++ Lokalo Wahl-Analyse: Gut geschlichen, Genosse! Folgt „Erbschleicher“ Scholz auf Angela Merkel? ++

1
Foto: Bernd Thissen/dpa

TRIER. Das sich abzeichnende Wahlergebnis zeigt: Olaf Scholz wurde als Kanzlerinnen-Klon mit Merkel-Raute zum erfolgreichen Erbschleicher. Ob er aber eine Koalition wird bilden können, steht derzeit aber noch in den Sternen. Denn auch Armin Laschet ist, obwohl angeschlagen, noch längst nicht aus dem Spiel.

Von Alexander Scheidweiler

Das sich abzeichnende Wahlergebnis lässt Raum zur Interpretation. Welche Koalition am Ende gebildet werden wird, ist heute Abend noch nicht vorhersagbar. Rechnerisch möglich und auch politisch vorstellbar sind sowohl Ampel als auch Jamaika – selbst eine neue, geschrumpfte GroKo wäre theoretisch denkbar. SPD und CDU erheben beide den Führungsanspruch. Deutschland stehen daher in den nächsten Wochen und womöglich Monaten absehbar lange und harte Verhandlungen bevor.

Klar ist nur eins: Der Sieger des Abends heißt Olaf Scholz, wenngleich der Siegestrunk Wermutstropfen enthält: Prozentual sind die Zugewinne zwar respektabel, aber der Abstand zur Union ist hauchdünn, viel geringer als zwischenzeitlich gedacht. Ein Plus von etwa 5% gegenüber 2017, das ist achtbar – ein Erdrutschsieg sieht aber anders aus. Zwar ist richtig, dass die SPD noch vor einem Jahr bei allen großen Meinungsforschungsinstituten um die 15% lag. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind die prognostizierten ca. 26% nicht nur aller Ehren wert, sondern ein Riesenerfolg. Und zwar einer, der voll und ganz auf das Konto des Spitzenkandidaten geht, dessen Beliebtheitswerte konstant deutlich höher als die der Mitbewerber Armin Laschet und Annalena Baerbock waren. Die Kampagne war denn auch ganz auf seine Person zugeschnitten: Olaf Scholz auf allen Plakaten in knalligem, unübersehbarem Rot – günstigere Mieten, höherer Mindestlohn, mehr gesellschaftlicher Respekt: „Scholz packt das an“, war die eingängige Botschaft, und die hat offenbar gezogen.

Wenn man vielleicht bei der Union gehofft hatte, Laschet könne den Amtsbonus von Angela Merkel gleichsam erben, so wirkte doch Scholz mit voranschreitender Dauer des Wahlkampfes immer mehr wie derjenige, den es zu schlagen galt und der, zumindest gefühlt, das Amt verteidigte, um das die anderen beiden sich lediglich bewarben. Schließlich übernahm er sogar die Merkel-Raute. Markus Söder sprach von „Erbschleicherei“. Mag sein. Aber wenn man auf das Resultat blickt, kann man nur sagen: Gut geschlichen, Genosse!

Und so trat Scholz denn auch bei den Triellen auf wie ein Merkel-Klon: Souverän lächelnd war er kaum aus der Reserve zu locken, verwies immer wieder auf seine Arbeit in Regierungsverantwortung und pflegte einen betont unaufgeregten Stil. Lediglich beim zweiten Triell, als Laschet ihm wegen der Razzia bei der Geldwäsche-Bekämpfungeinheit FIU verbal zusetzte, färbten die Ohren des Vizekanzlers sich kurzzeitig so rot wie die Wahlplakate der SPD. Allein er fing sich bald wieder und machte weiter wie zuvor.

„Durchgedieselt“ habe Scholz sich, befand daher ntv-Politikchef Nikolaus Blome daher, also emotionslos in stets gleichbleibend monotoner Sprechweise Fehlervermeidung betrieben. Man kann mit Gründen der Meinung sein, dass das für jemanden, der ins Kanzleramt will, zu wenig ist – und so hatte Blome das auch gemeint. Auf einen großen Teil der Wählerschaft wirkte das Scholz’sche „Durchdieseln“ aber offenbar staatsmännisch.

Armin Laschet wirkt dagegen auf den ersten Blick wie große Verlierer des Abends – aber auch nur auf den ersten Blick. Sah es vor der Flutkatastrophe noch so aus, als sei Scholz keine ernsthafte Bedrohung und als könne er zuschauen, wie Baerbock mit frisiertem Lebenslauf, nicht nachgewiesenen Zitaten und nachgemeldeten Nebeneinkünften über die eigenen Füße stolperte, so bestätigte er mit dem berühmt-berüchtigten Lachanfall im Katastrophengebiet hinter dem Rücken des Bundespräsidenten alle Negativ-Vorurteile des rheinischen Jecken und Bruder Leichtfuß, die viele Bürger bereits hegten.

Gewiss, bei den Triellen schlug er wich wacker, ging auch mal in die Offensive, versuchte, Scholz und Baerbock bei der Frage einer möglichen Koalition mit der Linkspartei zu stellen, griff den Vizekanzler bei seinen wunden Punkten an, bei WireCard, CumEx und FIU. Bei den Kernthemen der Konservativen – innere und äußere Sicherheit – war Laschet der einzige Bewerber, der konkrete Vorschläge machte, von der Ausweitung der Videoüberwachung über die konsequente Abschiebung terroristischer Gefährder und die Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr bis hin zur Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats zur Bündelung sicherheitspolitischer Kompetenzen.

Dennoch sahen die Umfragen nach allen drei Triellen Scholz als den Gewinner, dennoch läuft die SPD auf Platz ein ein, obwohl die Union einen überraschenden Schlussspurt hingelegt und ein Wimpernschlagfinale erzwungen hat. Dennoch verantwortet Laschet mit knapp 25% das mit Abstand schlechteste Bundestags-Wahlergebnis, das die Union jemals eingefahren hat. Das ist ein dramatischer Einbruch, eine Klatsche, die die Union genau analysieren muss. Laschets falsch gefalteter Stimmzettel am heutigen Wahlsonntag war zudem geradezu das Symbol eines verunglückten Wahlkampfs.

Andererseits ist der Abstand auf die SPD, wie gesagt, verschwindend gering, hat Jamaika eine rechnerische Mehrheit, wird die Union vielleicht sogar – den Besonderheiten des deutschen Wahlrechts wegen – bei den Mandaten knapp vorne liegen. CDU-General Paul Ziemiak erklärte denn auch sofort nach der ersten Prognose Jamaika zur Zukunftskoalition für Deutschland. Sein CSU-Pendant Markus Blume rückte ebenfalls schleunigst von der zuvor geäußerten Position seiner Partei ab, man könne nur vom ersten Platz aus eine Regierung bilden. Wenn die Union sich jetzt, trotz der hohen Verluste, doch zusammenrauft, könnte Olaf Scholz sich als Scheinriese erweisen und Laschet doch noch Kanzler einer Jamaika-Regierung werden. Doch dafür müsste er den potenziellen Koalitionspartnern FDP und Grüne ein attraktives Angebot machen, was wohl damit verbunden wäre, weitgehende Zugeständnisse zu machen. Laschets Äußerungen am heutigen Abend, die an erster Stelle die Lieblingsthemen von Annalena Baerbock und Christian Lindner, die Klima- und Finanzpolitik, adressierten, wirkten wie eine erste Offerte an die potenziellen Jamaika-Partner.

Annalena Baerbocks Grüne landeten erwartungsgemäß nur auf Platz drei. Die rund 15% sind zu wenig, gemessen an der Ambition, die sich in der erstmaligen Nominierung einer Kanzlerkandidatin ausdrückte. Zu wenig auch, gemessen an den gewaltigen Vorschusslorbeeren, mit denen im Frühjahr große Leitmedien von „Zeit“ bis „Spiegel“ die Kandidatin geradezu überhäuft hatten. Noch im Mai lagen die Grünen bei der Forschungsgruppe Wahlen mit satten 26% auf Platz eins. Doch dann wurden die Fehler und Ungenauigkeiten ruchbar. Die nachgemeldeten Boni. Der frisierte Lebenslauf. Die Plagiate in ihrem Buch. Es folgte der Absturz.

Andererseits bedeuten die rund 14% einen Zugewinn von etwa 5%, mithin das beste Wahlergebnis, das die Grünen je bei einer Bundestagswahl erzielt haben – insofern kann die Öko-Partei hochzufrieden sein. Die Bildung einer Koalition ohne die Grünen ist fast unmöglich – und auch thematisch ist es Annalena Baerbock zumindest gelungen, das zentrale Thema der Grünen, den Klimaschutz, im Gespräch zu halten und dabei die Diskurshoheit im umweltpolitischen Bereich zu verteidigen. Unermüdlich trat sie für einen ambitionierteren Ausbau der Windkraft ein, forderte einen beschleunigten Kohle-Ausstieg und versuchte zugleich, den Bürgern die Angst vor Preissteigerungen zu nehmen, indem sie auf das geplante Energiegeld verwies, dessen soziale Wirksamkeit gleichwohl umstritten, dessen praktische Umsetzbarkeit mit Fragezeichen behaftet ist. Auch dass sie im zweiten Triell davon sprach, Verbote seien stets Innovationstreiber, war eher unglücklich, weil es das Image der Verbotspartei bestätigte, das die Grünen eigentlich loswerden wollten. Sei’s drum. Das Ergebnis kann sich trotz allem sehen lassen.

Die AfD, die voraussichtlich vom dritten auf den fünften Platz der Parlamentsparteien abrutscht, mag trotzdem zufrieden auf den Wahlausgang blicken: Dass die Rechtspopulisten das Ergebnis von 2017, als ihr Leib- und Magenthema Flüchtlingskrise in den Köpfen noch nachwirkte, nicht würden erreichen können, war klar. Dennoch wird am Ende wird wohl ein zweistelliges Resultat stehen. Damit ist einerseits klar, dass die Bäume für die AfD nicht in den Himmel wachsen. Zugleich gilt aber auch, dass all jene, die vor vier Jahren vielleicht im Stillen noch gehofft hatten, die AfD werde sich als klassische Protestpartei erweisen und als solche über kurz oder lang unter die 5%-Hürde rutschen, sich wohl oder übel daran gewöhnen müssen, dass der schrille Sound der Rechtsaußen-Partei, die sich seit dem Sturz von Parteigründer Lucke vor mittlerweile sechs Jahren schrittchenweise immer weiter radikalisiert hat, zur dauerhaften, unmelodiösen Begleitmusik im Orchestergraben der politischen Bühne der Berliner Republik geworden ist. Dass die Rechtspopulisten dabei nicht einmal davor zurückschrecken, sich selbst mit Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern gemein zu machen, hat ihr Agieren in der Corona-Krise gezeigt.

Trotz Verlusten von rund 4% kann sich die Linkspartei als voraussichtlich kleinste Fraktion im neuen Bundestag sich gleich doppelt freuen, jedenfalls wenn am Ende die 5%-Hürde tatsächlich genommen wurde, was zum  jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss ist: Einmal weil sie überhaupt den Wiedereinzug geschafft hat, sodann weil Olaf Scholz und Annalena Barbock ein Linksbündnis zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen haben. Denn auch wenn Rot-Grün-Rot keine Mehrheit hat, so ist es doch ein symbolischer Erfolg für die Linke, dass Scholz und Baerbock die Tür nie zugeschlagen haben.

Ob es klug von SPD und Grünen gewesen wäre, sich mit einer Partei einzulassen, die unter außenpolitischen Gesichtspunkten ein unsicherer Kantonist ist, die NATO ablehnt und die EU äußerst kritisch sieht, scheint gleichwohl fraglich. Dass die Partei zudem durch „innere Zwistigkeiten, deren Kristallisationspunkt Sarah Wagenknecht ist,“ gespalten ist, darauf hat der Trierer Politologe Uwe Jun im Lokalo-Interview bereits im Juli hingewiesen (s. hier). Und es sollte vielleicht auch nicht ganz in Vergessenheit geraten, dass der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Bundes vier zur Linkspartei gehörende Gruppen als extremistisch einstuft, darunter auch das trotzkistische Netzwerk marx21, zu dessen Unterstützern Ko-Vorsitzende und Spitzenkandidatin Janine Wissler lange gehört hat.

Schließlich die FDP: Auch bei ihr blieben die Zugewinne überschaubar. Stand jetzt, dürften es rund 12% werden, nach 10,7 beim letzten Mal. Strategisch hat sich die Situation der FDP aber deutlich verbessert: Nicht nur ist sie an der AfD vorbeigezogen, sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der Königsmacher bei der Regierungsbildung sein. Denn da es für eine neue, weiter geschrumpfte GroKo zwar knapp reichen wird, diese aber niemand will, und da die Linkskoalition keine Mehrheit hat, fällt der FDP eine Schlüsselrolle zu. Egal ob Ampel- oder Jamaika-Koalition, ohne die Liberalen geht nix.

Christian Lindner hat sich geschickt alle Optionen offengehalten, ließ sich nicht auf eine Koalitionsaussage festnageln, weder von Journalisten, die ihn nach seinen Präferenzen fragten, noch vom Wunschpartner CDU, der ihn in wachsender Verzweiflung über die eigenen schlechten Umfragewerte aufforderte, die Ampel auszuschließen. Gewiß: Lindner wiederholte gebetsmühlenartig, es gehe ihm um die Inhalte und ihm fehle die Phantasie, sich vorzustellen, welches attraktive Angebot Rot-Grün der FDP machen könnte. Und in der Tat: Es ist schwer vorstellbar, wie die Beteuerung der FDP, mit ihr werde es weder Steuererhöhungen noch ein Aufweichen der Schuldenbremse geben, mit dem Wunsch von SPD und Grünen nach mehr Umverteilung zusammengehen soll. Schwer ist aber nicht unmöglich. Mögliche Kompromisslinien beschrieb vor drei Wochen der ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg im „ARD Presseclub“. Und deshalb stehen Lindner alle jetzt Möglichkeiten offen. Er geht wohl mit den besten Karten in den Koalitionspoker.

Der könnte indes lange dauern. Lindner wird versuchen, die Varianten Ampel und Jamaika gegeneinander auszuspielen, um das beste Resultat für die Freidemokraten zu erzielen. Doch auch die Grünen müssen mitmachen – und dass sie, anders als die FDP, die Ampel bevorzugen, daran kann kein Zweifel sein. Olaf Scholz ist durch das schwache Abschneiden der Linken hingegen ein Trumpf aus der Hand genommen: Zu schön wäre es für den Finanzminister gewesen, allen außenpolitischen Bedenken zum Trotz mit Rot-Grün-Rot zu drohen, sollte Lindner den Bogen überspannen. Jetzt bleibt Scholz, wenn FDP und Grüne sich beide als zu widerborstig erweisen, lediglich, eine Neuauflage der ungeliebten GroKo anzustreben, vorausgesetzt freilich, die Union akzeptierte die Rolle des Juniorpartners. Dies mag unwahrscheinlich sein, undenkbar ist es aber nicht. Undenkbar ist überhaupt kaum noch etwas in einem Sieben-Parteien-Parlament.

Die Verhandlungen dürften sich also hinziehen. Vielleicht sehen wir Angela Merkel bei der Neujahrsansprache noch einmal wieder.

Vorheriger Artikel++ Aktuell: Bundestagswahl 2021 – die aktuelle Hochrechnung ++
Nächster ArtikelBundestagswahl: Schlappe für CDU in Rheinland-Pfalz – SPD wohl Sieger

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Die Redaktion behält sich vor, Lesermeinungen zu kürzen. Es besteht kein Anspruch auf die Veröffentlichung Ihrer zugesandten Meinungen. Klarname ist nicht erforderlich. Eine E-Mail-Adresse muss angegeben werden, wird aber nicht veröffentlicht.