmark erbringt die Versteigerung; der Erlös geht mit kleinem Abschlag ans Finanzamt Trier. Inventur eines Lebens, das andere einfach für beendet erklären. Am 16. Oktober 1941 hält dann ein Linienbus vor dem Haus an der Kirchstraße, der 68-jährige Samuel, seine fünf Jahre ältere Frau Sophie und die 38-jährige Tochter Martha steigen ein, es geht zunächst nach Trier. Dort steigen sie um in den in Luxemburg eingesetzten Deportationszug, gemeinsam mit über 500 anderen jüdischen Kindern, Frauen und Männern. Er bringt sie ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz), wo Samuel einen Monat später stirbt und Martha ihre kranke Mutter über einen kalten Winter pflegt. Im Januar bekommen die beiden eine Aufforderung zur „Aussiedlung“ zur Arbeit, die in Wahrheit nichts anderes als den Tod in der Gaskammer im 60 Kilometer entfernten Vernichtungslager Kulmhof (Chelmo) bedeutet. Marthas Schwester Thekla, die während des Kriegs nach Frankreich geflohen war, trifft ein paar Monate später das gleiche Schicksal: Sie wird nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Einzig Leo, der 1938 mit seinem Vetter in die USA immigriert war, überlebt.

Als Demnig fertig ist, liegen die fünf Steine mit den blank polierten Messingplatten im Bürgersteig der 2.500-Seelen Gemeinde Fell. Das Schicksal der Meyers haben die Nationalsozialisten vor vielen Jahren besiegelt, wie das so vieler Familien. Vor aller Augen wurden damals Familien aus ihren Dörfern, ihren Häusern „entfernt“, per Befehl, recht- und hilflos. Dass sich Diskriminierung und Hass gegen Juden, gegen andere, nicht wiederholt, nicht wieder erstarken können, sei eine gemeinschaftliche Aufgabe, sind sich Schwickerath, Löwen und Ortsbürgermeister Alfons Rodens einig. In Fell wird man künftig über fünf Namen stolpern. Vorbeilaufen, Wegsehen: Das geht hier jetzt nicht mehr so leicht.

Mehr Informationen zur AG Gedenken gibt beim Pastoralen Raum Schweich unter Themenfeldern: www.pr-schweich.de. (Quelle: Bistum Trier)

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