TRIER. Am gestrigen Samstagabend feierte „Buntes Republik. Unterhaltungsstück mit Musik in schwarz-weiß“ am Theater Trier Premiere. Die Produktion wirft einen augenzwinkernden Blick auf ein für die Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft entscheidendes Jahrzehnt und seine gesellschaftlichen Konflikte. Das Publikum ließ sich von zahlreichen Gesangs- und Tanzeinlagen von Schlager bis Rock mitreißen.
Von Alexander Scheidweiler
„Buntes Möbel – Qualität aus Deutschland“, so steht es auf dem Werbeschild, das am gestrigen Abend über dem Bühnenbild im Großen Haus des Theaters Trier schwebt, darunter ein Mikrofon auf einer Tribüne und im Vordergrund buntes Treiben: Zu Chubby Checkers „Let’s Twist Again“ tanzen Ballet-Ensemble und Schauspieler mit den charakteristischen Bewegungen – so als würde man mit dem Fuß eine Zigarette ausdrücken und sich gleichzeitig mit dem Handtuch den Rücken abtrocknen, wie Töchterchen Uschi Bunte (Anna Pircher) ihrem Vater, dem Firmenpatriarchen Heinrich Bunte (Harald Pilar von Pilchau), erklärt. Dessen komisch-ungelenke Versuche, den Modetrend der Jugendlichen zu imitieren, zeigen sogleich, dass er mit dem sich ankündigenden, kulturellen Paradigmenwechsel nur wenig anfangen kann.
Der Möbelfabrikant hat seine Mitarbeiter versammelt, um die baldige Präsentation eines neuartigen Produktes anzukündigen, des Fernsehtisches „Atlas“ aus beschichteter Pappe – besonders preisgünstig herzustellen, in Holzoptik und dabei dennoch robust. Und genau in die Zeit passend, wird doch alsbald in jedem deutschen Wohnzimmer ein Farbfernseher stehen – was die Handlung in das Jahr 1967 datiert, denn in diesem Jahr gab Willy Brandt als Vizekanzler auf der Berliner Funkausstellung den Startschuss für das deutsche Farbfernsehen, was später am Abend mit einem kleinen Einspieler aufgegriffen wird. „Meine Damen und Herren, lieber Gastarbeiter“, so adressiert Fabrikant Bunte die Anwesenden, als er seine, wie er glaubt, visionären Pläne vorstellt – und deutet zugleich an, dass er seine Tochter mit dem Entwickler des vermeintlich revolutionären Papp-Möbels, Abteilungsleiter Dr. Olaf Baumann, zu vermählen beabsichtigt. Die Weichen für die Zukunft wollen gestellt sein, immerhin will er die Firma nicht umsonst durch „Bombenterror und Besatzungszeit“ (Bunte) geführt haben.

Dies also ist die Ausgangskonstellation bei der gestrigen Premiere von „Buntes Republik. Unterhaltungsstück mit Musik in schwarz-weiß“, verfasst von Regisseur Ulf Dietrich und Intendant Manfred Langner, mit dem das Theater an „das Unterhaltungsstück Blue Jeans in der vorletzten Spielzeit“ anknüpfen möchte, wie es auf der Homepage heißt, wo „Buntes Republik“ als opulent-nostalgische Komödie” über das „Lebens- und Liebesgefühl der sechziger Jahre“ angekündigt wird, was es auch gut auf den Punkt bringt. Die gesellschaftspolitischen Konfliktlinien der Epoche sind dabei klar: Fabrikant Bunte mit seiner fassadenhaften Kleinfamilie mit Ehefrau Gertrud (Stephanie Theiß) und Tochter Uschi, dem latent herablassenden Ton gegenüber dem Gastarbeiter Giorgio, der stets mit Händen zu greifenden Misogynie und dem in der Werbetafel anklingenden surrogat-nationalistischen Wir-sind-wieder-wer-Stolz auf „Qualität aus Deutschland“ verkörpert die selbstzufriedene Wirtschaftswundermentalität der (Nach-)Adenauer-Ära, irgendwo zwischen Heimatfilm und Postfaschismus, die den materiellen Wohlstand des Landes erfolgreich aufgebaut und die dunklen Kapitel seiner Geschichte erfolgreich beschwiegen hatte.
Freilich kann und wird es so nicht bleiben: Freizügigere Mode sowie amerikanische Pop- und Rock-Musik deuten bereits an, dass die Jugend die starren Konventionen abschütteln will – und tatsächlich widersetzt sich Uschi dem Wunsch ihres Vaters, Abteilungsleiter Dr. Baumann zu heiraten. Sie zieht stattdessen, sehr zum Unmut Buntes, mit Karl-Friedrich (Lennart Hillmann), dem Sohn von Buntes Hausangestellter Elfi (Barbara Ullmann), in eine Kommune in West-Berlin, wohin Karl-Friedrich sich vor den Feldjägern geflüchtet hatte, weil er nicht zur Bundeswehr wollte. Hillmann spielt Karl-Friedrich übrigens großartig, eine Mischung aus James Dean und Rudi Dutschke, wenn einer von beiden denn über Selbstironie verfügt hätte, während Pirchers Uschi apart zwischen schüchternem Bürgerstöchterchen und keck-kesser Göre hin- und herwechselt.

Doch noch weiterer Unbill droht Fabrikant Bunte: Seine Frau beginnt, Oswald Kolle zu lesen und schließt sich schließlich, auf der Suche nach sexueller und anderweitiger Erleuchtung, der Hare-Krishna-Bewegung an. Zu unguter Letzt kracht der mit viel Tamtam angekündigte Fernsehtisch Atlas beim großen Pressetermin vor den herbeigerufenen Reportern unter dem Gewicht des Farbfernsehers zusammen. Buntes Firma scheint ruiniert.
Allein: „Buntes Republik“ ist eine Komödie, und die enden bekanntlich, genau wie Tragödien, immer mit einer Katastrophe – die aber in der Komödie Heirat heißt. Und so wird es auch hier am Ende sein, wenngleich die letztliche Auflösung der Bunte’schen Kalamitäten in Geschäfts- und Familienleben etwas bemüht daherkommt.
Einstweilen macht „Buntes Republik“ vor allem eins: sehr viel Spaß. Die zahlreichen, von Joe Monaghan choreographierten Tanz- und Gesangseinlagen zu den Klängen der Band von Schlager („Tanze mit mir in den Morgen“, „Ich zähle täglich meine Sorgen“) bis Rock („Born To Be Wild“, „Light My Fire“) u.v.m. rissen das Premierenpublikum sichtlich mit und gaben zu viel Zwischenapplaus sowie stehenden Ovationen am Ende Anlass – eine Auszeichung auch für H.C. Petzold, bei dem die musikalische Leitung liegt. Ein komödiantisches Highlight ist ferner die Performance von Stephanie Theiß, die die verschiedenen Stadien der Wandlung der Gertrud Bunte von der zugeknöpft-gehorsamen Ehefrau über die neugierige Kolle-Leserin, die sich nach erfüllter Sexualität sehnt, hin zur Erleuchtung suchenden Krishna-Jüngerin urkomisch darbietet. Aber auch Giovanni Rupp als italienischer Gastarbeiter Giorgio und Bianca Spiegel als Sekretärin Brigitte, die zunächst eine Affäre mit Bunte hat, bevor sie sich in Giorgio verguckt, liefern große Komödien-Kunst: Allein die Blicke der beiden, als sie erkennen müssen, dass sie sich ineinander getäuscht haben, weil Brigitte irrtümlich glaubte, Giorgio sei reich und besitze ein großes Weingut am Lago Maggiore, sind einfach ungeheuer witzig!

Sehr intelligent gemacht sind auch Kostüme und Bühnenbild, Monika Seidel und Dietmar Teßmann zeichnen verantwortlich: Tatsächlich beginnen Deko und Bekleidung – dem Untertitel des Stückes gemäß – in schwarz-weiß, bevor punktgenau mit der Einführung des Farbfernsehens bei Buntes verunglücktem Pressetermin (Brandt-Einspieler!) die Theaterwelt in bunten Farben erstrahlt, Symbol des Aufbruchs in eine neue Zeit.
Schade nur, dass die Autoren der Figur des Giorgio nicht etwas mehr Raum gegeben haben – die Erfahrungen der ersten Generation der sog. Gastarbeiter ausführlicher zu berücksichtigen, hätte in jedem Falle dramatisches Potential gehabt. Schade auch, dass die marxistischen Sprechblasen, die die Berliner Kommunarden von klassenloser Gesellschaft, Selbstbefreiung der Arbeiterklasse und Treue als ideologischer Maske des Besitzdenkens zum Besten geben, nicht deutlicher hinterfragt werden. „Wir müssen die bürgerliche Kleinfamilie überwinden“, heißt es einmal. Oder: „Mit den bürgerlichen Phrasen braucht ihr uns gar nicht zu kommen.“ Oder: „Klotüren sind Ausdruck bürgerlicher Fäkalprüderie.“
Aus der Distanz von mittlerweile gut fünf Jahrzehnten mag das alles ulkig bis skurril wirken. Man sollte aber nicht unterschätzen, welches destruktive Potential in den spontihaften Koketterien der 68er mit revolutionären Phantasmen und Sympathien für kommunistische Diktatoren steckte. Spätestens in den Folgejahrzehnten wurde dies offensichtlich, von Deutschem Herbst bis Herrhausen. Der Philosoph Odo Marquard schrieb einmal: „Vernünftig ist, wer den Ausnahmezustand vermeidet. Darum – meine ich – spricht alles für die Bürgerlichkeit; und darum – meine ich – spricht alles gegen die Verweigerung der Bürgerlichkeit.“ Eine zeitlose Einsicht.
Jedoch, man sollte vielleicht ein Stück, das ausdrücklich als Unterhaltungsstück angetreten ist, auch nicht mit analytischen Erwartungen überfrachten. Wie gesagt: „Buntes Republik“ macht vor allem sehr viel Spaß – ein augenzwinkernder Blick auf ein für die Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft entscheidendes Jahrzehnt, heiter-beschwingt mit vielen Melodien zum Mitklatschen. Das Premierenpublikum zeigte sich daher zu Recht begeistert, ganz besonders auch am Ende, als das Ensemble zu „Twist and Shout“ zum Abschluss eine temporeiche Tanznummer darbot.
Weitere Termine: 15.1., 13.2., 6.3., 1.4., 21.5.