++ Nachgefragt: Möglicher nuklearer “Super-Gau” – so läuft das mit den Jodtabletten in der Region ++

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Das Atomkraftwerk im französischen Cattenom ist immer wieder aufgrund von "Pannen" im Gespräch und in den Schlagzeilen; Foto: dpa

TRIER. Sollte es zu einem nuklearen Unfall kommen, sollen Jodtabletten an die Bevölkerung ausgegeben werden. Wie dies genau funktioniert, welche Bestände existieren und von welchen Annahmen dabei ausgegangen wird, hat lokalo.de bei der zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) erfragt.

Von Alexander Scheidweiler

Schon seit längerem geht die Angst vor einem nuklearen Zwischenfall in der Region um: Im Juli letzten Jahres musste ein Reaktor des belgischen Atomkraftwerks Doel wegen eines Lecks abgeschaltet werden. Nur einen Monat zuvor hatte bereits die mittlerweile zurückgetretene zurückgetretene rheinland-pfälzische Umweltministerin Anne Spiegel („Bitte noch Gendern“) die komplette Abschaltung des Pannen-AKWs gefordert, das seit Jahren mit zahlreichen Zwischenfällen für Negativ-Schlagzeilen sorgt.

Im März dieses Jahres wurden Rostschäden an Rohren des Sicherheitseinspeisungskreislaufes (RIS) in dem nur rund 60 Kilometer von Trier entfernten französischen AKW Cattenom bekannt – das Anti-Atom-Netz Trier (AAN) warnte in einem offenen Brief, dass „die Gefahr der Kernschmelze ganz schnell akut werden“ könnte. Im selben Monat kritisierte der Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Andreas Kruppert (CDU), die Entscheidung der belgischen Regierung, den alten Reaktor Tihange 3 nicht wie geplant 2025 vom Netz zu nehmen, sondern ihn bis 2035 weiterlaufen zu lassen. Im Jahre 2018 war im Block 2 des Kraftwerks in der Provinz Lüttich bei Wartungsarbeiten maroder Beton entdeckt worden.

Das Atomkraftwerk im französischen Cattenom; Foto: dpa

Als wären dies noch nicht genug nukleare Risiken in der unmittelbaren Nachbarschaft der Region Trier, so steigert nun auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Angst vor einem nuklearen Zwischenfall: Immer wieder gerät das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine unter Beschuss, wobei Russland und die Ukraine sich gegenseitig vorwerfen, für den Beschuss verantwortlich zu sein – mit seinen sechs Reaktoren ist Saporischja das größte Kernkraftwerk in Europa. Und schließlich droht der russische Präsident Wladimir Putin seit Beginn des Krieges immer wieder indirekt mit dem Einsatz sogenannter taktischer Atomwaffen, zuletzt im Zusammenhang der völkerrechtswidrigen Annexion der vier ukrainischen Regionen Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donzek. Der amerikanische Präsident Joe Biden warnte in der vergangenen Woche gar vor einem möglichen nuklearen „Armageddon“ und verglich die Situation mit der Kubakrise des Jahres 1962, als ein Atomkrieg zwischen den Supermächten USA uns UdSSR nur knapp verhindert werden konnte.

Sollte es zu einem nuklearen Zwischenfall kommen, spielen Jodtabletten eine zentrale Rolle, da deren Einnahme eine sogenannte „Jodblockade“ bewirkt, d.h. die Aufnahme von radioaktivem Jod durch die Schilddrüse wird verhindert und somit das Risiko von Schilddrüsenkrebs verringert. Als oberste Katastrophenschutzbehörde des Landes Rheinland-Pfalz wäre im Falle eines Falles die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) mit Sitz in Trier zuständig. Auf deren Internetseite heißt es:

„Tritt bei einem schweren Unfall in einem Kernkraftwerk radioaktives Jod in die Umwelt aus, erhält die Bevölkerung im betroffenen Gebiet kostenlos Jodtabletten, um diese sogenannte Jodblockade durchzuführen. Der Zeitpunkt der Einnahme ist dabei sehr wichtig und wird von den Behörden vorgegeben. Nimmt man die Jodtablette zu früh ein, wird das Jod wieder ausgeschieden und radioaktives Jod wird aufgenommen. Bei einer zu späten Einnahme kann keine ausreichende Blockade mehr aufgebaut werden.“

Doch wie funktioniert dies genau, welche Bestände gibt es und wie sehen die Planungen der Behörde aus? Hierzu hat lokalo.de bei der ADD nachgefragt.

Timm Kauhausen, der Pressesprecher der ADD, erklärt, dass „der gesamte Bestand an Kaliumiodidtabletten in Rheinland-Pfalz bei den Kreis- und Stadtverwaltungen zur dezentralen Verteilung eingelagert ist. Um eine schnellere Ausgabe im Ereignisfall zu gewährleisten, wurde den Kreis- und Stadtverwaltungen eine Vorverteilung der Kaliumiodidtabletten auf die Verbandsgemeinden und verbandsfreien Gemeinden empfohlen.“ Wo genau die Tabletten lagern, ist aber nur den Katastrophenschutzbehörden bekannt, so Kauhausen.

Dementsprechend erfolgt bei einem nuklearen Zwischenfall die Verteilung und Ausgabe der Tabletten über in Katastrophenschutzplänen festgelegte Ausgabestellen in den Ortsgemeinden: „Dies könnten z.B. sein Feuerwehrgerätehäuser, Wahllokale, etc.. Hier werden die Kaliumiodidtabletten entsprechend an die in den Planungszonen vorgesehenen Bevölkerungsgruppen ausgegeben.“

Die Planungen der Behörde basieren derzeit ausschließlich auf dem Szenario der „Gefahr der Unfälle in kerntechnischen Anlagen“, wobei „ grundsätzlich vom schlimmsten anzunehmenden Fall“ ausgegangen werde, erläutert der ADD-Pressesprecher.

Dies bedeutet konkret, dass in einem Umkreis von 100 Kilometern rund um kerntechnische Anlagen Kaliumiodidtabletten für die gesamte Bevölkerung unter dem Alter von 45 Jahren vorgehalten werden. Flächendeckend werden sie für Schwangere sowie Kinder und Jugendliche vorgehalten. „Die Einnahme erfolgt grundsätzlich einmalig“, erklärt Kauhausen.

Die Lagerbedingungen fallen laut Kauhausen in die Zuständigkeit der jeweils lagernden Behörde. Neubeschaffungen erfolgen im Bedarfsfalle über das Land durch den Bund.

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