TRIER. Die überlebensgroße Grablegungsgruppe aus dem späten Mittelalter ist in die Trierer Markt- und Bürgerkirche St. Gangolf zurückgekehrt. Mit der Restaurierung der tonnenschweren Skulpturengruppe, die die Kirche wesentlich mitprägt, ist die Renovierung weitestgehend abgeschlossen. Doch in einer Kirche wie St. Gangolf gibt es immer noch etwas zu bearbeiten – und die nächsten Veranstaltungen sind auch bereits geplant.
Von Alexander Scheidweiler
Bei der feierlichen Altarweihe in der renovierten Markt- und Bürgerkirche St. Gangolf an Ostern im vergangenen Jahr sei einigen Kennern der Kirche aufgefallen, dass auf der rechten Seite des Hauptschiffes noch eine Lücke zu bemerken war, so Bernhard Kaster, Vorsitzender des Kuratoriums St. Gangolf, beim heutigen Pressegespräch in der beliebten Trierer Innenstadtkirche. Bei Veranstaltungen wurde der leere Raum bisweilen als Bühne genutzt, Ziel sei es jedoch stets gewesen, die Lücke wieder ihrer vormaligen Bestimmung zuzuführen, die monumentale, überlebensgroße und tonnenschwere Grablegungsgruppe aus der Mitte des 15. Jahrhundert aufzunehmen, die in einem aufwendigen Prozess umfassend restauriert wurde. Nun befindet sich das kunstgeschichtlich bedeutende Werk, fachmännisch wiederhergestellt, wieder an seinem angestammten Platz im Kircheninneren. Dort befindet sie sich seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts; zuvor war sie an der südlichen Außenwand vor der Kirche aufgestellt.
Kaster wies darauf hin, dass Grablegungsgruppen in der Kunstgeschichte eine wichtige Rolle spielen. Die Gemälde von Michelangelo und Raffael vom Beginn des 16. Jahrhunderts dürften vielleicht die bekanntesten Beispiele sein. Die spätgotische Trierer Grablegungsgruppe ist jedoch noch rund ein halbes Jahrhundert älter als die Tafelbilder der Renaissance-Maler, sie datiert etwa auf das Jahr 1450. Dabei steht die Gruppe nicht unverbunden im Gesamt-Ensemble des Sakralbaus, sondern prägt den Kirchenraum wesentlich mit. Dr. Markus Nicolay, Pastor der Pfarrei Liebfrauen, sieht „die Grablegungsgruppe in einer Reihe mit der großen Krippe, die zu Weihnachten aufgebaut wird, zum gotischen Kruzifix hinter dem Altar und nicht zuletzt zur Szene des ‚erhöhten Christus‘ auf dem Lasinsky-Fresko.“ In ihrer Gesamtheit stellten diese Werke „entscheidende Momente der Heilsgeschichte“ dar, „um den Gläubigen die Frohe Botschaft nicht nur durch das Wort Gottes und seine Auslegung in der Predigt, sondern auch bildhaft nahezubringen.“ Dies sei „insbesondere für das stille persönliche Gebet, zu dem St. Gangolf auch heute noch gerne aufgesucht wird, für viele Menschen hilfreich.“
Thomas Schiffler, Vorsitzender des Verwaltungsrates Liebfrauen, sagte, dass die Kosten der Gesamt-Renovierung der Kirche bei über vier Millionen Euro liegen. Allein die Restaurierung der Grablegungsgruppe mit Wiederherstellung des Sockels schlägt mit mehr als 65.000 Euro zu Buche, Kosten, an denen sich die Trier Gesellschaft, die auch die Restaurierung der Handwerker-Fenster unterstützt hatte, mit 3000 Euro und das Land Rheinland-Pfalz mit gut 21.000 Euro beteiligt haben. Der Rest war von der Kirchengemeinde, z.T. mit Zuschüssen des Bistums Trier, zu stemmen. Auch finanziell war die Restaurierung der Gruppe somit eine Herausforderung, weshalb die Kirchengemeinde für weitere Spenden dankbar wäre, zumal es trotz des weitestgehenden Abschlusses der Renovierung weitere Elemente des Kirchenraumes gibt, die noch zu bearbeiten sind. Schiffler nannte etwa die bessere Gestaltung des Grabes des Trierer Mystikers Hieronymus Jaegen und Kaster fügte hinzu, dass zwar die Grablegungsgruppe einen gewissen Schlusspunkt bilde, jedoch in einer so reich ausgestatteten Kirche wie St. Gangolf eine Restaurierung nie vollständig abgeschlossen sei.
Restaurator Dr. Thomas Lutgen schilderte die anspruchsvolle Restaurierung der spätmittelalterlichen Skulpturengruppe, die bereits 2020 mit dem Ausräumen begann. Dabei muss der komplette Prozess mit Fotos minutiös dokumentiert werden, um den exakten Wiederaufbau zu gewährleisten. Um die sehr schweren Figuren zu bewegen – allein die Leichnamträger wiegen rund 700 Kilogramm – kam ein spezieller Mini-Kran zum Einsatz. Die Elemente der Gruppe wurden auf Paletten in St. Paulus zwischengelagert.
Bei der Restaurierung mussten sämtliche Finger und Nasen ergänzt werden, so Lutgen, was ein Hinweis sei, dass die Gruppe in der Vergangenheit mehrfach bewegt wurde. Phasenweise habe sie sich wahrscheinlich in St. Laurentius befunden und sei dann mit dem Abbruch der Kirche in der Napoleonischen Zeit nach St. Gangolf gekommen. Auch waren in unteren Bereich der Leichnamträger-Figuren Wasserränder erkennbar, die klar zeigten, dass die Figuren zeitweise im Wasser gestanden hatten. Lutgen und seine Mitarbeiter entfernten den Wasserrand mittels Laserreinigung.
Wie Lutgen ausführte, besteht die Gruppe neben den Leichnamtägern Josef von Arimathäa und Nicodemus sowie der liegenden Christusgestalt im Zentrum aus zwei Engeln mit den Marterwerkzeugen, den sog. „arma Christi“, Geißelsäule (links) und Kreuz (rechts) sowie im Hintergrund zwei Frauen mit Salbgefäßen, Maria Magdalena mit offenem Haar, welches für ihr bewegtes Leben steht, sowie der Gottesmutter, die sich auf Johannes stützt. Lutgen hob die hohe bildhauerische Qualität der Gruppe hervor, die z.B. an der detaillierten Ausarbeitung der Bärte der Leichnamträger erkennbar wird: „Das ist bildhauerisch eine ganz, ganz hohe Qualität“, so der Restaurator. Dabei ist an den Figuren die Arbeit verschiedener Bildhauer erkennbar, was zugleich das nicht ganz einheitliche Niveau der Gestaltung erklärt. Hinzu kommen die unterschiedlichen Materialien: Während die Leichnamträger aus lothringischem Kalkstein gearbeitet sind, bestehen die Christusgestalt sowie die Figuren im hinteren Bereich aus Kordeler Sandstein. Die Wahl der verschiedenen Materialien erklärt sich aus den unterschiedlichen Präferenzen der an der Gruppe beteiligten Bildhauer: „Der Kalkstein ist butterweich, den kann man schnitzen wie Holz“, so Lutgen. Besonders französische Bildhauer verwendeten ihn daher gerne, wovon auch verschiedene Figuren in der Liebfrauenkirche Zeugnis ablegen. Der Kordeler Sandstein sei deutlich witterungsbeständiger, lasse sich aber nicht ganz so fein bearbeiten wie der Kalkstein.
Die Verwendung der verschiedenen Materialen wäre im Mittelalter allerdings optisch nicht aufgefallen, da die Figuren bemalt waren. Wie die Bemalung der Trierer Gruppe genau ausgesehen hat, ist aber leider nicht mehr rekonstruierbar, es konnten lediglich wenige rote Farbreste im Sockelbereich gefunden werden. Die Farbfassung wurde vermutlich von dem belgischen Restaurator Gustave Arthure Sobry bei Restaurierungsarbeiten um 1900 entfernt. Sobry stabilisierte auch eine der Figuren, indem er in den Sockel einen Pflock aus Eichenholz einzementierte, was aus heutiger Sicht ein denkbar ungeeignetes Material ist. Lutgen und sein Team ersetzen den Pflock durch Edelstahl.
Anders als beim Chor-Fresko von Georg August Lasinsky, bei dem eine Wiederherstellung durchgeführt wurde, wäre eine Rekonstruktion im Falle der Grablegungsgruppe aufgrund der unbekannten Farbfassung jedoch „freie Phantasie“ und verbiete sich daher vom denkmalpflegerischen Ansatz her, erklärte Lutgen. Demgegenüber mache die Gruppe in ihrer jetzt wiederhergestellten Form die Geschichte des Kunstwerkes ablesbar: Die Unterschiedlichkeit der Materialien und Ergänzungen dürfe und solle erkennbar sein. Das bedeutet beispielsweise, dass mittelalterliche Hände, bei denen etwa Finger ergänzt werden mussten, von den Restauratoren im mittelalterlichen Stil ergänzt wurden. Mussten dagegen Ergänzungen, die Sobry bei seiner Restaurierung um 1900 vorgenommen hatte, ihrerseits wiederum ergänzt werden, so geschah dies im dementsprechenden Stil.
Die eigentlichen Restaurierungsarbeiten in der Werkstatt nahmen etwa drei Monate in Anspruch und umfassten u.a. unterschiedliche Reinigungsmethoden. Zunächst wurde der Staub abgesaugt, dann wurden die Figuren schonend mit Heißdampf gereinigt, es folgte das Niederdruck-Feinstrahlverfahren „um kleine Krusten wegzukriegen“, schließlich wurde eigens ein teures Laser-Reinigungsgerät angeschafft, um die bewußten Wasserränder zu entfernen, eine Methode, die auch bei der Restaurierung von Notre-Dame in Paris angewandt werde. Mit dieser Mehrfach-Reinigung wurde „die bildhauerische Oberfläche wiederhergestellt“: „So hat der Bildhauer die Figuren abgegeben“, sagte Lutgen. Es folgten die Ergänzungen, bei denen teilweise ein spezieller Restaurierungsmörtel verwendet und farblich angepasst wurde, sodann wurden die Figuren zusammen mit den Steinmetzen und unter Einsatz des Spezialkrans an Ort und Stelle gemäß der erstellten exakten Dokumentation millimetergenau wieder aufgebaut, so dass das spirituelle Ensemble von gotischem Kruzifix im Altarraum, Grablegungsgruppe und auferstandenem Christus im Chorfresko mit seiner österlichen Motivik wieder vollständig ist und die Gläubigen erneut zum betrachtenden Gebet einlädt.
Weitere Veranstaltungen in St. Gangolf sind ebenfalls bereits geplant. So wird vom 24.8. bis 1.9.2024 die Benefiz-Verkaufsausstellung „Anja Streese featuring Conrad Klein“ gezeigt, eine Gemeinschaftsausstellung der Caritas-Stiftung „Zeichen der Hoffnung“ und des Rotary Clubs Trier. Die Eröffnung findet am 24.8., um 14.00 Uhr, statt. Der Verkaufserlös kommt wohnungslosen Menschen in der Region Trier zugute.
Am 18.9.2024 wird dann der langjährige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn zu Gast sein und mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann über das Thema „Sind Wege zum Frieden möglich? Selig sind, die Frieden stiften (Mt 5,9)“ sprechen. Die Veranstaltung beginnt um 20.00 Uhr und wird von der ZDF-Moderatorin Gundula Gause moderiert.
Die Restaurierung von St. Gangolf kann weiterhin mit Spenden an folgende Konten unterstützt werden:
Kontoinhaber: Katholische Kirchengemeinde Liebfrauen Trier
Überweisungszweck: Spende St. Gangolf
Konto Sparkasse Trier: DE20 5585 0130 0001 1242 47
BIC:TRISDE55XXX
Konto Volksbank Trier: DE48 5856 0103 0000 7037 42
BIC: GENODED1TVB