Vergleichbar mit Wien und Paris: Gründung des Internationalen Handschriftenzentrums Trier

4
Oberbürgermeister Wolfram Leibe, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Dr. Johanna Rachinger (Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek) und Prof. Dr. Michael Embach, Leiter der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier in der Schatzkammer der Wissenschaftlichen Bibliothek (v.l.n.r.). Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Am gestrigen Donnerstag fand der Festakt zur Gründung des Internationalen Zentrums für Handschriftenforschung in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier statt. Dabei wurde nicht nur deutlich, über welch herausragende historische Buchbestände Trier verfügt, sondern auch welch große Aufgabe die Sicherung des kulturellen Erbes für die kommenden Generationen darstellt.

Von Alexander Scheidweiler

„Wir sind nicht ganz auf Augenhöhe mit Wien oder Paris, aber doch vergleichbar“, so der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe, dem der Stolz deutlich anzumerken war, beim Festakt zur Gründung des Internationalen Zentrums für Handschriftenforschung Trier (IZHT) in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier am gestrigen Nachmittag. Und dieser Hinweis hatte einen doppelten Grund: Zum einen habe der Leiter der Wissenschaftlichen Bibliothek, Prof. Dr. Michael Embach, ihn seit Jahren auf die außergewöhnliche Qualität und den gewaltigen Umfang der Trierer Handschriftenbestände hingewiesen, so der OB, zum anderen freute Leibe sich, Dr. Johanna Rachinger, die Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, begrüßen zu können, die als Gastrednerin den Festvortrag hielt. Tatsächlich werden von insgesamt rund 3100 Handschriften des Landes rund 1300 in Trier aufbewahrt.

Oberbürgermeister Wolfram Leibe, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die Germanistin Prof. Dr. Claudine Moulin von der Universität Trier, Prof. Dr. Michael Jäckel (Präsident der Universität Trier), Dr. Johanna Rachinger (Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek) sowie Dr. Simone Fugger von dem Rech (Leiterin des Stadtarchivs Trier) und Prof. Dr. Michael Embach (Leiter der Wissenschaftlichen Bibliothek Trier) beim Festakt. Foto: Alexander Scheidweiler

Leibe bedankte sich bei der ebenfalls anwesenden Ministerpräsidentin Malu Dreyer für die Unterstützung der Landesregierung: „Ich weiß, unser kulturelles Erbe zu sichern, ist Ihnen und der gesamten Landesregierung ein großes Anliegen.“ Leibe betonte die Wichtigkeit der Digitalisierung des Dokumentenerbes zu dessen Sicherung für künftige Generationen. Zugleich bleibe aber das haptische Erleben sowie ein Narrativ rund um das Kulturerbe wichtig, um die Wertschätzung für das Medium Buch bei aller Digitalisierung zu vermitteln.

Dreyer griff die Vorlage des Oberbürgermeisters gerne auf: „Ich bin als Triererin und rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin wahnsinnig stolz darauf, was wir hier in diesem Haus an Schätzen haben und zeigen können“, sagte Dreyer, die u.a. den zum UNESCO Weltdokumentenerbe zählenden Codex Egberti aus dem 10. Jahrhundert, das karolingische Ada-Evangeliar und die Gutenberg-Bibel als Aushängeschilder nannte. Das Handschriftenzentrum sei eine Weiterentwicklung der bisherigen Bemühungen um das kulturelle Erbe, so die Ministerpräsidentin. Die Wissenschaft erhalte nochmals eine besondere Stätte für die Erforschung der Handschriften. Auch Dreyer unterstrich in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Digitalisierung der Handschriften, die es ermögliche, die Bestände virtuell Forscherinnen und Forschern auf der ganzen Welt zugänglich zu machen.

Rachinger bestätigte in ihrem Festvortrag, dass die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier mit ihren umfangreichen Beständen an Handschriften, Inkunabeln, alten Drucken und Papyri „viele Parallelen zur Österreichischen Nationalbibliothek“ aufweise. Unter Bezug auf die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann führte die Wiener Bibliotheksdirektorin aus, dass der phasenweise eher negativ besetzte Begriff des kulturellen Erbes inzwischen eine neue Wertschätzung erfahre. Ausgehend von zwei Goethe-Zitaten – „Was Du ererbt von deinen Vätern hast, / erwirb es, um es zu besitzen“ aus dem „Faust“ und der Briefstelle „Übrigens ist mir alles verhasst, was mich nur belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben“ – setzte Rachinger sich mit Dynamik und Dialektik der Wertschätzung des kulturellen Erbes auseinander.

Prof. Dr. Embach vor der Vitrine mit dem kostbaren Ada-Evangeliar. Foto: Birgit Reichert/dpa/Achiv

Die in den zurückliegenden Jahrzehnten beobachtbare Hochschätzung des kulturellen Erbes sei nicht zuletzt der Förderung eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes durch die Europäische Union sowie den Bemühungen der UNESCO im Rahmen des „Memory of the World“-Programms zur Sicherung des Weltdokumentenerbes geschuldet, so Rachinger. Auch die Faro-Konvention des Europarates, die den sozialen Wert des Kulturerbes im Rahmen von Identitätsbildung betont und das Recht auf Partizipation am Kulturerbe festschreibt, habe dabei eine Rolle gespielt. Andererseits kann das akkumulierte Kulturerbe auch zur Belastung werden, indem die Fixierung auf vergangene Größe zukunftsorientiertes Denken behindert. Rachinger bezog sich in diesem Zusammenhang auf Nietzsches Abhandlung „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“, die der Philosoph mit der zitierten Goethe’schen Briefstelle einleitete.

Gerade in dieser Spannung zwischen identitätsstiftender Bedeutung des Kulturerbes einerseits und andererseits der Gefahr, dass die Last des Vergangenen den Weg in die Zukunft verstellt, habe die Wissenschaft eine Rolle zu spielen, so Rachinger: Die „Gedächtnisinstitutionen“ wie Bibliotheken und Archive ermöglichen durch ihre Tätigkeit den Weg zu einer kritischen Aneignung, die auch die dunklen Seiten der Überlieferung – Rachinger nannte etwa den Kolonialismus – nicht ausblendet. So werde ein Mittelweg zwischen Glorifizierung und Verdammung der Vergangenheit eröffnet. „Dazu aber brauchen wir Expertinnen und Experten“, sagte Rachinger.

Embach führte aus, dass das Zentrum auf einem Drei-Säulen-Modell basiert: Zunächst die wissenschaftliche Säule, in der es um die Initiierung von Forschungsvorhaben sowie die verbesserte Präsentation der Bestände gehe, sodann als zweite Säule die Sicherung des kulturellen Erbes durch die Überführung der analogen Überlieferung in digitale und schließlich das, was man unter der Überschrift der „Education“ zusammenfassen könnte. Hierbei geht es darum, die Überlieferung an die nächste Generation heranzutragen. Dabei seien auch kleine Stipendien für junge Wissenschafterinnen und Wissenschaftler vorstellbar, so Embach.

Die Mediävistin Prof. Dr. Claudine Moulin, Professorin für Ältere Deutsche Philologie an der Universität Trier, sagte, man habe sie bisweilen gefragt, warum sie im Jahre 2003 nach Trier gekommen sei. Dies liege nicht nur an den hervorragenden Arbeitsbedingungen, die die Universität Trier biete, so Moulin, sondern eben auch an den herausragenden historischen Buchbeständen. Der Ruf nach Trier sei für sie daher „ein Glücksmoment“ gewesen. Bei der Weitergabe des kulturellen Erbes gehe es mithin nicht nur darum, den Text zu entziffern und zu interpretieren, sondern auch darum, das Buchobjekt als Ganzes zu würdigen: „Ohne dieses Konzept des Buchobjekts und der Buchbiographie können wir das kulturelle Erbe in der Buchkultur nicht fassen“, erklärte die Wissenschaftlerin.

Am Beispiel des Ada-Evangeliars führte Moulin aus, dass ein historisches Buch multiple Leben habe, von der Entstehung der römischen Camée des Einbandes in der Antike bis zur letztlichen Zusammensetzung der Handschrift in der Frühen Neuzeit. Dies zu erforschen, verlange einen interdisziplinären Ansatz, für dessen Umsetzung in Trier ideale Bedingungen gegeben seien. Dies hänge auch damit zusammen, dass es in Trier, anders als in vielen anderen Bibliotheken, keine dislozierten Bestände gibt, d.h. trotz mittelalterlichen Normanneneinfällen, Dreißigjährigem Krieg, Napoleonischer Herrschaft und Zweitem Weltkrieg wurden die Trierer Bestände nie zerstört oder geraubt. „Diese Bestände waren schon immer Teil der Stadt, genauso wie die Porta Nigra schon immer hier stand“, sagte Moulin.

Markus Nöhl, Kulturdezernent der Stadt Trier, griff die Ausführungen Moulins auf und unterstrich nochmals, wie wichtig der Umstand ist, dass die Sammlung sich seit Jahrhunderten in der Stadt befindet und sich aus den Beständen der Klöster und Bibliotheken der Stadt und der Region speist: „Das beutetet auch, dass dieses Gut, das wir hier in unserer kommunalen Verantwortung haben, ein Teil unserer Identität ist. Das ist ein Teil Triers.“ Die Verbindung der Sammlung zu den Menschen und dem Kulturraum, aus dem heraus sie entstanden ist, sei somit besonders eng. In Trier seien die Bestände „am originären Ort“. Nöhl wies zudem darauf hin, dass sich nun das Ada-Evangeliar im Verfahren zur Aufnahme in das Weltdokumentenerbe befinde. Gelinge dies, so steige Trier in den exklusiven Kreis jener Bibliotheken auf, die über gleich zwei Artefakte verfügen, die Teil des Welterbes sind.

Embach schlug abschließend nochmal den Bogen nach Wien und damit zur Festrednerin, indem er erläuterte, dass der Einband des Ada-Evangeliars, 1499 in St. Maximin in Auftrag gegeben, als Drei-Kaiser-Tafel verstanden werden könne, indem nicht nur Konstantin der Große zentral auf der Camée dargestellt ist, sondern auch Karl der Große sich als Auftraggeber im Figurenprogramm befunden hat, und schließlich in einer kleinen, knienden Figur unten rechts auch der spätere Habsburger-Kaiser Maximilian I., weltlicher Schutzherr der Abtei St. Maximin, dargestellt ist. So verdichte der Einband des Evangeliars imperiale Selbstdarstellung von der Antike über das Mittelalter bis an die Grenze zur Neuzeit – nochmals ein plastisches Beispiel für die von Moulin angesprochene Wichtigkeit, das Objekt Buch in seiner Gesamtheit wahrzunehmen.

Vorheriger ArtikelZwei Anzeigen! Rollstuhlfahrer rastet aus und randaliert mit abgetrennter Beinstütze
Nächster ArtikelTrier – Bilanz zum gemeinsamen Sondereinsatz von Kriminaldirektion und Polizeiinspektion

4 Kommentare

  1. „Wir sind nicht ganz auf Augenhöhe mit Wien oder Paris, aber doch vergleichbar“
    Ohje, jetzt hebt er endgültig ab und verliert den Bezug zur Realität, der Leibe. Während Trier zunehmend verfällt während das Geld des Steuerzahlers in Wasserspendern und sprechenden Mülleimern angelegt wird baut er Luftschlösser und träumt von einer vergangenen Grösse.
    Lang ists her dass sich Augusta Treverorum mit Lutetia und Vindobona messen konnte.
    Erinnert mich irgendwie an DER UNTERGANG, vor allem der zunehmende Realitätsverlust.
    „Wären doch alle meine Generäle so treu wie Du, meine liebe Malu“

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Die Redaktion behält sich vor, Lesermeinungen zu kürzen. Es besteht kein Anspruch auf die Veröffentlichung Ihrer zugesandten Meinungen. Klarname ist nicht erforderlich. Eine E-Mail-Adresse muss angegeben werden, wird aber nicht veröffentlicht.