Der Schulalltag wird für Jugendliche in Deutschlandzunehmend zu einer Quelle von Stress und psychischen Belastungen. Leistungsdruck, hohe Erwartungen und soziale Konflikte verstärken den Druck, der heute auf jungen Menschen an Bildungseinrichtungen lastet.
Die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung und gezielten Mental Health Programmen steigt an vielen Schulen. Die Entwicklung zeigt, dass mentale Gesundheit als essenzieller Bestandteil eines modernen Bildungssystems verstanden werden muss, um Schülerinnen und Schüler in einem immer komplexer werdenden Alltag emotional stärken und adäquat unterstützen zu können.
Schulen, Bildungseinrichtungen und übergeordnete Institutionen reagieren mit der Entwicklung spezieller Coaching Programme und Maßnahmen, mit denen sie die psychische Belastung unter Kindern und Jugendlichen frühzeitig erkennen und durch gezielte Hilfe verringern möchten. Präventive Beratungsangebote und konkrete Hilfsprogramme im akuten Fall werden langfristig zu einem festen Bestandteil des Schulalltags, um die modernen Anforderungen an die mentale Gesundheit besser abbilden zu können.
Psychische Belastungen bei Jugendlichen: Der Druck im Alltag wächst
Der Druck und die Belastungen, denen Kinder und Jugendlichen im schulischen Alltag ausgesetzt sind, werden größer. Das zeigen verschiedene wissenschaftliche Erhebungen zur mentalen Gesundheit junger Menschen.
Einen detaillierten Einblick in aktuelle Trends und Entwicklungen im Bereich psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gibt der DAK-Kinder- und Jugendreport 2023. Dieser zeigt zum Beispiel, dass die Zahl der diagnostizierten Angststörungen in den vergangenen Jahren seit Beginn der Corona-Pandemie stark gewachsen ist. Besonders stark betroffen sind Mädchen im Jugendlichenalter. So sind dem Report zufolge Stationär behandelte Angststörungen sind bei jugendlichen Mädchen im Jahr 2022 gegenüber 2019 um 35 % gestiegen.
Fast die Hälfte aller Jugendlichen in Deutschland, so der allgemeine Trend der DAK-Studie zur psychischen Gesundheit, erleben regelmäßig erheblichen Stress und Leistungsdruck in ihrem Schulalltag. Auch die Barmer Gesundheitskasse zeigt in ihrem Gesundheitsreport alarmierende Zahlen, in denen fast ein Drittel der Schülerinnen und Schüler an deutschen Bildungseinrichtungen angibt, im Alltag häufig überfordert zu sein und sich starken Belastungen ausgesetzt zu fühlen. Laut dieser Studie sind die häufigsten Symptome Stress, Prüfungsängste, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen.
In vielen Fällen berichten Jugendliche darüber hinaus von anhaltenden Zukunftsängsten, hervorgerufen durch hohe Erwartungen und Unsicherheit über die berufliche Perspektive. Mit häufiger Verwendung digitaler Plattformen und sozialer Medien verschärfen sich die Auswirkungen von Vergleichen, Kritik und Perspektivlosigkeit auf die Psyche weiter. Umfangreiche und oft verzerrte und realitätsfremde Vergleichsmöglichkeiten und das ständige Streben nach Anerkennung, wie es auf Plattformen wie Instagram oder TikTok gefördert wird, beeinflussen die Selbstwahrnehmung der Schülerinnen und Schüler. Junge Menschen fühlen sich oft unzulänglich, was zu Ängsten, Selbstzweifeln und einem Gefühl der Isolation führt, das im schulischen Umfeld weiter verstärkt werden kann.
Leistungsdruck und Zukunftsängste: Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Die Langzeitfolgen dieses Leistungsdrucks sind für viele Schülerinnen und Schüler schwerwiegend. Psychologische Fachkräfte beobachten bei ihrer Arbeit an Schulen und Bildungseinrichtungen zunehmend Symptome wie Konzentrationsschwierigkeiten, sozialen Rückzug und eine steigende Zahl an Fehltagen, da Schülerinnen und Schüler die alltäglichen Anforderungen nicht mehr bewältigen können.
Körperliche Symptome wie Kopfschmerzen und Magenprobleme sind oft Begleiterscheinungen, die durch anhaltende Anspannung, emotionalen Druck und daraus resultierenden Schlafmangel hervorgerufen werden. Gleichzeitig verstärkt sich Erhebungen zufolge auch der Trend zu selbstschädigendem Verhalten, mit dem junge Menschen den mentalen Druck, dem sie sich ausgesetzt fühlen, zu kompensieren versuchen.
Auch Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter sehen sich aufgrund der wachsenden Bedeutung mentaler Belastungen zusätzlichen Herausforderungen gegenüber. Als erste Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler, die mit den emotionalen Druck und der Überforderung nicht mehr zurechtkommen, werden sie zunehmend mit Aufgaben betraut, die über ihren pädagogischen Verantwortungsbereich hinausgehen. Ohne psychologische Zusatzqualifikation ist es insbesondere im laufenden Schulalltag kaum möglich, notwendige Hilfe anzubieten und in ausreichendem Maße präventive Maßnahmen zu ergreifen.
Die Entwicklungen an Schulen rücken den wachsenden Bedarf an ausgebildeten Fachkräften im Bereich Schulpsychologie verstärkt in den Fokus. Sozialarbeiter und Schulpsychologen werden die pädagogische Arbeit des Lehrpersonals in Zukunft flächendeckend begleiten müssen, um der Bedeutung der mentalen Gesundheit im Schulalltag gerecht werden zu können. Die Entwicklung spezieller Programme und Initiativen für den Bildungssektor setzen ein deutliches Signal für die Veränderungen, die den Alltag an deutschen Schulen künftig prägen werden.
Digitale Hilfe im geschützten Raum: Die App soulx soll Schulen unterstützen
Ein innovativer Ansatz, um Schülern eine erste Anlaufstelle für ihre Mentale Gesundheit zu bieten, macht sich die digitale Affinität der jungen Generation zunutze. Die App soulx wurde speziell für Jugendliche entwickelt und konnte an verschiedenen Schulen bundesweit bereits als Pilotprojekt getestet werden.
Die App richtet sich gezielt an Schülerinnen und Schüler, die ihre mentale Gesundheit präventiv stärken und ihre Resilienz gegenüber alltäglichen Stresssituationen erhöhen möchten. Soulx stellt eine digitale Plattform zur Verfügung, die Jugendlichen jederzeit zugänglich ist und sie mit Übungen und Routinen für mehr mentale Gesundheit unterstützt. So können Schülerinnen und Schüler präventiv tätig werden, ohne die Hürde überwinden zu müssen, sich anderen Personen anzuvertrauen.
Soulx bietet eine Vielzahl an Werkzeugen, um mit Stress und Angst umzugehen. Dazu gehören Entspannungsübungen, gezielte Meditationsangebote, interaktive Beratungsprogramme und ein Tagebuch zur Reflexion der eigenen Emotionen. Die App ist so konzipiert, dass sie einfach und intuitiv nutzbar ist, sodass Schülerinnen und Schüler in einem vertrauten Umfeld und ganz nach ihrem individuellen Alltagsrhythmus mentalen Belastungen entgegenwirken können. Über die App haben sie zudem Zugriff auf hilfreiche Informationen zur Bewältigung von Prüfungsangst, Zeitmanagement und Selbstwertgefühl, die von psychologischen Fachkräften zusammengestellt wurden.
Ein besonderer Vorteil von soulx liegt in ihrer Niedrigschwelligkeit. Die App ist unabhängig von festen Schulstrukturen und -zeiten nutzbar und kann so viele Hindernisse auf dem Weg zu mehr mentaler Gesundheit geschickt umgehen. Jugendliche können sie zu Hause, unterwegs oder während der Pausen nutzen, was sie zu einem idealen Begleiter für den schulischen Alltag macht.
Soulx richtet sich gezielt an Schülerinnen und Schüler ab 14 Jahren. Die Nutzung erfolgt in Kooperation mit der Schule, die Jugendlichen das Programm über einen Link im Zusammenhang mit schulinternen Beratungs- und Aufklärungskampagnen zur Verfügung stellen kann. Die Verwendung erfolgt vollständig anonym. Die Schule erhält keinen Einblick in das Nutzerverhalten einzelner Personen. Es ist jedoch möglich, über eine anonymisierte Auswertung zu analysieren, ob das Angebot der App genutzt wird und ob positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit an der Schule festzustellen ist.
MindMatters: Psychosoziale Gesundheitsförderung durch landesweite Programme
Auch auf Bundesebene ist die mentale Gesundheit von Schülerinnen und Schülern stärker in den Fokus gerückt. Das landesweite Präventionsprogramm MindMatters soll Schulen und Bildungseinrichtungen Unterstützung im Bereich der psychischen Gesundheit zukommen lassen.
Die umfassende Initiative ist an das gleichnamige australische Programm angelehnt und wurde durch die BARMER Gesundheitskasse, die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen, den Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover und das Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) für eine Nutzung im deutschsprachigen Raum adaptiert. Ziel ist es, die Schulen als zentralen Begegnungsraum für junge Menschen in einer wichtigen Entwicklungsphase in der psychosozialen Gesundheitsförderung zu stärken. Das Programm wurde aufgrund des steigenden Bedarfs kürzlich um ein weiteres Jahr verlängert und zielt darauf ab, präventive Strukturen direkt im Schulalltag zu etablieren.
Eine der Bildungseinrichtungen, die seit Jahren erfolgreich Gebrauch von dem Angebot der Initiative macht, ist die Julius-Wegeler-Schule in Koblenz. Die berufsbildende Schule ist bereits seit 2018 Teil des Programmes und hat viele der angebotenen Maßnahmen in ihr pädagogisches Konzept integriert.
Im Schulalltag werden sowohl Lehrkräfte als auch Schüler aktiv eingebunden, um mentale Gesundheit als festen Bestandteil des Schulalltags zu fördern. Das Programm umfasst gezielte Schulungen für Lehrkräfte, die ihnen helfen, Anzeichen psychischer Belastung frühzeitig zu erkennen und als professionelle erste Anlaufstelle für betroffene Jugendliche aktiv werden zu können.
Für die Schülerinnen und Schüler der Julius-Wegeler-Schule wird ein konstruktiver Umgang mit Stress und mentalen Belastungen in den Schulalltag integriert. „Es fängt damit an, dass man sich überhaupt mal überlegt: Was ist Stress und wie gehe ich mit Stress um“, erklärt Schulleiter Carsten Müller im Gespräch mit dem SWR. „Was sind für mich ganz persönliche Stressoren? Das kann bei jedem ganz unterschiedlich sein.“ In Workshops und Unterrichtseinheiten lernen die Jugendlichen, wie sie mit Stressfaktoren wie Lerndruck, Prüfungsangst und Vergleichen mit Anderen umgehen können.
Durch MindMatters sollen die Schulen eine gesunde Lernumgebung schaffen, in der Schülerinnen und Schüler ihre Fähigkeiten entfalten können, ohne sich von psychischen Belastungen behindert zu fühlen.
Herausforderungen und langfristige Perspektiven für die mentale Gesundheit in Schulen
Die wachsende Zahl psychischer Belastungen und die zunehmende Nachfrage nach Unterstützung erfordern umfassende Lösungen auf allen Ebenen. Übergeordnete Programme wie MindMatters setzen wertvolle Impulse, um den sich verändernden Gegebenheiten im Schulalltag gerecht zu werden.
Der systematische Ausbau der Schulsozialarbeit und eine engere Zusammenarbeit mit außerschulischen Fachkräften entlasten Lehrkräfte in ihrem pädagogischen Auftrag und können Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, mit den Belastungen des Schulalltages besser zurechtzukommen und eine gesunde Resilienz gegenüber Leistungsdruck und anderen Herausforderungen aufzubauen.
Langfristig wird sich die mentale Gesundheit Jugendlicher als ein zentrales Anliegen im Bildungssektor etablieren. Schulen sind zunehmend gefordert, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Räume für persönliche Entwicklung und psychisches Wachstum zu schaffen. Nur durch ein ganzheitliches Bildungsverständnis können die Schulen von heute den Anforderungen der kommenden Generation gerecht werden.