TRIER. Am gestrigen Mittwochabend sprachen in der sehr gut besuchten Trierer Markt- und Bürgerkirche St. Gangolf der langjährige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn und der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Forum Bürgerkirche“ zum Thema „Sind Wege zum Frieden möglich? Selig sind, die Frieden stiften“. An zwei gehaltvolle Impulsvorträge, in deren Zentrum der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stand, schloss sich ein Dialog der Referenten an, moderiert von der bekannten ZDF-Journalistin Gundula Gause, der das Thema weiter vertiefte und Raum für Publikumsfragen bot.
Von Alexander Scheidweiler
Nachdem die Klänge von Felix Mendelssohn-Bartholdys „Verleih uns Frieden“, der Vertonung des gleichnamigen Friedensgebetes von Martin Luther, gespielt auf der Orgel von Martin Leinweber aus Prüm, die zahlreich erschienenen Besucher auf den Abend eingestimmt hatten, führte Bernhard Kaster vom Kuratorium Markt- und Bürgerkirche St. Gangolf in den Abend ein. St. Gangolf sei „immer primär die Kirche des Gebetes, die Kirche der Stille, die Kirche der Messen“, so Kaster, zugleich aber auch „die Kirche des Austauschs, der Begegnung zu Themen, die unsere Herzen bewegen“. Hierzu gehöre gerade in der Gegenwart in besonderem Maße „die Sorge um den Frieden“ und „die Sorge, dass Konflikte sich nicht ausweiten“, mithin „ein Kernthema des christlichen Glaubens“, das zu behandeln St. Gangolf der richtige Ort sei. Kaster dankte Gundula Gause für ihre spontane Zusage, die professionelle Moderation des Dialoges zu übernehmen, und begrüßte Jean Asselborn als wichtige Stimme in Europa. Kaster dankte auch Bischof Ackermann für dessen schnelle Zusage und wies darauf hin, dass Ackermann mehr als zehn Jahre lang der Deutschen Kommission Justitia et Pax vorsaß.
Gause machte deutlich, dass die schrecklichen Nachrichten aus der Ukraine auch einen Nachrichten-Profi wie sie belasteten: „Das geht einem schon nahe“. Als praktizierende Christin wolle sie im Angesicht der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine gerade an einem Ort wie St. Gangolf betonen: „Wir haben einen übergeordneten transzendentalen Bezugspunkt. Wir glauben an einen Gott, diejenigen unter uns, die Christen sind.“ Religionen dürften niemals instrumentalisiert werden, doch allen Religionen sei gemein, dass sie den Frieden wollen. Wenn sie in ihrer Arbeit Meldungen und Bildmaterial aus der Ukraine für die ZDF-Nachrichten vorbereite, so tue sie dies auch, weil sie sich nicht daran gewöhnen wolle, dass jeden Tag Menschen „in einem vollkommen sinnlosen Krieg sterben“.
Als versierter und profilierter Europapolitiker ging Asselborn in seinem Vortrag von der Feststellung aus, dass die Europäische Union zuallererst als ein Friedensprojekt angetreten ist, ursprünglich basierend auf der Versöhnung Frankreichs und Deutschlands: „Frankreich und Deutschland ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts in der Europäischen Union.“ Die EU sei ferner wichtig, weil es Themen gebe, „die selbst die größten Staaten in Europa, Frankreich und Deutschland, nicht selbst fähig sind zu lösen“. Der ehemalige luxemburgische Außenminister nannte in diesem Zusammenhang die Großthemen Migration, Klimawandel sowie Wirtschaft und soziale Integration. Schließlich gelte: „Interessen, die nicht auf Werten basieren, sind nicht nachhaltig.“ Daher müsse man sich vergegenwärtigen, dass die EU „eine Gemeinschaft, die auf Werten aufgebaut ist“, darstellt. Dies sei deshalb wichtig, weil die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts zeige, dass es nicht genüge, einfach Unterschriften unter Verträge zu setzen. Dies sehe man daran, dass der russische Präsident Wladimir Putin sich immer wieder über alle Abkommen, die er unterschieben hatte, einfach hinweggesetzt hat. Daher gelte: „Es sind die Werte, die wir leben, die den Frieden sichern.“
Asselborn schlug einen weiten außenpolitischen Bogen: Mit der Osterweiterung vor rund 20 Jahren habe die Union etwa 100 Millionen Menschen zu europäischen Bürgern gemacht und so den Auftrag der Geschichte angenommen, was zu einem erheblichen Anstieg von Wohlstand und Bildungsniveau in den aufgenommenen Staaten geführt habe. Nun sei die Union in der Situation, dass erstmalig in ihrer Geschichte zehn Kandidaten an ihre Tür klopften. Asselborn unterstrich, dass darin eine große Herausforderung liege. So sei Serbien ein Schlüsselstaat auf dem Balkan, der sich leider nicht auf die Europäische Union fokussiere, sondern mit Russland liebäugele. Wenn man den Frieden in Europa dauerhaft sichern wolle, müsse, bei allen Schwierigkeiten, der Integrationsprozess auf dem Balkan Fortschritte machen. Die Türkei habe „einen Präsidenten, der äußerst multidirektionell ist“, so Asselborn diplomatisch. Deren Präsident Erdogan liefere zwar Waffen an die Ukraine, trete aber zugleich oft mit Putin als Tandem auf. Das größte Problem sei hier aber die Situation der Menschenrechte: „Solange es Hunderte, vielleicht Tausende Menschen in der Türkei gibt, die wegen ihren Ansichten im Kerker sitzen, kann die Türkei kein Mitglied der Europäischen Union werden.“
Asselborn warf einen Blick auf die beiden größten Staaten in der EU, auf Deutschland und Frankreich. Er zeigte sich besorgt angesichts der Wahlerfolge der AfD in Ostdeutschland und mahnte angesichts der gegenwärtigen Debatten um Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen, die Freizügigkeit im Schengen-Raum nicht zu gefährden. Zwar sei es richtig, dass das Dubliner Abkommen nicht funktioniere, doch wenn nun jedes Land sich das Recht herausnehme, Schengen außer Kraft zu setzen, werde die wichtigste Errungenschaft der europäischen Einigung neben dem Euro zunichte gemacht. Vielmehr könne das Migrationsproblem nur gelöst werden, „wenn im Süden registriert wird und wenn der Norden sich obligatorisch an der Verteilung der Menschen, denen internationaler Schutz zugestanden wurde, beteiligt“.
Die politische Lage in Frankreich bezeichnete Asselborn als „schwierig“. Präsident Macron habe schon seit 2022 keine parlamentarische Mehrheit mehr, die vorgezogenen Neuwahlen nach der Europawahl haben dieses Problem noch verschärft. Der ehemalige EU-Kommissar und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier bemühe sich, eine Regierung zustande zu bringen, doch diese „Regierung wird in den Fängen von Le Pen sein“, so Asselborns Befürchtung. Besonders die hohe Staatsverschuldung Frankreichs sei in diesem Zusammenhang besorgniserregend, da ohne eine solide Haushaltspolitik in Frankreich der Euro ins Wanken geraten könnte.
Trotz dieser Schwierigkeiten habe die Europäische Union eine klare Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: „Die Europäische Union steht klar auf der Seite des Angegriffenen, der Ukraine.“ Es sei wichtig, dass die EU dem Land weiter helfe, denn der Krieg gegen die Ukraine „ist auch ein Krieg gegen die Demokratie und gegen das internationale Recht“. Asselborn warnte, dass Putin bald an den Grenzen Polens und der baltischen Staaten stehen werde, wenn der Westen die Unterstützung des angegriffenen Landes einstelle. Der Gedanke, die Ukraine müsse Territorium abgeben, um im Gegenzug einen Frieden zu bekommen, kranke daran, dass man dadurch legitimieren würde, „dass ein Land gegen alle Regeln der internationalen Gesetze sich mit Gewalt Territorium aneignet, das völkerrechtlich einem anderen Land gehört“. Gegenwärtig warte Putin den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November ab, gleiches gelte im Grunde auch für die NATO und die EU. Der Westen habe die Verpflichtung, der Ukraine dabei zu helfen, in eine möglichst starke Position für mögliche Verhandlungen zu gelangen. Die Frage der Verhandlungen selbst sei aber „alleinige ukrainische Kompetenz“.
Bischof Ackermann erinnerte in seinem Vortrag daran, dass für das erfolgreiche Friedensprojekt Europa „die christliche Inspiration eine wichtige Rolle gespielt“ hat. Die Friedenslehre Jesu, die in dem Wort aus der Bergpredigt, das das Motto der Veranstaltung bildete, zum Ausdruck komme, könne auch Menschen Orientierung geben, die selbst keine Christen seien. Dabei sei es wichtig, wie Papst Franziskus betont habe, das Jesus-Wort richtig zu verstehen: Es heiße „Selig sind, die Frieden stiften“, und nicht „Selig sind, die Frieden predigen“, so Ackermann. „Das ist harte Arbeit und das ist auch Handwerk.“ Durch den Kontext der Bergpredigt, die „der innerste Kern der Ethik des Evangeliums“ sei, werde die Friedenslehre Jesu noch herausfordernder, nämlich durch die Aufforderung, auch die andere Wange hinzuhalten.
Man müsse dabei aber sehen, „dass Jesus nicht jemand ist, der sagt: ‚Lass dir alles gefallen‘.“ So zeige die Auseinandersetzung mit den Pharisäern, dass Jesus „sehr wohl rote Linien aufgewiesen hat“. In der Konfrontation mit dem Bösen und dem Dämonischen trete Jesus nicht in den Dialog ein sondern sage faktisch: „Mit dem Bösen ist an einer bestimmten Stelle nicht zu diskutieren, nicht zu dialogisieren, sondern man muss sich abgrenzen.“ Die „Sinnspitze“ der Aufforderung, die andere Wange hinzuhalten, sei, anders zu reagieren, als das Gegenüber es erwarte, und so die Spirale der Gewalt zu durchbrechen, sagte Ackermann. Zugleich müsse man aber eben auch sehen, dass Jesus sehr wohl rote Linien ziehe.
Auf Basis dieses Befundes im Neuen Testament haben sich in der kirchlichen Friedenslehre zwei Traditionslinien herausgebildet, so Ackermann, diejenige „des radikalen Pazifismus“ und eine andere, die davon ausgehe, „dass es Situationen geben kann, wo, in bestimmten Grenzen, Gewalt auch vor dem Hintergrund der Botschaft Jesu Christi legitim ist“. Es gebe daher ein breites Spektrum an Antworten, „die man geben kann, ohne den Boden des Evangeliums zu verlassen“. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es einen Unterschied mache, ob man lediglich für sich selbst entscheide, wie man auf Gewalt regiere, oder ob man Verantwortung trage „für andere Menschen, für eine Familie, für ein ganzes Land“.
Die Deutsche Bischofskonferenz habe sich bemüht, dem mit ihrem aktuellen Friedenswort Rechnung zu tragen. Die Bischöfe betonten darin „die primäre Option für die Gewaltfreiheit“. Die Gewaltprävention müsse Vorrang haben, auch politische Mittel wie Sanktionen kämen in Betracht. Militärische Gewalt bleibe hingegen die „ultima ratio“. Zugleich werde aber zugestanden, dass es Situationen gibt, „in denen staatliche Waffengewalt nicht grundsätzlich und ausnahmslos ethisch zu verwerfen ist“. Hierfür gebe es aber Legitimitätskriterien, die als „Leitplanken in komplexen Abwägungsprozessen“ zu verstehen sind. Ackermann führte aus, dass es sich dabei konkret zunächst um die Vorhandenheit eines ethisch verantwortbaren Zweckes für die Gewaltanwendung handele. Ein Angriffskrieg scheide daher von vornherein aus. An zweiter Stelle sei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dies schließe u.a. ein, dass auf Gewaltanwendungen gegen Zivilisten verzichtet werden muss und die Menschenrechte zu beachten sind. Schließlich müsse eine Gewaltanwendung, um legitim zu sein, in ein politisches Konzept eingebunden sein. Dies müsse stets Gegenstand der Diskussion sein, auch wenn die Politik gerade diesen Punkt nur ungern in der Öffentlichkeit bespreche. Ackermann verwies in diesem Kontext auf den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, der gesagt habe. „Ein Militär kann Siege erringen, aber nicht Frieden schaffen.“
Im von Gundula Gause moderierten Dialog betonte Asselborn, dass die Europäische Union im Vorfeld der russischen Invasion das Gespräch nicht abgebrochen, sondern alles versucht habe, um eine militärische Eskalation zu verhindern. Doch Russland habe sich zwar ständig auf die Charta der Vereinten Nationen berufen, diese aber in der Realität mit Füßen getreten. Ackermanns Ausführungen aufgreifend, sagte Asselborn: „Es gab keine andere Wange mehr. Wenn man gegen das internationale Recht verstößt, die Grenzen eines Landes nicht respektiert, sagt, dass dort nur noch Nazis leben“, werde es beim besten Willen fast unmöglich, die Diplomatie hochzuhalten. Ackermann erwiderte, dass er als jemand, der nicht selbst in der Politik sei, nur hoffen könne, „dass schon hinter den Kulissen auch gesprochen wird.“ Der Heilige Stuhl tue dies und versuche immer wieder, bestimmte Dinge auszuloten, z.B. was die Rückkehr von durch Russland verschleppte ukrainische Kinder angehe.
Asselborn gab zu bedenken, dass das Problem darin bestehe, „dass man keinen Ansatzpunkt hat“. Eine Chance könne sich allenfalls nach den US-Wahlen eröffnen, da Putin einstweilen auf Trump hoffe. Dieser sei der einzige US-Präsident, den er in seiner langen Karriere erlebt habe, der sich gegen Multilateralismus ausgesprochen habe. Die Chance auf einen Frieden hänge aber zentral „davon ab, wie die Welt sich zusammenreißt“. Das Instrument hierfür sei die UNO, was aber nicht funktioniere, v.a. deshalb, weil die Länder des globalen Südens den Krieg in der Ukraine als rein europäisches Problem ansähen. Er habe immer wieder versucht, dagegen zu argumentieren, indem er betonte, dass es sich um einen Krieg gegen das internationale Recht und die Demokratie handele. Wenn Putin den Krieg gewinne, werde er nicht in der Ukraine stehenbleiben. Ackermann sagte, auch die Gespräche auf kirchlicher Ebene seien schwierig. So habe der Papst bei einer Videokonferenz mit dem Patriarchen von Moskau versucht, diesem ins Gewissen zu reden, indem er dem Vernehmen nach sagte, Kirchenführer seien „nicht die Messdiener von Diktatoren“. Diese pointierte Äußerung sei aber bei dem Patriarchen auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Zusammenfassend sagte Ackermann, er nehme aus dem Abend die große Anteilnahme der Menschen an dem Thema mit, das sich auch in zahlreichen Zuschauerfragen dokumentierte. Diese sei erkennbar nicht nur Angst davor, dass Putin im Falle eines militärischen Sieges in der Ukraine weitergehen könne, sondern „menschliche Anteilnahme an dem, was dort geschieht und an dem, was auf dem Spiel steht, auch für das Weltgemeinwohl“. Asselborn sagte, es gebe eine gewisse Machtlosigkeit, die man sich auch eingestehen müsse. Dennoch gebe es eine Pflicht, darauf hinzuwirken, dass auch die künftigen Generationen in Frieden leben können. Eindringlich rief der ehemalige luxemburgische Außenminister dazu auf, sich einzubringen und dafür zu sorgen, dass Deutschland ein Land mit Gewaltenteilung, freier Presse und einer unabhängigen Justiz bleibe. Diejenigen Parteien, die das freie Europa verteidigen, müssten gestärkt werden, und diejenigen „die das freie Europa kaputtschlagen wollen“, müssten abgestraft werden, so Asselborn unter dem Applaus des Publikums.
An den Dialog schloss sich ein Friedensgebet unter der Leitung von Domkapitular Dr. Markus Nicolai, Pfarrer von Trier-Liebfrauen an. Nicolay berichtete von seiner kürzlichen Radrundfahrt durch Luxemburg und Lothringen, bei der er an einem Kriegerdenkmal aus dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Schlachtfeld von Verdun vorbeikam. Im Angesicht dieser Mahnmale der Schrecken des Krieges sei ihm und seinem Bruder umso klarer geworden, welche Errungenschaft es ist, ohne Kontrollen die Binnengrenzen Europas überqueren zu können, überall ohne Roaming-Kosten mit dem Handy telefonieren zu können, stets mit dem gleichen Geld bezahlen zu können und von den Nachbarn freundlich empfangen zu werden. Angesichts dieser Errungenschaften und der Herausforderungen könnten Christinnen und Christen die Hände nicht in den Schoß legen. Nicolay trug im Rahmen des Friedensgebetes einen eindringlichen Text des Trierer Priesters Stephan Wahl vor, den dieser als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine verfasst hatte.
Nach dem gemeinsamen Gebet des Vater unser und dem gemeinsamen Singen der Europahymne zu einem neuen Text von Markus Leineweber endete der Abend mit einem Empfang und Umtrunk.