Warum die Interpretation der Ergebnisse der von der Trier Tourismus und Marketing GmbH (TTM) in Auftrag gegebenen Umfrage zum Trierer Weinstand mehr PR als Erkenntnis ist.
TRIER. Wenn eine städtische Tochtergesellschaft die Ergebnisse einer von ihr selbst in Auftrag gegebenen Umfrage zu ihrem eigenen Vorzeigeprojekt – dem Trierer Weinstand auf dem Hauptmarkt – vorlegt, scheint eine gewisse kritische Distanz mehr als angebracht. Genau das tut die Trier Tourismus und Marketing GmbH (TTM): Sie präsentiert den Weinstand – anhand der Ergebnisse einer eigens beauftragten Umfrage – als „Frequenzbringer“ und „Impulsgeber“ für Gastronomie und Einzelhandel in der Stadt Trier.
Wer die Zahlen und die Methodik jedoch nüchtern liest, kommt zu einem anderen Ergebnis:
Die Umfrage bestätigt viele der Bedenken der umliegenden Gastronomie – und verschleiert sie gleichzeitig hinter wohlklingenden Schlagworten.
Stadt als Schiedsrichter und Mitspieler gleichzeitig
Zur Einordnung: Die TTM ist keine neutrale Instanz, sondern der verlängerte Arm der Stadt. Sie wirbt für Trier, organisiert Veranstaltungen – und betreibt zugleich einen Weinstand in 1A-Lage auf dem Hauptmarkt. Finanziert wird all das fast vollständig aus dem städtischen Haushalt. Die TTM agiert zwar in der Rechtsform einer GmbH, doch faktisch handelt es sich um einen öffentlich alimentierten Verwaltungsdienstleister mit hohem Personalaufwand und marketingfreundlichem Eigenbetrieb.
Damit wird die Kommune selbst zur Mitbewerberin der örtlichen Gastronomie. Während Restaurants, Bars und Weinstuben Mieten, strenge Auflagen, Personal- und Energiekosten schultern, betreibt die Stadt über die TTM faktisch ein eigenes „Open-Air-Weinlokal“ im Herzen der Innenstadt – beworben mit öffentlichen Mitteln und städtischem Marketing.
Genau dieser Konstruktionsfehler – die Stadt Trier als Regulierer und Wettbewerber zugleich – ist der Kern des Konflikts. Genau hier setzt die eigene Interpretation der selbst in Auftrag gegebenen Umfrage an: Sie soll die Unbedenklichkeit und Nützlichkeit des Weinstands belegen, wirkt jedoch eher wie der Versuch, eben diesen strukturellen Interessenkonflikt rhetorisch zu überdecken.
Befragt wurden vor allem die Fans – nicht die Aussteiger
1.347 Personen wurden laut TTM vom 10. Juni bis 2. November befragt – nach eigenen Angaben teils in der Innenstadt, teils direkt am Weinstand, zusätzlich per Onlinefragebogen über QR-Codes, die am Stand aushingen.
Damit zeigt sich bereits das eigentliche methodische Problem:
• Wer den Trierer Weinstand meidet, scannt dort keinen QR-Code.
• Wer die Menschenmassen und das Trinkniveau unangenehm findet, stellt sich nicht
freiwillig daneben, um an einer Umfrage teilzunehmen.
• Gefragt wurden vor allem diejenigen, die bereitwillig am Stand stehen und konsumieren – also ganz klar die Kernzielgruppe des Weinstandes.
Was fehlt:
• Transparenz, wie viele Interviews tatsächlich fernab des Standes geführt wurden,
• eine Auswertung, wie sich die Antworten der „Weinstand-Besucher“ von denen anderer Innenstadtbesucher unterscheiden
• Einbeziehung von Anwohnern und Gastronomie.
Kurz gesagt: Es wurden die Fans am eigenen Tresen gefragt, ob sie den Laden gut finden – und deren Antworten nun als neutrale Stadtdiagnose verkauft.
Touristenmagnet? Laut Umfrage vor allem Stammkneipe der Einheimischen
Besonders entlarvend erscheinen die Zahlen zur Zusammensetzung des Publikums: Mehr als die Hälfte der Gäste kommt aus Trier, etwa ein Drittel sind Tagesgäste und nur rund 15 Prozent sind Übernachtungsgäste.
Das „touristische Leuchtturmprojekt“ entpuppt sich damit als das, was die Gastronomie seit längerem beschreibt: ein kommunal betriebenes Stammkundenlokal auf dem Hauptmarkt.
Die Wiederkehrraten bestätigen das:
• Nur 4 Prozent der Trierer und Triererinnen waren zum ersten Mal da,
• 73 Prozent der Einheimischen waren schon mehr als fünfmal am Stand.
Hier wird deutlich, dass es längst nicht mehr um ein „Probierangebot für Weine der Region“, sondern um eine fest etablierte, städtisch organisierte Feierzone – mitten im öffentlichen Raum – geht.
Und das hat Konsequenzen: Wer regelmäßig eine Stunde oder länger mit zwei, drei Gläsern Wein am Stand verbringt, hat einen erheblichen Teil seines Ausgehbudgets – und seines Abends – dort gelassen. Für die Gastronomie zumindest ist das keine Werbung, sondern Konkurrenz.
„Aperitif“ als Allzweckwaffe – weiche Absicht statt harter Umsatz
Die zentrale PR-Zahl der TTM lautet: 60 Prozent der Befragten nutzen ein Glas Wein als „Aperitif“ für einen anschließenden Einkaufsbummel oder Gastronomiebesuch.
Das klingt nach einer Win-Win-Geschichte, verliert aber im Detail deutlich an Kraft. Bereits in der Formulierung verschwimmen Einkauf und Gastronomie zu einem unscharfen
„Innenstadterlebnis“. Wem diese 60 Prozent wirtschaftlich tatsächlich nützen, bleibt offen. Abgefragt wurden Absichten („ich plane anschließend…“), nicht reales Verhalten. Ob aus dem Aperitif später wirklich ein Restaurantbesuch wird – oder der direkte Weg nach Hause –, bleibt also statistisch im Dunkeln.
Wer daraus – wie von der TTM interpretiert – einen belastbaren „Frequenzbringer für die Gastronomie“ machen will, müsste andere, verlässliche Daten liefern. Beispielsweise Umsatzvergleiche in der Gastronomie an Tagen mit und ohne Weinstand, Daten zu Reservierungen und vielleicht sogar Zählungen: Wie viele Gäste wechseln tatsächlich von Weinstand zu Restaurant – und wie viele bleiben einfach stehen, bis der Abend vorbei ist?
Solange handfeste Zahlen fehlen, ist der „Aperitif“ weniger Analyse als rhetorisches Marketing-Hilfsmittel.
Budgetverschiebung statt Zusatzgeschäft
Die Umfrage offenbart zugleich, wie stark der Weinstand bereits als eigenständige Tages- oder Abendgestaltung wirkt:
• Zwei Drittel der Befragten bleiben bis zu 60 Minuten, viele bis zu 90 Minuten.
• Für 47 Prozent der Trierer*innen ist der Weinstand der entscheidende Grund, überhaupt in die Innenstadt zu kommen.
Wer so lange an einem Ort verweilt, verbraucht dort nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Das für Gastronomie so wichtige „zweite Glas“ wird hier ausgeschenkt, nicht später an der Bar oder im Restaurant. Die TTM spricht zwar vom Weinstand als „Brücke“ zur Gastronomie. Mindestens ebenso plausibel ist jedoch die Gegenlesart:
Der Weinstand bündelt Kaufkraft und Aufenthaltsdauer an einem kommunal betriebenen Punkt – und entzieht damit den privaten Betrieben Gäste und Umsatz.
Alkohol, Sicherheit, Massen – Probleme statistisch weggeschoben
Laut Umfrage sehen nur 3 Prozent Alkoholmissbrauch oder unangenehmes Verhalten, 5 Prozent fühlen sich durch die Menschenmenge gestört, 6 Prozent empfinden die Lautstärke als zu hoch. Wer ausschließlich diejenigen befragt, die sich freiwillig an den Weinstand stellen, bekommt eben genau solche Zahlen. Wer nur auf dem Schiff fragt, erfährt wenig von denen, die längst von Bord gegangen sind.
Ungleiche Regeln – und eine Umfrage als Feigenblatt
Besonders heikel bleibt der Vorwurf der ungleichen Behandlung: Während Gastronomen für größere Aktionen auf dem Hauptmarkt detaillierte Sicherheits- und Ablaufkonzepte vorlegen müssen, entsteht am Weinstand regelmäßig ein Menschenknäuel von mehreren Hundert Personen – ohne öffentlich sichtbares, vergleichbares Regime an Vorgaben.
Die Stadt setzt die Regeln – so der Eindruck von Kritikern – und gönnt sich selbst dabei Spielräume, die anderen verwehrt bleiben.
Die nun präsentierte Umfrage erfüllt in diesem Kontext vor allem eine Funktion: Sie soll politisch den Eindruck erzeugen, der Weinstand sei vor allem ein Gewinn für alle – und nicht das, was er faktisch ist: ein kommunal privilegiertes Konkurrenzangebot in bester Lage.
Was eine ehrliche Analyse leisten müsste
Wer wirklich verstehen möchte, was der Weinstand der Innenstadt bringt – und was er sie kostet –, braucht weit mehr als eine von der TTM selbst in Auftrag gegebene Befragung am eigenen Ausschanktresen. Eine sinnvolle Untersuchung müsste deutlich breiter angelegt sein: mit einer neutralen, repräsentativen Stichprobe aller Innenstadtbesucher, nicht nur der Gäste, die ohnehin am Stand verweilen. Sie müsste außerdem die Perspektiven derjenigen einbeziehen, die im täglichen Betrieb tatsächlich betroffen sind – Gastronomiebetriebe in unmittelbarer Umgebung, Einzelhändler, Anwohner, Ordnungsbehörden.
Vor allem aber bräuchte es harte Daten: belastbare Umsatzvergleiche an Tagen mit und ohne Weinstand, Zahlen zu Beschwerden, Lärmereignissen etc. Erst ein solches Gesamtbild könnte seriös beantworten, ob der Weinstand tatsächlich ein Gewinn für die Innenstadt ist – oder vor allem ein kommunal privilegiertes Konkurrenzangebot.
Solange all das fehlt, bleibt die vorgelegte Erhebung, was sie ist: ein PR-Instrument zur
Absicherung eines politisch gewollten Projekts – nicht die unabhängige Analyse, als die sie präsentiert wird.
Fazit
Die TTM möchte mit ihrer Interpretation der Umfrage beweisen, dass der Weinstand ein Wohlfühlort, Frequenzbringer und Brücke zur Gastronomie sei.
Wer die Zahlen entkleidet, erkennt:
• Der Weinstand ist vor allem ein Stammkundentreff der Einheimischen,
• betrieben von einer städtischen Gesellschaft,
• unter Bedingungen, die den privaten Betrieben so nicht gewährt werden,
• und abgesichert durch eine Befragung, die vor allem die Sicht der eigenen Fans abbildet.
Die Bedenken der Gastronomie werden damit nicht widerlegt – sie werden im Grunde bestätigt. Nur nicht in der Interpretation der TTM, sondern in den Details der Ergebnisse der eigens in Auftrag gegebenen Umfrage.
(sz)
















