Schockstarre in der rheinland-pfälzischen CDU: „Das wird wie Pech an ihm Kleben“

0
Er fand im ersten Wahlgang nicht die erforderliche Mehrheit im Bundestag: Friedrich Merz. Foto: Kay Nietfeld/dpa

TRIER/MAINZ. Schockstarre in der rheinland-pfälzischen CDU: «In parteiinternen Kanälen regiert das Entsetzen», sagte ein hochrangiges Mitglied, das seinen Namen nicht gedruckt sehen will nach der Niederlage von Friedrich Merz.

«Keiner versteht, wie es dazu kommen konnte. Gab es keine Probeabstimmungen? Von der Situation profitiert doch nur einer: die AfD.»

Über die Gründe, Merz die Stimme bei der Kanzlerwahl zu verweigern, wird heftig spekuliert: ein Denkzettel? Aber warum? Von selbstherrlichem Agieren Merz´ist die Rede. Oder geht es um gebrochene Wahlkampfversprechen? Oder um das gemeinsame Abstimmen mit der AfD, die der Verfassungsschutz inzwischen als gesichert rechtsextremistisch einstuft? Aber auch nicht öffentlich ausgesprochene grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz als Bundeskanzler werden für möglich gehalten. Dabei wird immer wieder das beschlossene gigantische Schuldenpaket genannt.

Julia Klöckner ist als Bundestagspräsidentin nun gefragt. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Ein Scheitern, das es so noch nie gegeben hat

Jetzt sei das Geschick von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner gefragt, sagt ein anderer CDUler. «Sie muss klug mit den Fraktionen verhandeln und dabei alle Fristen im Blick behalten.» Man habe Sorge, ob das der CDU-Politikerin aus Bad Kreuznach gelinge. «Sie ist eine sehr erfahrene Abgeordnete – aber eben keine erfahrene Bundestagspräsidentin.» Und eine Blaupause gibt es auch nicht. Es ist ein Scheitern, das es so noch nie gegeben hat.

Auch der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun spricht von einem historisch einmaligen Ereignis. Das Scheitern von Friedrich Merz im ersten Wahlgang ist seiner Einschätzung nach «ein Fehlstart, falls die Regierung zustande kommt». Ein zweiter Wahlgang im Bundestag war für den Nachmittag geplant.

Ein anderer Christdemokrat in Rheinland-Pfalz wettert ob des Ausgangs des ersten Wahlgangs: «Ich habs‘ befürchtet. Das ist das Letzte!» Er habe für ein solches Abstimmungsverhalten kein Verständnis. «Wenn jemand einen Koalitionsvertrag verhandelt, die Minister festlegt, das offiziell unterzeichnet und es im Nachgang dann nicht zu einer Wahl des Kanzlers kommt, kann es ganz vielen Abgeordneten nicht um eine Verantwortung für Deutschland gehen, sondern um ihre persönlichen Befindlichkeiten.»

Merz habe schweren Schaden – aber seine vorläufige Niederlage zeige auch das Dilemma in der «großen» Politik. «Solch ein Vertrauensbruch ist eigentlich nicht zu kitten. Genau das ist, was die Leute erwarten: dass man sich auf etwas verlassen und vertrauen kann. Wenn das nicht ist, wendet man sich ab.» Die Regierung werde nun von Anfang an mit Unsicherheiten behaftet sein, sagt ein anderes Parteimitglied. «Das wird wie Pech an ihm kleben.»

Ähnlich klingt das bei dem Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Mit dem gescheiterten ersten Wahlgang sei Misstrauen zwischen den Koalitionsparteien gesät worden. Das mindere das Vertrauen in die Berechenbarkeit der Koalition aus CDU, CSU und SPD. «Das heißt, mit anderen Worten, hier wurde ein Element der Instabilität geschaffen», erklärte Falter. «Das kann sich zwar im Laufe der Zeit bessern, aber es ist unbestreitbar ein ganz schlechter Start.»

Hat es die Populisten gestärkt?

CDU-Landes- und Fraktionschef Gordon Schnieder macht die SPD zwar nicht direkt für die Wahlniederlage verantwortlich, betont aber: «Ich stehe wie die Abgeordneten der Unionsfraktion fest hinter Friedrich Merz.» Er spricht sich für einen schnellen zweiten Wahlgang aus und appelliert an alle Abgeordneten, «ihrer Verantwortung gerecht zu werden». Der Generalsekretär der rheinland-pfälzischen CDU, Johannes Steiniger, der im Bundestag den Kanzler mitgewählt hat, äußert sich zunächst nicht.

Die SPD-Abgeordnete Tanja Machalet aus dem Wahlkreis Montabaur sprach beim Sender «Phoenix» von einer Hängepartie, die niemandem nutze. Es gehe nun darum, dass im Koalitionsvertrag Vereinbarte umzusetzen. «Eben dafür zu sorgen, dass die Populisten auch wieder deutlich kleiner werden», sagt sie. «Ganz ehrlich muss ich sagen, wenn man sich das Ergebnis jetzt heute Morgen anschaut, war das kein guter Beitrag dazu.»

SPD-Politiker: Denkzettel sei nicht angemessen

Auch der rheinland-pfälzische SPD-Landtagsabgeordnete Sven Teuber aus Trier findet klare Worte: Persönliche Interessen gehörten nach demokratischen Prozessen und klaren Mehrheitsergebnissen hinter die des Landes gestellt. «Friedrich Merz ärgern zu wollen, einen Denkzettel zu verpassen, mag mancher toll finden. Ich empfinde das aber als schädlich und der Situation nicht angemessen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Demokratie lebe vom Kompromiss. «Dieser wurde gefunden und bei aller Verletztheit einiger, sollte die Verletzbarkeit unseres demokratischen Miteinanders und der Glaubwürdigkeit von Politik, dafür nicht aufs Spiel gesetzt werden», sagte Teuber, der Landesvize seiner Partei ist.

Ministerpräsident: Gibt klares Votum für neue Regierung

Ministerpräsident Alexander Schweitzer spricht ebenfalls von «einem schlechten Start» und betont die klare Haltung der SPD. «SPD und Union haben einen guten Koalitionsvertrag miteinander geschlossen und es gibt ein klares Votum für die neue Regierung», betonte Schweitzer. «Das hat auch die SPD Bundestagsfraktion klar signalisiert, das ist auch, was die Bürgerinnen und Bürger erwarten.»

Die FDP-Landesvorsitzende Daniela Schmitt spricht von «einer Niederlage für unsere parlamentarische Demokratie». FDP-Fraktionschef Steven Wink nennt «die gescheiterte Kanzlerwahl schockierend»

Und was sagt die Wirtschaft? Das Scheitern im ersten Wahlgang sei auch für die Wirtschaft ein problematisches Signal, sagt der Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände (LVU), Karsten Tacke, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Gerade in dieser Phase anhaltender Unsicherheiten brauchen wir dringend stabile politische Verhältnisse.»

Vorheriger ArtikelKanzlerwahl 2025: Zweiter Wahlgang im Bundestag – kommt jetzt die Mehrheit für Friedrich Merz?
Nächster Artikel++ TRIER: Zwei Gebäude in Feyen in Vollbrand – Feuerwehren im Einsatz ++

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Die Redaktion behält sich vor, Lesermeinungen zu kürzen. Es besteht kein Anspruch auf die Veröffentlichung Ihrer zugesandten Meinungen. Klarname ist nicht erforderlich. Eine E-Mail-Adresse muss angegeben werden, wird aber nicht veröffentlicht.