Trier: 75, aber nicht in die Jahre gekommen – Festakt zum Landesjubiläum

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Prof. em. Dr. Franz Dorn (Universität Trier), Landtagspräsident Hendrik Hering, Markus Nöhl (Kulturdezernent der Stadt Trier) und Prof. Dr. Michael Embach (Leiter der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier) beim Festakt zum 75. Landesjubiläum (v.l.n.r.). Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. In der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier fand gestern ein Festakt aus Anlass des rheinland-pfälzischen Landesjubiläums statt. In seinem Festvortrag würdigte Prof. Dr. Franz Dorn, emeritierter Rechtshistoriker der Universität Trier, die rheinland-pfälzische Landesverfassung und arbeitete ihre Verwurzelung im christlichen Naturrechtsdenken als Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Gewalt- und Unrechtsregime heraus.

Von Alexander Scheidweiler

„Rheinland-Pfalz steht heute sehr stolz und stark da“, so Markus Nöhl, Kulturdezernent der Stadt Trier, beim gestrigen Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Landes Rheinland-Pfalz in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier. Dies war nicht immer selbstverständlich, so der Kulturdezernent: Bei eigenen Forschungen zur Trierer Stadtgeschichte sei er vor rund einem Jahrzehnt überrascht gewesen, in den Quellen festzustellen, dass es noch nach dem Zweiten Weltkrieg separatistische Tendenzen in der Region gegeben habe – „nicht mehrheitlich, aber die gab es“, so Nöhl. Mit den Volksabstimmungen von 1975 aber habe sich diese Debatte erledigt – das „Bindestrich-Bundesland“, wie es bisweilen böswillig gerannt werde, habe mittlerweile eine hohe Akzeptanz in allen Landesteilen. Es sei also kein Wunder, dass das 75. Jubiläum von Rheinland-Pfalz zum Verfassungstag am 18. Mai, dem Jubiläum der Annahme der Landesverfassung und gleichzeitigen Wahl des ersten Landtages im Jahre 1947, sehr stark gefeiert wurde, sagte Nöhl.

Der in dem Begriff des Bundestrich-Bundeslandes latent mitschwingende Vorwurf, Rheinland-Pfalz sei ein Kunstprodukt, in dem heterogene Mentalitäten zusammengezwungen worden seien – Bayern, Hessen, preußische Rheinprovinz – sei ohnedies gänzlich aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts gedacht und nur aus diesem Blickwinkel zutreffend, führte Nöhl aus. Betrachte man hingegen die langen historischen Linien, so zeige sich das Bild eines zusammenhängenden „Kulturraums zwischen Maas und Rhein“, dem das spätere Bundesland Rheinland-Pfalz zugehörig sei und der „mit einer gewissen genuinen Identität“ ausgestattet sei. Es gebe „Traditionslinien, die über das nationale Geplänkel des 19. Jahrhunderts hinausgehen“ und die Rheinland-Pfalz und seine Identität geprägt haben. Nöhl nannte „das römische Erbe“, „das starke christlich-jüdische Erbe“, „die Kurfürstentümer, die auf diesen Wurzeln aufbauen“, „die enge Beziehung zu den Nachbarländern Luxemburg, Belgien und Frankreich“ und schließlich die „sehr entscheidende Rolle der Städte“ als konstituierende Elemente dieser Identität, die sich nicht zuletzt in den bedeutenden Beständen der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier an Handschriften und Inkunabeln spiegele.

Hendrik Hering, Präsident des rheinland-pfälzischen Landtages, erklärte in seinem Grußwort, dass er es sehr würdige und begrüße, dass die Stadt Trier in ihrer Wissenschaftlichen Bibliothek einen Festakt zum 75. Landesjubiläum veranstalte. Der Landtagspräsident betonte in diesem Zusammenhang, dass keine Gelegenheit ausgelassen werden dürfe, deutlich zu machen, welches Glück es ist, in einer freien und offenen Gesellschaft leben zu dürfen: „Demokratie ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit“. Hering griff den Gedanken auf, dass der Erfolg, der das Land Rheinland-Pfalz geworden ist, dem Bundesland gewissermaßen nicht an der Wiege gesungen war: „Aus dem Bindestrich-Bundesland ist ein Bundesland mit einer gemeinsamen Identität geworden. Und Rheinland-Pfalz ist zu einem Erfolg geworden.“

Obwohl Rheinland-Pfalz ursprünglich weitgehend aus strukturschwachen Gebieten zusammengesetzt wurde, sei es heute eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesländer, das mittlerweile zu den Geberländern im Länderfinanzausgleich gehört und über eine moderne Bildungs- und Hochschullandschaft verfügt, sagte Hering. Die Unterstützung der Geflüchteten 2015/16, sowie derjenigen, die heute aus der Ukraine kommen, die von den weitaus meisten gelebte Rücksichtnahme während der Pandemie und die Hilfsbereitschaft bei der Flutkatastrophe im letzten Sommer zeugten zudem von Solidarität und Zusammenhalt.

Diese „Solidarität der Vielen“ müsse gegenüber der „Minderheit der Antidemokraten“ viel stärker gewürdigt werden. Ob die großen Transformationsprozesse, vor denen die Gesellschaft stehe, gelingen, werde maßgeblich davon abhängen, ob alle davon profitieren können. Dafür biete der Vorspruch der rheinland-pfälzischen Landesverfassung, der fordert, „das Gemeinschaftsleben nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen“ eine Grundlage. Eine große Zukunftsaufgabe sei es in diesem Kontext auch, die Bürgerbeteiligung weiter zu stärken. „Die gewachsenen und bürgernahen kommunalen Strukturen“ in Rheinland-Pfalz „bieten dafür gute Voraussetzungen“, sagte der Landtagspräsident.

Prof. Dr. Dorn spricht über die „Verfassung für ein neues Land“. Foto: Alexander Scheidweiler

Den Festvortrag mit dem Titel „Verfassung für ein neues Land – Zu Entstehung und Entwicklung der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947“ hielt Prof. em. Dr. Franz Dorn, ehemaliger Rechtshistoriker an der Universität Trier. Die Landesverfassung war gleich in zweifacher Hinsicht eine Verfassung für ein neues Land, so Dorn: Einmal in demjenigen Sinne, dass es ein Land Rheinland-Pfalz vor dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hatte. Erst durch die Verordnung 57 der damaligen französischen Militärregierung wurde am 30. August 1946 im Nordteil der französischen Besatzungszone das Land Rheinland-Pfalz geschaffen; deutsche Politiker waren an dem Gründungsakt nicht beteiligt. Zum anderen sollte nach der nationalsozialistischen Diktatur ein geistiger und politischer Neuanfang unternommen werden. Die neue Landesverfassung wurde daher bewusst als Gegenentwurf zum NS-Unrechtsstaat geschaffen.

Die Verordnung 57 leitete auch die Erarbeitung einer Verfassung durch eine Beratende Versammlung und eine Gemischte Kommission in die Wege, wobei die Besatzungsmacht sich im konkreten Erarbeitungsprozess weitgehend zurückhielt, erläuterte Dorn. Die zwölf Mitglieder umfassende Kommission wurde am 3. September 1946 eingerichtet. Ein Ausschuss der Kommission erarbeitete den Verfassungsentwurf, der dann den 127 indirekt gewählten Mitgliedern Beratenden Landesversammlung vorgelegt wurde. Den Vorsitz im Ausschuss führte der aus Köln stammende vormalige Zentrumspolitiker und Mitbegründer der CDU, Adolf Süsterhenn, der als eigentlicher Vater der Landesverfassung gilt.

Der von ihm und Ernst Biesten erarbeitete Entwurf war „die maßgebende Grundlage der Arbeit des Verfassungsausschusses“. Bereits am 3. Dezember 1946 konnte der vom Ausschuss bearbeitete Entwurf der Beratenden Versammlung zugeleitet werden. Auch die Versammlung bildete daraufhin einen Verfassungsausschuss, dem auch Süsterhenn erneut angehörte. Nach 20 Sitzungen des Ausschusses stimmte das Plenum der Beratenden Versammlung dem Entwurf zu, der am 18. Mai 1947 per Volksabstimmung mit der relativ knappen Mehrheit von 53% angenommen wurde, wobei die Bevölkerung in Rheinhessen und der Pfalz mehrheitlich gegen die Verfassung stimmte.

Auch wenn der Entwurf von Süsterhenn und Biesten in den Beratungen vielfach modifiziert wurde, so ist doch die am 18.5.1947 angenommene Verfassung weitgehend von dessen Vorstellungen geprägt, sagte Dorn. Dies zeigt sich v.a. darin, dass die Verfassung sich als Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Gewalt- und Unrechtsstaat versteht, was v.a. in ihrer starken Prägung durch die christliche Naturrechtslehre zum Ausdruck kommt: „Unter dem Eindruck der vom nationalsozialistischen Staat begangenen Verbrechen erlebte das Naturrecht in den Nachkriegsjahren allgemein eine Renaissance.“ Dies hängt damit zusammen, dass man den Rechtspositivismus, für den allein das formell korrekte Zustandekommen einer Rechtsnorm, ohne Rückbindung an eine übergeordnete Wertordnung, die Legitimität eines Gesetzes konstituiert, für die NS-Verbrechen verantwortlich machte. Die Rückbesinnung auf die „überpositive“ Rechtsordnung des Naturrechts sollte dies inskünftig verunmöglichen.

In keiner Nachkriegsverfassung habe das Naturrecht so deutlichen Niederschlag gefunden wie in der rheinland-pfälzischen, erklärte Dorn. Im Unterschied zu säkularen Vertragstheorien beruft die Verfassung sich bereits im Vorspruch auf Gott als „Urgrund des Rechts und Schöpfer aller menschlichen Gemeinschaft“. Damit einher geht ein Menschenbild, demzufolge der Mensch „sowohl eigenständige Person als auch Gemeinschaftswesen“ ist. Das seiner Natur entsprechende, gemeinschaftliche Leben des Menschen endet aber nicht mit dem Staat, da auch Staaten in Gemeinschaften leben können und sollen, weshalb der Vorspruch das Ziel formuliert, „ein neues demokratisches Deutschland als lebendiges Glied der Völkergemeinschaft zu formen“.

Der Naturrechtsgedanke schlägt sich inhaltlich vielfach in der Verfassung nieder, etwa in der Voranstellung des Grundrechtsteils vor dem der Staatsorganisation gewidmeten Teil. Innerhalb des Grundrechtsteils sind der Einzelne und seine Rechte Ausgangspunkt, an den sich die Behandlung einzelner menschlicher Gemeinschaften anschließt, die nach naturrechtlicher Auffassung dem Staat vorgegeben und von diesem zu schützen sind (Ehe und Familie, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Kommunen und kommunale Verbände, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände). Ernst danach folgt der Staatsaufbau.

Diese Gliederung trägt dem für die im Naturrecht wurzelnde katholische Soziallehre zentralen Subsidiaritätsprinzip Rechnung, das verlangt, dass der Staat erst dann tätig werden darf, wenn einzelne Personen oder kleinere Gemeinschaften mit der Bewältigung einer im Interesse des Gemeinwohls liegenden Aufgabe überfordert sind. Auch „die Betonung des Eigentums als Garant der individuellen Freiheit und seiner sozialen Gebundenheit“ entspricht der katholischen Soziallehre, wenngleich seine Verortung im Naturrecht strittig ist. Dorn wies darauf hin, dass insbesondere Thomas von Aquin im Eigentum lediglich ein Produkt des gesetzten Rechts erblickte.

Hinsichtlich der Weiterentwicklung der Verfassung seit ihrem Inkrafttreten verwies Dorn auf die sage und schreibe 39 Änderungen, die der Text seit 1947 erfahren hat. Diese Änderungen sind z.T. daraus erklärlich, dass die Landesverfassung vor dem Grundgesetz erlassen wurde und später daran angepasst wurde. Der Löwenanteil der Änderungen ist aber der Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen geschuldet. Dorn nannte u.a. die Aufnahme des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, die Erweiterung des Schutzes des ungeborenen Lebens durch Aufklärung, Beratung und soziale Hilfe sowie die Pflicht des Staates, auf die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau hinzuwirken.

Während die zahlreichen Änderungen dafür gesorgt haben, dass die Verfassung auf der Höhe der Zeit geblieben ist, sind ihre Kernaussagen gleich geblieben, resümierte der Rechtshistoriker: „Unser Land hat eine Verfassung, die in diesem Jahr 75 Jahre alt wird, aber diese Verfassung ist noch keineswegs in die Jahre gekommen. Sie ist Zeitdokument für das durch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus geprägte Denken, zugleich aber gerade deshalb hochaktuell.“ Der Verfassungsgeber habe sich selbst und dem von ihm verfassten Staat Schranken gesetzt, „und sich und den Staat einer ethischen Wertordnung unterworfen, die in der abendländisch-christlichen Philosophie wurzelt.“

Abschließend dankte Nöhl den Vortragenden und überreichte namens der Stadt ein Weinpräsent.

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