Ein Traum von Rom: Premiere der „Tosca“ am Theater Trier

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Thorsten Büttner als Mario Cavaradossi und Arminia Friebe als Floria Tosca. Die Titelrolle wurde bei der Premiere von Diana Lamar gesungen. Foto: Martin Kaufhold

TRIER. Obwohl es am Anfang technisch etwas hakte, geriet die Premiere von Puccinis „Tosca“ am Theater Trier am gestrigen Abend zum vollen Erfolg. Ein begeistertes Premierenpublikum erlebte einen Bilderbogen ikonischer Sehnsuchtsorte in der Ewigen Stadt, vor dessen Hintergrund sich eine Handlung spannend wie ein Thriller abspielte, und hörte einige der schönsten Arien der Operngeschichte in meisterlichem Vortrag. Besonders hell erstrahlte allerdings an diesem Abend das Gestirn des Bösewichtes.

Von Alexander Scheidweiler

Standing Ovations sind zwar zur Premiere keine Seltenheit, doch diesmal waren Klatschen und Bravo-Rufe im Großen Haus des Theaters Trier hörbar noch etwas enthusiastischer als üblich. Dabei hatte die Premiere von Puccinis „Tosca“ in der Inszenierung von Operndirektor Jean-Claude Berutti am gestrigen Samstagabend etwas ruckelig begonnen: Während Marc Kugel als Cesare Angelotti, entflohener politischer Gefangener und Ex-Konsul der kurzlebigen römischen Republik von 1798/99, verzweifelt ein Versteck vor den Schergen des gefürchteten Polizeipräsidenten Scarpia suchte und unter der Bühnenfalltür dann auch fand und Marcel Brunner in der Rolle des Mesners das Publikum mit vergnüglichem Bassbuffobegranteln der Mühsal der Existenz im Allgemeinen und der Arbeit als Küster in der kuppelprächtigen Kirche Sant’Andrea della Valle, welche der bis dahin reichlich dunkle und karge Bühnenraum vorstellen sollte, im Besonderen das Premierenpublikum zum Schmunzeln brachte, erschienen auf der dunklen Rückwand des Bühnenraumes sekundenweise wenig dekorative Windows-Screens.

Mario und Tosca in der Kirche. Foto: Martin Kaufhold

Nun hätte man hier vielleicht einen raffinierten Regie-Kunstgriff Beruttis vermuten können, eine Art Verfremdungseffekt zur Schaffung von Distanz vom Bühnengeschehen, zur Eröffnung eines Reflexions-Raumes und -Rahmens, zur Ermöglichung des Hinterfragens des Gesehenen. Indes gerade als Thorsten Büttner in der Rolle des Malers, voltairianischen Krypto-Republikaners und Tosca-Liebhabers Mario Cavaradossi sich anschickte, zum „Dammi i colori“ und damit zum ersten Arien-Highlight des Abends anzusetzen, erschien Berutti selbst auf der Bühne und erklärte, man habe leider ein technisches Problemchen, brauche nochmal fünf Minuten und werde dann erneut von vorne beginnen. Das Publikum nahm’s überhaupt nicht krumm – eher im Gegenteil. Eine solche kleine Panne wirkt eher sympathisch. Die Wartezeit überbrückte man etwa durch Aufrufen der Seite des Fußball-Magazins „Kicker“ per Smartphone – immerhin ist ja auch WM, was fast so wichtig ist wie eine Opernpremiere.

Der karge Bühnenhintergrund wäre auch überraschend gewesen, hatte Berutti doch bei der Vorstellung des Saisonprogramms im April eine „sehr klassische“ Inszenierung versprochen, „bilderreicher als die drei Akte bei Puccini“ (lokalo berichtete). Und dieses Versprechen wurde auch eindrücklich eingelöst, als es wieder losging: Farbenfroh erschien das Innere der gewaltigen Basilika aus dem 16. Jahrhundert an der Rückwand, so dass Büttner nun auch in standesgemäßer und passiger Atmosphäre seinen kristallenen, kraftvollen, raumgreifenden Tenor zum „Dammi i colori“ erklingen lassen konnte, eine beeindruckende Darbietung, die ihm zurecht den ersten Szenenapplaus des Abends eintrug.

Ein Moment der Reflexion. Foto: Martin Kaufhold

Nun, da die Technik mitspielte, zeigte sich schnell, dass Beruttis Inszenierung den ganzen Zauber der Örtlichkeiten einfängt, einen Bilderbogen und Traum von Rom entfaltet, den Zuschauer mitnimmt in die Welt des Künstler- und Märtyrerinnen-Dramas vor historischer Kulisse, das die „Tosca“ ist. Die Kirche Sant’Andrea della Valle, der Palazzo Farnese, prachtvoller Herrscherbau der Renaissance und später genutzt von den sizilianischen Bourbonen, die in der „Tosca“ im Hintergrund so eine große und verheerende Rolle spielen, und schließlich die mächtige Engelsburg, ursprünglich römisches Kastell, später dann päpstliches Gefängnis: Drei Akte, drei Monumentalbauten, drei steinerne Zeugen der Geschichte und steingewordene Seinsweisen von Macht – die Kirche, der Palast, das Gefängnis. In Beruttis Inszenierung werden sie an an die Rückwand projiziert, so dass man sich an diese ikonischen und jedem Romreisenden so vertrauten Orte versetzt glaubt. Am Anfang, am Ende und zwischen den Akten verfolgen wir den Weg der Protagonisten anhand einer Karte der Ewigen Stadt – wir sind wirklich mittendrin. Und diese unapologetische Freude an den Schauwerten ist auch gut so: In dieser Inszenierung wird erfreulicherweise nicht dekonstruiert, sondern zelebriert, die Magie der dramatischen Illusion nämlich, die die Magie der Klänge noch erhöht. Auch die Kostüme und Requisiten lehnen sich an die historische Epoche an, atmen den Geist der Zeit, vom klassizistisch-antikisierenden Kleid Toscas und dem reich paspelierten Frack Scarpias bis hin zu den silbernen Kerzenständern auf des Polizeichefs Tafel und dem Gänsekiel auf seinem Schreibpult im zweiten Akt.

Zur Erinnerung: Die vom revolutionären Frankreich aus der Taufe gehobene Römische Republik war nach nur einem Jahr von den neapolitanischen Bourbonen besiegt worden und diese nahmen, die Monarchie wiederhergestellt, vom Palazzo Farnese aus Rache an den Unterstützern der Republik. Dies ist die Lage an jenem 17./18. Juni im Rom des Jahres 1800, an dem die Handlung spielt. Mario Cavaradossi, in Sant’Andrea della Valle an einer Maria Magdalena arbeitend, versteckt den entflohenen Ex-Konsul Angelotti in seiner Villa. Der dämonische Polizeichef Scarpia facht die Zweifel von Cavaradossis Geliebter, der notorisch eifersüchtigen, gefeierten Primadonna Floria Tosca an, ihr Mario betrüge sie mit der Gräfin Attavanti, während er – also Scarpia – insgeheim selbst längst ein Auge auf die schöne Sängerin geworfen hat. Im zweiten Akt erpresst der Polizeichef Tosca, indem er Cavaradossi bestialisch foltern lasst: Sie verrät den Aufenthaltsort Angelottis und willigt, obwohl angewidert, ein, sich Scarpia hinzugeben, wenn dieser Cavaradossi und ihr selbst freies Geleit garantiert. Dies sichert der Polizeichef zu, doch just als er den Passierschein ausgestellt hat, stößt Tosca ihm das Messer ins Herz und eilt zu ihrem Mario, der in der Engelsburg gefangen gehalten wird, um ihm mitzuteilen, dass er lediglich zum Schein erschossen werde, man danach aber fliehen könnte. Auf das böse Erwachen hin, als Cavaradossi tot am Boden liegt und sie erkennen muss, von Scarpia getäuscht worden zu sein, stürzt die Primadonna sich in den Tod.

Tosca und der gefolterte Mario. Foto: Martin Kaufhold

Das Drama der doppelten Künstler-Vita und Liebesgeschichte des freigeistigen Cavaradossi und der äußerst frommen Floria Tosca ist somit zugleich Historiendrama der Umwälzungen und Kämpfe des Napoleonischen Zeitalters, spannend, intrigenreich, mit hohem Tempo und großen Emotionen, fast schon in „real time“ und mit geradezu proto-cineastischen Schockeffekten, wenngleich die Folter Cavaradossis sich dann doch hinter – oder eben in Trier unter – der Bühne (unter der Falltür) vollzieht. Der Baron Scarpia, so bösartig und verschlagen er auch sein mag, ist dann halt doch kein Hannibal Lecter, wenngleich man bei Puccini immer irgendwie den Eindruck gewinnt, dass der Komponist, wäre er vielleicht 40, 50 Jahre später geboren worden, möglicherweise in die USA ausgewandert und ein erfolgreicher Hollywood-Regisseur geworden wäre. Wild West-Affinität hat er ja später tatsächlich mit der „Fanciulla del West“ bewiesen. Neben der berückend schönen Musik ist es gerade dieser „Drive“, diese Dynamik, diese filmisch anmutende Modernität der Puccini-Opern, die den Lucceser Meister auch zu so einer hervorragenden Einstiegsdroge für all jene macht, die noch keine Opern-Aficionados sind, aber es vielleicht werden wollen.

In der Titelrolle der Floria Tosca gab Diana Lamar ihr Rollendebüt und ihren Einstand am Theater Trier nicht nur mit nuancenreichen Klangfarben und einfühlsamer Phrasierung, sondern auch mit einem kräftigen Schuss Schauspielkunst – von mädchenhaft-verliebt und tändelnd bis eifersüchtig-zänkisch im ersten Akt, zwischen flehentlich-verzweifelnd und rächender Furie schwankend im zweiten Akt, neue Hoffnung schöpfend und schließlich schockiert und abrupt mit dem Leben abschließend im dritten Akt. Ergreifend ihr „Vissi d’arte“ im zweiten Akt, der fassungslose Hilfeschrei der frommen Seele, die sich im Angesicht des Zynismus der Macht von Gott verlassen glaubt. Aber auch Thorsten Büttner sei nochmals ein Lob dafür, mit welcher Hingabe und stimmlichen Geschmeidigkeit er im dritten Akt das „E lucevan le stelle“, diese im wahrsten Sinne des Wortes eskapistische und daher so lockende, verführerische Vision eines einstigen Glücks, in Banden und im Angesicht des Todes geschaut, diese Hymne auf seine erste Liebesnacht mit Tosca, vorträgt.

Tosca ersticht Scarpia (Roman Ialcic). Foto: Martin Kaufhold

Doch es muss gesagt werden: Diese „Tosca“ lebt sehr von ihrem Bösewicht! Zwar tritt der Baron Scarpia erst gegen Ende des ersten Aktes auf und im dritten Akt gar nicht mehr, indes haben Puccinis Librettisten Guiseppe Giacosa und Luigi Illica mit dem sadistischen Polizeichef einen Schurken geschaffen der nur mit der Shakespear’schen Elle zu messen ist – nicht umsonst vergleicht er sich indirekt mit Iago – und der durch die Rücksichtslosigkeit und Besessenheit, mit der er die Regimegegner verfolgt und Tosca manipuliert eigentlicher Treiber der tragischen Handlung ist. Und Roman Ialcic, der schon als Philipp II. in Verdis „Carlos“ vollauf zu überzeugen vermochte (lokalo berichtete), verkörpert diesen Exponenten eines Polizeistaates der Napoleonischen Ära, durch den die „Tosca“ so prophetisch auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts vorausweist, perfekt, wobei ihm freilich seine imposante, stattliche Erscheinung sehr zupass kommt, durch die er schon rein physisch die Bühne dominiert.

Wenn der hochgewachsene Bass mit seinen Häschern – gekleidet in schwarze, von ferne an die SS gemahnende Uniformen – erstmalig die Bühne betritt und mit einem donnernden „Un tel baccan in chiesa!“ („Solch ein Aufruhr in der Kirche!“) den fröhlichen Reigen der Chorknaben ob des vermeintlichen Sieges der Österreicher und Russen über Napoleon bei Marengo unterbricht, dann fällt wirklich der lange Schatten der Macht über das Theater, bereitet sich die drückende Atomsphäre aus, die dieser Agent des Unterdrückungsapparates auch verbreiten soll. Großartig auch, wie Brunner in der Rolle des Mesners vor ihm zittert, die Angst des kleinen Mannes vor der kalten Machmaschine veranschaulicht. Nein, diese Oper bedarf keiner Inszenierung, die sie gewollt zu aktualisieren versucht – wer da nicht erkennt, dass die „Tosca“ eine zeitlose Warnung ausspricht, dem ist nicht zu helfen! Gewiss, verglichen mit den monströsen Bespitzelungs-Apparaten der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts oder der orwellianisch anmutenden Cyber-Überwachung, der das China Xi Jinpings seine Bürger unterwirft, nehmen sich die polizeistaatlichen Strukturen von anno Napoleon und Metternich bescheiden aus – und dennoch können sie zur Metapher werden für das, was später kam und noch drohen könnte.

Im Verlies in der Engelsburg. Foto: Martin Kaufhold

Die diabolische Freude des Manipulators darüber, die Saat von Zweifel und Zwietracht in Toscas Herz gesät zu haben, ist bei Ialcics Interpretation des Scarpia mit Händen zu greifen, wenn er das „Già il velen l’ha rosa“ („Schon wirkt das Gift“) singt. Im Finale Furioso des ersten Aktes, als Scarpia, während der Chor das Te Deum anstimmt, heraussingt: „Tosca, mi fai dimenticare Iddio“ („Tosca, du lässt mich Gott vergessen“) läuft Ialcics wangererfahrener, ausdrucksstarker Bassbariton zu voller Größe auf: Es besteht kein Zweifel mehr, von welch abgründigen, destruktiven Leidenschaften Scarpia getrieben wird. Ähnlich eindringlich wird es dann im zweiten Akt, wenn er Tosca seine sadistischen Begierden, die von ihrer Furcht noch angestachelt werden, offenbart („Quel tuo pianto era lava ai sensi miei“ / „Deine Tränen waren Lava für meine Sinne“). Ein so überzeugender Scarpia ist eine Seltenheit!

Wie stets wird die Leistung der Sänger natürlich vom Philharmonischen Orchester der Stadt Trier getragen, das unter der Leitung von Generalmusikdirektor Jochem Hochstenbach das rast- und atemlose Vorwärtsdrängen der Partitur zugleich mit Präzision und Einfühlungsvermögen zum Leben erweckt. Allein das sanfte Klarinettensolo, das den Beginn von „E lucevan le stelle“ umschmeichelt, war den Besuch der Vorstellung wert!

So bietet die Trierer „Tosca“ einen Traum von Rom, der die Zuschauer mitnimmt auf eine Reise an die Sehnsuchtsorte der Ewigen Stadt, zu einem Schicksalsmoment der Geschichte, an die Gipfel- und Tiefpunkte einer tragischen Liebe und in die seelischen Abgründe eines tyrannischen und maßlosen Menschenfeindes. Einige der schönsten Arien der Musikgeschichte erklingen in meisterlichem Vortrag, die Handlung ist spannend wie ein Thriller – diese „Tosca“ ist ein Genuss für eingefleischte Opern-Freunde und ein großartiger Einstieg für alle, die in die Welt der Oper reinschnuppern möchten.

weitere Termine: 9.12., 20.12. und 25.12, jeweils 19.30 Uhr, und 29.1., 16.00 Uhr

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