
MAINZ. Nach dem Rücktritt von Innenminister Lewentz wegen der Flutkatastrophe attackieren CDU und AfD Ministerpräsidentin Dreyer scharf. Bisher sei es jedoch nicht gelungen, Dreyer politisches Fehlverhalten nachzuweisen, sagt ein Experte. Kaum im Amt, fährt der neue Innenminister Ebling ins Ahrtal.
Der rheinland-pfälzischen Landtagsopposition ist es nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Uwe Jun von der Universität Trier bisher nicht gelungen, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in der Flutnacht «politisches Fehlverhalten nachzuweisen». «Nach derzeitigem Informationsstand erachte ich die Chancen als gering, dass man Frau Dreyer mit Erfolg soweit attackieren kann, dass ein Rückzug ihrerseits bevorsteht», sagte der Politikwissenschaftler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz.
Der neue Innenminister Michael Ebling (SPD) sei «in große Fußstapfen getreten» und habe viel vor sich, sagte Jun. Der 55 Jahre alte ehemalige Mainzer Oberbürgermeister könne als «neues Gesicht» beim Wiederaufbau im Ahrtal eine wichtige Rolle spielen. «Es wird jetzt wesentlich an ihm liegen, dass schneller Hilfe im Ahrtal umgesetzt wird, denn das wird ja allenthalben von den Menschen dort beklagt.»
Ebling fährt an diesem Dienstag – nur fünf Tage nach seiner Ernennung – in das flutgeschädigte Ahrtal. Der Nachfolger des vergangene Woche zurückgetretenen Innenministers Roger Lewentz (SPD) trifft sich mit der Ahrweiler-Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) und hauptamtlichen Bürgermeistern der vom Hochwasser verwüsteten Städte und Gemeinden. Ebling hatte bei seiner Ernennung zum Innenminister als einen seiner Schwerpunkte angekündigt, die richtigen Konsequenzen aus der Ahr-Flut im Juli 2021 zu ziehen.
Die Landesregierung solle zudem «die Erkenntnisse aus dieser Nacht umsetzen und eine andere Struktur aufbauen», sagte Jun über den Katastrophenschutz. «Man braucht eine andere Struktur. Die Kompetenzaufteilungen waren nicht klar geregelt», stellte der Wissenschaftler von der Universität Trier fest. «Die Landesregierung insgesamt und der neue Innenminister müssen die dafür vorhandenen Pläne umsetzen und für den Katastrophenschutz klare Regelungen schaffen, wer wann, welche Kompetenzen hat, und wie man so etwas vorbeugen kann.» Ebling müsse nun die von seinem Vorgänger Lewentz vorbereitete Neuaufstellung noch einmal prüfen und umzusetzen.
Lewentz hatte Ende August angekündigt, den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz nach der Flutkatastrophe mit mindestens 135 Toten in den nächsten Jahren neu ausrichten zu wollen. Kernstück der Pläne ist eine neue Landesoberbehörde mit einem rund um die Uhr besetzten Lagezentrum.
Mit Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) und Innenminister Roger Lewentz (SPD) seien im Zuge der Aufarbeitung der Katastrophe zwei hochrangige und von ihrem Fachressort verantwortliche Minister zurückgetreten, stellte Jun fest. «Die Opposition versucht darauf abzuzielen, dass die Ministerpräsidentin selbst die Geschicke hätte in die Hand nehmen müssen.» Dies erscheine jedoch nicht zwingend notwendig.
«Die Ministerpräsidentin beauftragt zwei ihrer Minister, sich um die Katastrophe zu kümmern und fragt noch einmal nach», sagte Politikwissenschaftler Jun über die Katastrophennacht. Und mit Blick auf den veröffentlichten SMS-Verkehr zwischen Dreyer und Lewentz: «Und da schreibt Lewentz ja zunächst nichts von erheblichen Bedrohungen.» Die Frage sei jetzt, «hätte Dreyer die ganze Nacht wach bleiben müssen?» Jun weist auf die übliche Ressortverantwortung hin: «Es waren zwei hochrangige Minister, die sich eigenständig um diese Sache zu kümmern hatten, die damalige stellvertretende Ministerpräsidentin und der Innenminister, der eine hohe Reputation im Lande hatte.»
Zu den Angriffen der Oppositionsfraktionen CDU und AfD auf Dreyer sagte Jun: «Die Opposition hat die Funktion der Kritik und Kontrolle und es ist nachvollziehbar, dass sie diese wahrnimmt.» Für die Opposition liege es nahe, Dreyer zu attackieren: «Der Wahlerfolg der SPD resultierte wesentlich aus der Popularität und Glaubwürdigkeit ihrer Ministerpräsidentin.» (dpa)