
TRIER. Das Trierer Stadtarchiv präsentiert seit gestern im Foyer der Wissenschaftlichen Bibliothek eine Ausstellung zum 225. Firmenjubiläum des Trierer Traditions- und Familienunternehmens „Zur Blauen Hand“. Firmeninhaber Michael Müller blickte bei der Ausstellungseröffnung auf die sechs Generationen umfassende, erfolgreiche Firmengeschichte des bekannten Modehauses zurück.
Von Alexander Scheidweiler
Es sei auch für sein Haus nach der langen Corona-Zeit eine Art Neustart, so der Leiter der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier, Prof. Dr. Michael Embach, bei der gestrigen Eröffnung der Kabinettausstellung zum 225. Firmenjubiläum des Trierer Traditions- und Familienunternehmens „Zur blauen Hand“ im Stadtarchiv an der Weberbach. Seit 20 Jahren verwahrt das Stadtarchiv das Firmenarchiv des Modehauses, das Michael Wolfgang Müller in sechster Generation führt. Embach wies darauf hin, „dass diese Thematik zwei Bereiche abdeckt“ – die Kultur und die Wirtschaft: „Gerade in Trier sind dies zwei Sphären, die sich gegenseitig befruchten.“ So war es auch nur angemessen, dass an der Eröffnung sowohl Kulturdezernent Markus Nöhl als auch der für die Innenstadt zuständige Dezernent Ralf Britten teilnahmen.
Nöhl griff denn auch in seiner Ansprache das Thema der zwei Bereiche, der engen Beziehung von Kultur und Wirtschaft in Trier, auf: „Kultur und Wirtschaft haben ein symbiotisches Verhältnis. Nicht immer ein unkritisches Verhältnis, aber ein symbiotisches Verhältnis.“ An der Blauen Hand mit ihrer tiefen Verwurzelung in der Trierer Geschichte werde dies besonders deutlich. „Sehr beeindruckend“ sei es, so Nöhl an Firmeninhaber Michael Müller gerichtet, das dieser das Unternehmen bereits seit 1984 in mittlerweile sechster Generation führe. Ebenso sei bemerkenswert, dass der Firmenname, der auf die wortwörtliche blaue Hand des Firmengründers, des gelernten Blau- und Schönfärbers, Johann Nicolaus Müller Bezug nimmt, der neben dem Geschäft auch eine Färberei betrieb, tatsächlich seit 1797 unverändert geblieben ist – „er ist zur Ikone geworden“, sagte Nöhl. Auch die Tuchfabrik, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, 1927 verkauft und seit 1985 städtisches Kulturzentrum, bleibt im Bewusstsein der Trierer mit der Blauen Hand verbunden und bezeugt die enge Beziehung von Kultur und Wirtschaft.

Auch Britten beleuchtete in seinen Bemerkungen die Beziehung von Kultur und Wirtschaft. Dass das Modehaus es geschafft hat, „über zwei Jahrhunderte konstant zu bestehen“ zeuge von „Unternehmertum, Kontinuität“ und sei „eine Erfolgsgeschichte, die uns als Stadt Tier unter zahlreichen Aspekten sehr stolz machen kann.“ Britten wies darauf hin, dass die Marke „Zur Blauen Hand“ – „eine Marke, die mit Qualität und Verlässlichkeit verbunden wird“ – für die ganze Region stehe und bis nach Luxemburg hinein ausstrahle. Die „Blaue Hand“ zeige somit, dass dem Handel im Zusammenspiel mit anderen Standortfaktoren wie Tourismus, Gastronomie und Kultur eine zentrale Rolle für eine gute Innenstadt-Entwicklung zukomme. Dabei sei es der Blauen Hand gelungen, „ortsgebundene Tradition“ mit einer ungebrochen positiven, zukunftsorientierten unternehmerischen Haltung zu verbinden: „An der Firmengeschichte können wir exemplarisch sehr schön ablesen, wie wichtig es ist, durch alle Zeiten innovativ zu bleiben.“
Archivleiterin Dr. Simone Fugger von dem Rech, die die Ausstellung konzipiert hat, erklärte, dass das Firmenarchiv der Blauen Hand zu den ersten Beständen gehörte, mit dem sie sich nach Übernahme ihres Amtes im September letzten Jahres beschäftigte. Sie sei dankbar gewesen, so Fugger von dem Rech, das Michael Müller damals bezüglich des anstehenden Jubiläums auf sie zugekommen sei, denn „das Stadtarchiv ist eine Serviceeinrichtung, deren Aktivität auch vom bürgerschaftlichen Engagement lebt.“ Neben der Sicherung und Zugänglichmachung der historischen städtischen Überlieferung in Form amtlicher Unterlagen bis zurück zu mittelalterlichen Urkunden und Ratsprotokollen als gesetzliche Pflichtaufgabe gehören auch nicht-amtliche archivische Sammlungen zum Zuständigkeitsbereich des Hauses, wie etwa das Firmenarchiv der Blauen Hand. Auch sie bilden einen wesentlichen Teil der historischen Überlieferung der Stadt. Dass die Familie Müller vor 20 Jahren dem Stadtarchiv ihr Firmenarchiv als Depositum anvertraute, zeuge nicht nur von bürgerschaftlichen Engagement, sondern sei auch ein Vertrauensbeweis gegenüber dem Archiv, so Fugger von dem Rech.
Firmeninhaber Michael Müller zeigte sich erfreut über die vielen Besucher, die zu der Ausstellungseröffnung erschienen waren: „Das hatte ich gar nicht erwartet.“ Müller stellte daraufhin die Geschichte des Unternehmens in einem historischen Vortag dar, der den Bogen von seinem Ur-Ur-Ur-Großvater Johann Nicolaus Müller bis in die Gegenwart schlug. Die Firmengeschichte sei für ihn freilich nicht nur eine historische, sondern als Geschichte seiner Familie auch eine emotionale, die ihn aber auch deshalb immer umgetrieben habe, weil er in seinem wirtschaftswissenschaftlichen Studium in Bonn und Köln Wirtschaftsgeschichte als Nebenfach belegt hatte.
Der Anfang war für den aus einer Mayener Ratsherrenfamilie stammenden Firmengründer, der 1797 die Witwe des verstorbenen Blaufärbers Anton Sittel, die 27-jährigen Katharina, ehelichte und dessen Geschäft übernahm, nicht leicht gewesen, war Trier doch 1794 von französischen Revolutionstruppen besetzt worden und musste eine hohe Kriegskontribution bezahlen. Andererseits eröffnete die Einverleibung der linksrheinischen Gebiete in die französische Republik auch wirtschaftliche Chancen, die Johann Nicolaus Müller nutzte, z.B. durch die Belieferung der napoleonischen Armeen mit Uniformstoffen. So gelang es ihm, die Häuser an der Weberbach 177 und 178 zu erwerben, die im zweiten Weltkrieg zerstört wurden.

Die zweite Generation der Brüder Andreas und Johann Nikolaus, erweiterte nach dem Tod des Gründers den Färberbetrieb, u.a. durch ihre Wollgarnspinnerei in der 1831 erworbenen Agentenmühle. Phasenweise beschäftigten sie bis zu 60 Mitarbeiter. Mit einem Umsatz von 15.000 Reichstalern unterhielt Andreas Müller 1853 die mit Abstand größte Maschinenspinnerei in Trier.
Nach Andreas’ Tod 1861 übernahm dessen Sohn Peter Müller. Er stellte die Tuchfabrikation auf Vollmechanisierung um und exportierte seine Stoffe bis in die Schweiz. Auch der im Zuge des deutsch-französischen Krieges 1870/71 erhöhte Bedarf an Uniformstoffen verbesserte die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, wenngleich die Gründerkrise von 1873, die zunehmende Konkurrenz aus England und die schlechte Ernte von 1895, die die Nachfrage nach schweren Stoffen in der bäuerlichen Bevölkerung absenkte, auch an der Blauen Hand nicht spurlos vorübergingen.
In der vierten Generation, unter der Leitung von Friedrich Nikolaus und Emil Müller, setzte Ende des 19. Jahrhunderts eine bis zum Ersten Weltkrieg anhaltende wirtschaftliche Besserung ein. 1913 erreichte die Fabrik einen Umsatz von über einer Million Goldmarkt, das Geschäft von 400.000 Goldmark. Im Jahre 1901 erhielt die Blaue Hand in der Weberbachstraße 56 einen der ersten Telefonanschlüsse in Trier, unter der Rufnummer 189 – noch vor dem Anschluss der Bezirksregierung. Der Rohstoffmangel des Ersten Weltkrieges brachte dann allerdings erhebliche wirtschaftliche Einbußen.
1919 wurden Tuchfabrik und Einzelhandelsgeschäft zwischen den beiden Brüdern getrennt: Friedrich Müller wurde alleiniger Inhaber des Einzelhandelsunternehmens, Emil erhielt die Tuchfabrik, die 1927 verkauft wurde. Am 21. März 1921eröffnete Friedrich Müller im neuen Haus in der Brotstraße 42 – kurz vor Einsetzen der Hyperinflation. Das Unternehmen überstand dennoch die bewegten Weimarer Zeiten, bevor 1937-39 die Kriegsvorbereitungen des NS-Regimes – Autobahnbau, Westwall – die wirtschaftliche Lage wieder belebten.
Im Jahre 1936 übernahm in fünfter Generation der Vater des heutigen Firmeninhabers, Wolfgang Andreas Müller. Als Offizier im Zweiten Weltkrieg in amerikanische Gefangenschaft geraten, kehrte er 1946 nach Trier zurück und widmete sich dem Wiederaufbau der Blauen Hand, die größtenteils ausgebrannt war. In zwei Jahrzehnten baute er das alte Geschäftshaus wieder auf, vereinte damit zwei erworbene Nachbar-Geschäftshäuser und erarbeitete für die Blaue Hand die weit über Trier hinausreichende Reputation besonderer Fortschrittlichkeit.
Nach dem plötzlichen Herztods Wolfgang Müllers bei einer Geschäftsreise im Jahre 1970 übernahm die Mutter des heutigen Firmenchefs, Melitta Müller, die Verantwortung für das Unternehmen.
Seit 1984 habe nun er die Ehre als sechste Generation in der Geschäftsführung zu wirken, so Michael Müller. Es sei dabei stets sein Ziel gewesen, die Blaue Hand von einem „etwas verstaubten Image“ zu befreien und als „modernes Haus der Mode und der Marken“ zu positionieren. Ob ihm dies gelungen sei, müssten die Kunden beurteilen, so Müller bescheiden.
Im Anschluss an die Vorträge würdigten die zahlreichen Besucher die Exponate im Foyer der Wissenschaftlichen Bibliothek, die von der langen und erfolgreichen Firmengeschichte im bewegten Wandel der Zeiten Zeugnis ablegen, und standen noch lange in angeregten Gesprächen beieinander.
Dia Ausstellung ist bis zum 22 Mai zu sehen, jeweils montags 9 – 13 Uhr, dienstags bis freitags 9 – 17 Uhr und am Wochenende von 10 – 17 Uhr.