
LONGUICH/TRIER. Das Projekt „Kulturkapellen im Trierer Raum“ belebt altehrwürdige Kirchen und Kapellen in und um Trier mit Lesungen, Vorträgen und Musik. Das stiftet Identität und bewahrt das kulturelle Erbe der Moselregion, das zugleich weiterentwickelt wird. Das Engagement der Ehrenamtlichen ist groß, das Interesse wächst – und auch die digitale Erschließung ist geglückt.
Von Alexander Scheidweiler
Der Begriff „Kirchturmdenken“ hat im Deutschen ja einen eher negativen Klang – Kirchturmdenken, das ist Provinzialität, die Unfähigkeit oder der mangelnde Wille, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Entsprechend verzeichnet das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm schon im 19. Jahrhundert den Begriff „Kirchthurminteressen“, der daselbst in der für das Wörterbuch charakteristischen durchgehenden Kleinschreibung als „kleinstädtisch engherzige interessen, die nicht weiter gehen als der kirchthurm der pfarre blickt“, definiert werden. Doch wie so viele Begriffe kann man auch diesen positiv umdeuten und ihm einen neuen, positiven Sinn verleihen: Dies geschah vor einigen Jahren durch das gleichnamige Programm „Kirchturmdenken – Sakralbauten in ländlichen Räumen“, das von der Staatsministerin für Kultur und Medien, Dr. Monika Grütters, unterstützt wurde und mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ finanziert wurde. Ziel war es, Kirchen, Kapellen, Klöster und andere Sakralbauten als Orte der Kultur zu erhalten und zu beleben und so einen wesentlichen Bestandteil des kulturellen Erbes zu sichern und weiterzuentwickeln.

Im Jahre 2021 gab es nur ein Projekt in Rheinland-Pfalz, das aus dem Programm gefördert wurde, und zwar im Bistum Trier. Es handelt sich um das Projekt „Kulturkapellen im Trierer Raum“, in dessen Rahmen altehrwürdige Kapellen in und um Trier durch Lesungen, Vorträge, musikalische Beiträge etc. mit neuem Leben gefüllt werden. Initiiert wurde das Projekt durch die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) Fachstelle Trier unter der Leitung von Katharina Zey-Wortmann, die auch gemeinsam mit Dr. Samuel Acloque, dem Bildungskoordinator der KEB Konz, die beliebte Vortrags- und Diskussionsreihe Theo-Talk veranstaltet. 14 Kirchen und Kapellen im Trierer Raum gehören mittlerweile zum Kulturkapellen-Netzwerk, u.a. St. Medardkapelle in Trier-Süd, die Kapelle St. Georg in Schweich-Issel oder die Kapelle St. Katharina in Kernscheid.
„Man muss nur Ideen haben“
„Es ist eine Nutzungserweiterung“, sagt Katharina Zey-Wortmann. Die Leiterin der KEB-Fachstelle steht in der Kapelle und Filialkirche St. Sebastian in Longuich-Kirsch, die so wie die Longuicher Pfarrkirche St. Laurentius Teil des Kulturkapellen-Nettzwerks ist: „Gerade erst war ich in Eitelsbach, in der Kapelle 14 Nothelfer, die auch zu unserem Netzwerk gehört.“ Dort seien rund 60 Besucher zu einer Lesung mit Musik gekommen. Im Sommer finde in der Kapelle eine Erste-Hilfe-Ausbildung statt, was sehr schön zum Patrozinium der Nothelfer passt, so Zey-Wortmann weiter. In der Pfarrkirche St. Laurentius finden regelmäßig Konzerte statt. In St. Luzia in Filsch gibt es ebenfalls immer wieder Lesungen, zudem ziehe dort das jährliche Luzienfest im Dezember viele Besucher an. St. Dionysius in Igel habe einen eigenen Veranstaltungskalender. „Man muss nur Ideen haben“, meint Zey-Wortmann.

Durch eine Meldung auf katholisch.de, dem Internet-Portal der katholischen Kirche, sei sie auf das Programm „Kirchturmdenken“ aufmerksam geworden, erzählt sie weiter. Nach Aufbringung eines entsprechenden Eigenanteils aus Mitteln der KEB und des Bistums wurde das Kulturkapellen-Projekt mit 15.000 Euro vom Bund gefördert: „Das haben wir überwiegend in die Digitalisierung gesteckt.“ So konnten die historischen Bauten auch virtuell zugänglich gemacht werden: Über den Scan eines QR-Codes auf den historischen Erläuterungstafeln an den beteiligten Kapellen kann schnell und unkompliziert mit dem eigenen Smartphone auf Informationen über das jeweilige Bauwerk, seine Geschichte, Ausstattung und dort stattfindende Veranstaltungen zugegriffen werden. Auch das digitale Angebot wird inzwischen stark genutzt, Spitzenreiter bei den Zugriffen ist zufolge einer aktuellen Auswertung die Schweicher Pfarrkirche St. Martin.

„Das Pilotprojekt war St. Dionysius in Igel“, erinnert sich Zey-Wortmann. Die Beantragung der Bundesmittel sei sehr aufwändig gewesen und habe innerhalb von drei Monaten erfolgen müssen: „Das war Arbeit, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen!“ In den zurückliegenden Jahren sei aber nach und nach ein fester Verbund gewachsen, zu dem alsbald auch St. Peter in Ehrang gehören wird: „Es wächst, aber es braucht immer Leute vor Ort, die sich kümmern.“ Die Kulturkapellen leben stark vom ehrenamtlichen Engagement der Menschen: „Man muss sich das vorstellen, wie ein Quartiersmanagement“, sagt Zey-Wortmann und lacht. Auch in der Eifel gebe es Aktive, die derzeit versuchen, das Modell der Trierer Kulturkapellen zu adaptieren. „Wir hoffen, dass es weiter wächst.“ Und dafür gibt es auch Ideen: „Wir wollen auch eine Art Perlenschnur von Kapellen schaffen, Kirsch, dann die Löschemer Kapelle, Longen und Trittenheim. Sehr interessant ist auch die Kapelle in Schleich, die sehr schöne Fresken hat, die aber mal renoviert werden müssten.“
Kulturkapellen stiften Identität
Das Projekt mit seinen Kulturveranstaltungen in den Kapellen sei stark identitätsstiftend: „Wenn die Menschen merken: ‚Das ist in meinem Ort, das ist meine Kapelle‘, erwacht das Interesse.“ Dadurch setze das Kulturkapellen-Projekt auch dem vielfach beklagten Sterben der historischen Ortskerne etwas entgegen. „Da können die Kulturkapellen gute Brückenbauer sein – Jung und Alt verbinden, Zugezogene und Einheimische“, führt Zey-Wortmann aus.
Küsterin Maria Hübner bestätigt das für die Kapelle St. Sebastian in Longuich-Kirsch: „Die Kapellen werden genutzt. Das Bewusstsein, dass wir eine schöne Kapelle haben, ist wiedergekommen, auch bei vielen Jüngeren.“ Erst kürzlich habe sie mir einem jüngeren Kirscher gesprochen: „Der war noch nie in der Kapelle, und als er dann hier drin war, hat er gesagt: ‚Mensch, wat is‘ die schön!‘“

Auch liturgisch wird die Kapelle genutzt – jeden zweiten Montag findet in St. Sebastian eine Messe statt, jeweils im Wechsel mit der Pfarrkirche. Gut 30 Besucher nahmen dieses Jahr an der Karfreitagsliturgie in der rund 11 Meter langen und sechs Meter breiten Kapelle Teil, schätzt Maria Hübner. Dadurch, dass die Kapelle deutlich kleiner ist als die recht große Pfarrkirche, entsteht eine besondere, dichte Atmosphäre – „heimelich“ nennt es Zey-Wortmann. Man habe dieses Jahr eine besondere Karfreitagsliturgie gefeiert, mit sieben Stationen, u.a. zu Simon von Cyrene und Maria, und dabei versucht, jeweils einen Bezug zum Heute herzustellen. Das sei sehr gut angekommen – einige Besucher hätten sich bei ihr per WhatsÄpp bedankt, sagt Maria Hübner. „Zu meiner Kindheit wurde die Kapelle nur an Kirmes, also zum Patrozinium, genutzt, für’s Totengebet und gelegentlich für Hochzeiten“, erinnert sich Zey-Wortmann. „Und jetzt haben wir hier alle zwei Wochen Messe.“
Innenausstattung mit Patron und 14 Nothelfern
Im Altarraum der Kapelle befindet sich rechts eine knapp einen Meter hohe Sandstein-Figur des Namenspatrons, geschaffen Ende des 16. Jahrhunderts, wohl in der Werkstatt des bekannten Trierer Bildhauers Hans Rupprecht Hoffmann, der u.a. die Kanzel des Doms und den Petrusbrunnen auf dem Hauptmarkt geschaffen hat. Seit einer Restaurierung Ende der 80er-Jahre erstrahlt der Heilige Sebastian, in seinem Martyrium von Pfeilen durchbohrt und mit stark blutenden Wunden dargestellt, wieder im Glanz der zwischenzeitlich übermalten barocken Farbfassung.

Links befindet sich eine Muttergottes mit Kind im goldenen Gewand aus dem Jahre 1905 von der Kunstschreinerei Johann Mettler in Morbach, die überregional für ihre sakrale Holzschnitzkunst bekannt war. Man sprach ihretwegen sogar vom „Oberammergau des Hunsrücks“. Dazwischen eine Kreuzigungsgruppe mit Christusfigur aus Terrakotta sowie den Statuen der Maria und des Johannes, ebenfalls um 1900 entstanden, und 1907 mit dem neugotischen Altar konsekriert, der allerdings nicht mehr vorhanden ist. Das runde bunte Glasfenster hinter der Kreuzigungsgruppe stammt, ebenso wie die sechs farbigen Rundbogenfenster in den Seitenwänden, von dem Trierer Maler und Glasmaler Reinhard Heß.
Acht Gemälde, die die 14 Nothelfer darstellen, schmücken die Wände, geschaffen von Trierer Maler Ludwig Neureuther (1796-1871). Diese ersetzen gewissermaßen die einst in der Kapelle aufgestellten und jetzt im Trierer Dommuseum befindlichen, wohl gut 500 Jahre alten Apostelskulpturen. Die bemerkenswerte Skulptur „Michael, der Seelenwäger“ aus dem späten 16. Jahrhundert, die sich heute im Trierer Rathaussaal befindet, stammt ursprünglich aus der Kirscher Kapelle. Auch zu dieser Skulptur hat schon einmal ein Vortrag in der Kapelle stattgefunden, so Maria Hübner. Mittlerweile verfügt die Kapelle auch über eine kleine Sakristei – früher legte der Priester hinter dem neugotischen Retabel, das auf dem steinernen Altar platziert war, die Messgewänder an.
Pfarrkirche mit repräsentativer Ausstattung
Mit ihrer prächtigen und äußerst repräsentativen spätbarocken Ausstattung unterscheidet sich die Pfarrkirche St. Laurentius deutlich von der anheimelnden Kirscher Kapelle. Erbaut von dem kurfürstlichen Hofbaumeister Johannes Seiz, einem Schüler von Balthasar Neumann, ist sie „die kleine Schwester von St. Paulin“, sagt Katharina Zey-Wortmann. Küster Uwe Czarnetzki lobt zudem die exzellente Akustik des Raumes, die bei den Kirchenkonzerten zum Tragen komme: „Da fahre ich alle Register hoch. Dann ist hier wirklich die Hütte voll.“ Immer am letzten Wochenende des Monats findet in St. Laurentius ein Konzert statt, außer im Januar.

Die barocke Ausstattung ist zudem komplett original, so Czarnetzki weiter. Lediglich ein Engel am Tabernakel des Hochaltars musste neu gefertigt werden – und die Hostie auf dem Kelch in der Hand der Heiligen Barbara rechts auf dem mächtigen Säulenaltar, der sein Figurenprogramm wie eine Theaterkulisse präsentiert: Der Patron der Kirche mit dem Rost in der Mitte, links der Heilige Petrus und rechts die Heilige Barbara, den Blick gemeinsam symbolisch auf die Hostie auf dem Kelch gerichtet.

Beides, der Engel und die Hostie, waren gestohlen worden, daher war die Ergänzung nötig geworden. „Ich frage mich: Wer stiehlt sowas? Dafür muss man ja auf den Altar klettern“, sagt Czarnetzki. Und das ist, ganz abgesehen von dem Diebstahl, auch ihm als Küster strengstens untersagt: „Wenn ich zum Patronatsfest eine Girlande von Petrus zu Laurentius spanne, müssen mindestens zwei Leute die Leiter festhalten.“ Die Anbindung der Dekoration ist also eine geradezu akrobatische Leistung.

Durch einen Drehmechanismus kann zwischen zwei verschiedenen Kreuzen im Tabernakelaufsatz gewechselt werden, die Vorderseite des Hochaltartisches kann gewendet werden. Meist ist die Seite mit Kreuz, Anker und Herz für Glaube, Hoffnung und Liebe sichtbar. Die Seitenaltäre zeigen die Heilige Katharina von Alexandrien sowie eine Mondsichelmadonna – die Madonna mit der Traube – aus dem 15. Jahrhundert. Auch sie wurde 1971 gestohlen, konnte aber bei einem Kölner Antiquitätenhändler gefunden werden. Die Kanzel aus dem 18. Jahrhundert und ein römischer Taufstein aus einem Kapitell sind weitere bemerkenswerte Ausstattungselemente.

Wer sich für die Kulturkapellen im Trierer Raum interessiert, aber nicht alle abfahren möchte, kann die Landing Page des Projekts aufrufen, über die alle Inhalte verfügbar sind, die über die QR-Codes an den Kapellen abgerufen werden können. Den Eindruck, den man bei einem Besuch vor Ort bekommt, kann aber auch die beste Internetseite nicht ersetzen.