Trier: Ausstellung „Menschenskinder“ im Dommuseum thematisiert Geschlechterrollen

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Sind gespannt auf die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher: Justine Duda und Markus Groß-Morgen vom Museum am Dom mit einem frisch restaurierten Martyrium des Heiligen Sebastian. Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Mit der neuen Ausstellung „Menschenskinder“ widmet das Museum am Dom sich dem Thema Geschlechterrollen. Dabei geht es um Frauen- und Männerbilder in der Kunst, aber auch um das „Dazwischen“, um das Androgyne, um Übergänge, um das, was sich nicht eindeutig dem Männlichen oder dem Weiblichen zuordnen lässt. Am morgigen Freitag wird die Ausstellung, die zur Reflexion einlädt, eröffnet.

Von Alexander Scheidweiler

„Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?“ Die provokante Frage eröffnet den Begleittext zum „Frauenbilder“ betitelten zweiten Abschnitt der Ausstellung „Menschenskinder. Geschlechterrollen im Spiegel der Kunst“, die am morgigen Freitagabend, um 18.30 Uhr, durch Generalvikar Ulrich v. Plettenberg im Trierer Dommuseum feierlich eröffnet wird. Die Frage hat einen sehr realen Hintergrund, wie Kunsthistorikerin Justine Duda vom Dommuseum beim heutigen Presserundgang den anwesenden Medienvertretern erläuterte: Sie geht auf die Künstlerinnen- und Aktivistinnengruppe „Guerilla Girls“ zurück, die 1989 die enorme Diskrepanz zwischen der großen Vielzahl an weiblichen Akten, die im New Yorker Metropolitan Museum ausgestellt waren, und der geringen Anzahl von Künstlerinnen, deren Werke dort gezeigt wurden, problematisieren wollte.

„Paradebeispiel für eine frauenspezifische Folter“: Das Martyrium der Heiligen Agathe. Foto: Alexander Scheidweiler

„Wenn man Akte vor sich hat, sind es meistens weibliche Akte. In einem christlichen Kontext sind es oft Märtyrerdarstellungen, die mit Nacktheit spielen“, sagte Duda. So zeigen zwei Holzskulpturen den Heiligen Sebastian und die Heilige Agathe, nackt in ihrem Martyrium. „Die Heilige Agathe steht mit ihrem Martyrium – ihr wurden die Bürste abgeschnitten – als Paradebeispiel für eine frauenspezifische Folter und zugleich die Darstellung eines nackten weiblichen Körpers“, führte Duda aus. Dabei dürfe man bei Märytrerdarstellungen aber nicht allein auf die Folter schauen, sondern müsse zugleich immer mit berücksichtigen, dass es sich um besonders standhafte Menschen handelt, die zu ihrem Glauben stehen und so dem Tod ins Auge blicken.

Mystikerin mit kirchenpolitischem Einfluss: die Heilige Katharina v. Siena. Foto: Alexander Scheidweiler

Dass es auch anders geht, also Frauen sehr wohl auch bekleidet ins Museum kommen können, zeigen etwa Darstellungen der Heiligen Margarethe oder der Heiligen Mystikerin Katharina von Siena aus dem 14. Jahrhundert, die unter Berufung auf ihre Visionen eine Autorität erlangte, die ihr auch großen kirchenpolitischen Einfluss sicherte, und die seit 1999 zu den Schutzpatroninnen Europas gerechnet wird. Durch ihre Reise nach Avignon, mit der sie den Papst zur Rückkehr nach Rom bewegte, spielte sie eine wichtige Rolle im Vorfeld des abendländischen Schismas, wie Markus Groß-Morgen ergänzte.

Doch die Ausstellung widmet sich dem Untertitel „Geschlechterrollen im Spiegel der Kunst“ gemäß weiteren Themen neben den Frauenbildern, die, wie erwähnt, das zweite von sechs Segmenten bilden, während die anderen fünf „Der erste Mensch“, „Weibliche Ikonen“, „Frauenfeindlichkeit“, „Vielfalt“ und „Männerbilder“ überschrieben sind, so dass das übergeordnete Thema der Geschlechterrollen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird. Jeder der in den Fensternischen platzierten Begleittexte eröffnet mit einer Frage, möchte den Besucher so zum Nachdenken anregen.

Leben alle Menschen hinter einer Maske? Das Gemälde „Gender“ der Bitburger Künstlerin Silke Aurora (2019). Foto: Alexander Scheidweiler

Dass das Dommuseum sich in seiner neuen Ausstellung den Geschlechterrollen widmet, hat laut Groß-Morgen seinen Hintergrund darin, dass die Kirche sich mit dem Thema nicht immer leicht getan hat. Allerdings müsse man hier auch differenzieren: Neuere kirchliche Texte, etwa des Synodalen Weges, seien auf der Höhe der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse. Darin liege zugleich eine Rückbesinnung auf die Haltung Jesu, für die das Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen als Beispiel dienen könne, indem Jesus sich einer Frau aus einem ausgegrenzten Volksstamm zuwendet. Dieselbe jesuanische Haltung zeige sich auch in den biblischen Geschichten von Ruth und Tamar, die ebenfalls durch Gemälde in der Ausstellung vertreten sind. Man sei sehr gespannt, welche Reaktionen die Ausstellung auslösen werde, sagte Groß-Morgen. Ob Besucher mit Zustimmung, Kritik oder Unverständnis reagieren werden, sei für die Macher der Ausstellung schwer abzuschätzen.

Hinzu kommt ein museumsinterner Hintergrund: Der Raum im Obergeschoss des Museums, in dem die Ausstellung gezeigt wird, war über 20 Jahre lang als „Madonnenraum“ bekannt, wurde also ausschließlich für die Präsentation von Mariendarstellungen genutzt. Ganz zu Beginn, ab der Eröffnung des Museums im Jahre 1988, wurde der Raum zunächst für die Gotik genutzt; von dort aus folgte die Ausstellung damals der kunstgeschichtlichen Chronologie bis ins 19. Jahrhundert. Als die Ausstellung um die Jahrtausendwende stärker thematisch gegliedert wurde, zogen die Madonnen in den Gotikraum ein. Da ein Museum aber „ein lebendiger Organismus“ ist, der „sich ständig verändert“, war es nun an der Zeit, den Madonnenraum nach über zwei Jahrzehnten neu zu gestalten, meinte Groß-Morgen. Dabei kam die Idee auf, weitere Frauengestalten neben Maria einzubeziehen. Diese Ursprungsidee wurde im weiteren immer mehr ausgebaut: Neben Männerbildern sollte auch das Spektrum dazwischen mit einbezogen werden, das „was sich nicht eindeutig Mann und Frau zuordnen lässt“.

Die sechs Teile der Ausstellung gruppieren sich dementsprechend um die zwei Pole der Frauen- und Männerbilder mit dem Thema der Vielfalt zwischen den beiden Polen. In diesem Segment wird als zentrales Gemälde das Bild „Gender“ der Bitburger Künstlerin Silke Aurora aus dem Jahr 2019 gezeigt, das eine androgyne Figur mit einer Maske in der Hand darstellt. Dies greift die Eingangsfrage des Textes zum Vielfalts-Segment „Leben alle Menschen hinter einer Maske?“ auf, die zum Hinterfragen gesellschaftlicher Konventionen einlädt, auch mit Blick auf Geschlechterrollen. Aber auch die Gestalt der Salome als Femme fatale oder nicht eindeutig identifizierbare Frauengestalten mit Fledermausflügeln auf einer Flugschrift aus der Zeit der Hexenverfolgung gehören in dieses Dazwischen – und selbstverständlich die Gestalt des Heiligen Sebastian.

Männergruppen in Herrscherposen: Das Martyrium des Heiligen Laurentius. Foto: Alexander Scheidweiler

Jener letztere ist in der Ausstellung nicht nur durch die erwähnte Holzskulptur, sondern auch durch ein früher fälschlich Guido Reni zugeschriebenes Gemälde vertreten, das aber eher Anklänge an Rubens aufweist, obwohl es sicherlich nicht von der Hand des großen Flamen stammt, wie Groß-Morgen betont. „In der Kunst hatten wir immer ein freies Feld, das sich auch zwischen den Geschlechtern bewegt hat“, führt Duda aus. Dies zeige sich gerade an der langen kunstgeschichtlichen Tradition der Darstellung von Androgynität, die sich in der christlichen Kunst nicht zuletzt an der Gestalt des Heiligen Sebastian aufzeigen lässt. Das gezeigte Gemälde ist frisch restauriert, in der Darstellung des nackten Jünglings schwingen homoerotische Anklänge mit. Diese Darstellungsform habe sich erst nach und nach herausgebildet, so Duda: Der Soldat Sebastian wurde zunächst als bärtiger Mann dargestellt, entwickelte sich aber sukzessive zu einem schönen Jüngling, der in seiner Nacktheit und zugleich in seinem Schmerz und seinem Leiden gezeigt wird. Heute gilt er als Ikone der queren Szene. Thomas Mann habe bezeichnenderweise einmal, bezogen auf eine Sebastians-Darstellung, von „Anmut in der Qual“ gesprochen, ergänzte Groß-Morgen.

Im Abschnitt über Männerbilder ist u.a. ein Martyrium des Heiligen Laurentius zu sehen, bei dem man den Blick auch auf die Männergruppen um den Märtyrer herum richten solle, erklärte Duda, da sich an ihnen etwa typische Herrscherposen ablesen lassen. Ein Gemälde, das David und Abigail zeigt, präsentiert mit dem biblischen König eine Männergestalt, die nicht zuletzt als Krieger und Frauenheld bekannt ist, aber bei genauerer Betrachtung einen facettenreichen Charakter offenbart. Demgegenüber erscheint der Heilige Josef mit dem Jesusknaben auf dem Arm, der die schwangere Maria unterstützt und zum Idealbild eines Vaters wird, als Gestalt, die so nicht in eine patriarchale Vorstellungswelt passen will.

Heiliger Josef mit dem Jesusknaben auf dem Arm. Foto: Alexander Scheidweiler

Am Ende des Rundgangs steht nochmals eine Einladung zur Reflexion, indem man sich selbst mittels Klebepunkt auf einer Wand im Spektrum männlich – weiblich – divers verorten kann. Auch ein passendes Quiz zu Geschlechter-Klischees, auf das man über einen QR-Code zugreifen kann, gibt es zu der Ausstellung.

weitere Informationen unter: https://www.museum-am-dom-trier.de/ausstellungen/sonderausstellungen/

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