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TRIER. Viele Interessierte besuchten am heutigen Sonntagvormittag das erste Theatercafé im Foyer des Theaters Trier, um sich in entspannter Atmosphäre unterhaltsam und mit einigen musikalischen und szenischen Kostproben in die anstehenden September-Premieren einführen zu lassen. Das neue Format soll künftig an jedem ersten Sonntag des Monats stattfinden.
Von Alexander Scheidweiler
Es sei die „Premiere des neuen Premierenformats“, so Dramaturgin Lara Fritz am heutigen Sonntagvormittag im Foyer des Theaters Trier über die Erstauflage des Theatercafés, in dessen Rahmen Fritz mit ihren Kollegen Malte Kühn und Philipp Matthias Müller die ersten drei Premieren der neuen Saison vorstellte. Künftig wird das Theatercafé stets am ersten Sonntag des Monats ein Forum bieten, die Premieren des jeweiligen Monats in entspannter Atomsphäre vorzustellen, die Mitwirkenden zu Wort kommen zu lassen und künstlerische Kostproben darzubieten. Das neue Format kam zum Auftakt offensichtlich gut an, denn das Foyer des Theaters war gut gefüllt, die Besucher hatten es sich bei Heiß- und Kaltgetränken an den Tischen gemütlich gemacht und waren sogar so zahlreich erschienen, dass nochmal „nachbestuhlt“ werden musste. „Besser so als andersrum“, kommentierte Kühn erfreut den Besucherandrang am Ende der rund anderthalbstündigen Veranstaltung.
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Was stand also auf dem Spielplan der Premieren-Premiere? Drei interessante Produktionen, eine aus dem Musiktheater und zwei aus dem Schauspiel: Igor Strawinskys Oper „The Rake’s Progress“ (Premiere am 10.9.), Bertolt Brechts Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“ (Premiere am 24.9.) und Thomas Dannemanns Auftragsarbeit „Untergänge“, die als Teil des Rahmens der Landesausstellung „Der Untergang des Römischen Reiches“ ihre Premiere am 28.9. im Theatersaal der Europäischen Kunstakademie in Trier-West feiern wird. Im Gespräch mit weiteren Beteiligten stellten die drei Dramaturgen ihre jeweilige Produktion vor, mit gesanglichen bzw. textlichen Kostproben als Highlights.
Kühn wies auf das große Plakat mit der Aufschrift „Vorfreude! – auf die neue Saison!“ am Eingang des Theaters hin und erklärte ironisch in Anspielung auf den Umstand, dass die Rake-Premiere coronabedingt hatte verschoben werden müssen, es gebe wohl keine glücklicheren Menschen als das Produktionsteam von „The Rake’s Progress“, da Vorfreude ja nun einmal die schönste Freude sei. Es handle sich um ein „in vielerlei Hinsicht ungewöhnliches Werk, ein singuläres Werk“, erläuterte der Dramaturg. Zum einen sei es Strawinskys längstes Werk und zugleich die einzige abendfüllende Oper des Komponisten, zum anderen sei diese in der Musikgeschichte auch deshalb singulär, weil sie auf einer Serie von Kupferstichen des englischen Malers und Moralisten William Hogarth aus den 30er-Jahren des 18. Jahrhunderts basiert, die den moralischen und gesellschaftlichen Niedergang eines „Wüstlings“ – englisch „rake“ – zum Gegenstand haben. Diesem Umstand verdankt sich die gleichfalls singuläre Tatsache, dass der Beginn der Werkgeschichte exakt datierbar ist, nämlich auf den 2. Mai 1947, als Strawinsky die Hogarth-Stiche bei einem Ausstellungsbesuch in Chicago sah und beschloss, auf dieser Grundlage eine Oper zu komponieren.
Yves Bombay, Assistent des Operndirektors, beschrieb die Hogarth-Vorlage als „schwarze Satire“ über das Großstadtleben der damaligen Zeit, wies aber zugleich darauf hin, dass Strawinsky sich im Zuge seiner Arbeit von den Stichen und ihrer Geschichte weitgehend löste, so dass das fertige Werk v.a. den Einfluss des Faust-Mythos sowie der Mozart-Oper zeigt, was sich in der klassizistischen Ästhetik mit Rezitativen, Cembalo, Arien und Duetten ausdrückt. Nicht umsonst gilt „The Rake’s Progress“ als Höhe- und Endpunkt der neoklassizistischen Phase Strawinskys, nach der er sich der seriellen Musik zuwandte. Die Geschichte der Hauptfigur Tom Rakewell, der seine Seele an den Teufel Nick Shadow verkauft, um seine Wünsche nach Geld, Freiheit und Menscheitsbeglückung erfüllt zu bekommen, am Ende die Rechnung präsentiert bekommt und dem Wahnsinn verfällt, haben Chester Kallmann und W.H. Auden, den Bombay mit Recht einen der großen Dichter des 20. Jahrhunderts nannte, in ein Libretto gegossen. Die Geschichte sei zwar moralisch, so Bombay weiter, aber doch auch von viel Humor durchdrungen, eine Satire auf die Welt des Geldes.
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Der erste Kapellmeister Wouter Padberg demonstrierte am Klavier den unverwechselbaren Strawinsky-Stil anhand des Präludiums. Die ersten drei Takte könnten von einem beliebigen Komponisten stammen, so Padberg, doch spätestens beim vierten Takt erkenne man eindeutig Strawinsky: „Vielleicht unbewusst – aber das kann nur einer sein!“ Dort, im vierten Takt, komme ein falscher Basston hinein, der in der Tat deutlich herauszuhören ist und die vorige Harmonie durchbricht. „Und das macht der ständig – die ganze Zeit“, erklärte der Kapellmeister. Dieser ausgeprägte Individualstil – Padberg sprach vom „Strawinsky-Twist“, den dieser seinen historischen Vorbildern hinzugefügt habe – sei auch auch der Grund gewesen, warum Strawinsky den Begriff „Neoklassizismus“ zur Beschreibung seiner mittleren Schaffensperiode ablehnte, da ihm dieser ihm einen Stil nahezulegen schien, der auch von anderen Komponisten verwendet wurde. Strawinsky wollte Strawinsky sein, nicht der Vertreter irgendeines Ismus.
Sodann trug der Tenor Derek Rue, der in der Trierer Produktion den Rakewell singen wird, das Rezitativ „The old fool“ und die sich direkt anschließende Arie „Since it is not by merit“, die hoffnungsfrohe, optimistische Hymne des Lebemannes, der auf sein Glück vertraut und bauen will, aus der ersten Szene des ersten Aktes kraftvoll und ausdrucksstark vor.
Regisseurin Christina Gegenbauer nannte im Gespräch mit Lara Fritz und der Schauspielerin Isa Weiss, die die Hauptrolle der Shen Te verkörpern wird, Brechts „Guten Menschen von Sezuan“ ein „tolles, turbulentes Stück“, das zu inszenieren sie sich sehr freue. Die „wilde Geschichte“ der von den Göttern beschenkten Shen Te, die sich abmüht, ihren kleinen Tabakladen über die Runden zu bringen, um anderen Gutes zu tun, dabei ausgenutzt wird und den rücksichtslosen Vetter Shui Ta erfinden und in seine Rolle schlüpfen muss, um wirtschaftlich überleben zu können, handele von Existenzängsten, Kapitalismus, Armut, Korruption, Liebe und Verlust, so Gegenbauer. Shen Te sei eine der spannendsten Frauenfiguren, die Brecht geschrieben habe, sagte Weiss. Die Bandbreite, die die empathische Shen Te und der harte Shui Ta charakterlich umfassten, machten die schauspielerische Aufgabe für sie äußerst spannend.
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Gegenbauer fügte hinzu, das Publikum erwarte „eine knackige Strichfassung“, die sich auf den Kern der Szenen konzentriere, mit einem abstrakten, nicht-naturalistischen Bühnenbild sowie die Mitwirkung des Bürgertheaters, das die Gesellschaft, in der wir leben, repräsentiere. Auch dürfe man sich auf die anspruchsvolle Musik von Paul Dessau freuen, von der Isa Weiss mit dem „Lied von der Wehrlosigkeit der Götter und der Guten“ eine Kostprobe gab.
Philipp Matthias Müller erläuterte im Gespräch mit dem aus Berlin zugeschalteten Autor und Regisseur Thomas Dannemann und der Schauspielerin Tamara Theisen, dass den „Untergängen“ eine Stückentwicklung zugrunde liegt. Es habe kein „fertiges Stück“ gegeben, so der Dramaturg. Lose eingefasst in den Rahmen der Landesausstellung, sei der Text von Dannemann im Auftrag des Theaters Trier nach und nach entwickelt worden. Dabei sei wichtig gewesen, dass das Stück nicht, wie die Ausstellung, allein den Untergang des Römischen Reiches zum Thema haben sollte, sondern die vielfältigen Facetten des Themas Untergang in den Blick nehme, von den Zusammenbrüchen ganzer Zivilisationen und Gesellschaften bis zu ganz persönlichen Krisen und Untergängen.
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Theisen betonte, dass das Produktionsteam sich intensiv ausgetauscht habe, eben weil der Begriff des Untergangs so vielschichtig sei. So sei eine „Sammlung von verschiedenen Arten von Untergängen“ entstanden. Dannemann griff den Hinweis Müllers auf, dass Besen und Wagen – anschaulich im Foyer aufgestellt – zwei für das Stück wichtige, symbolträchtige Gegenstände seien. Neues könne nur dadurch entstehen, dass man Altes hinter sich lasse. Dies habe immer etwas mit Reinigung zu tun, sowohl in persönlichen Beziehungen wie auch in Gesellschaften. Dieses ständige Unterwegssein als Teil des Lebens habe er anklingen lassen wollen. Der Autor und Regisseur wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Wort Untergang ja das Gehen schon rein sprachlich anklinge. Gerade diese Idee lasse sich im hallenartigen Theatersaal der Europäischen Kunstakademie hervorragend umsetzen.
Müller ergänzte, dass das Stück eine Zeitreise vom römischen Kapitol zum Kapitol in Washington sei, in deren Verlauf dem Zuschauer unterschiedliche Menschen begegnen, die mit Untergängen konfrontiert sind, aber auch versuchen, daraus etwas Neues zu schaffen, so dass die „Untergänge“ eben keine rein negative Perspektive entwickeln, sondern stets die Hoffnung mitschwingt: „Es ist kein rein trauriger Abend, an dem wir nur über Untergänge sprechen wollen“, so Müller. „Die Texte sind durchdrungen von Momenten der Freude, des Glücks, der Ausgelassenheit.“
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Anschließend trug Theisen eine Textpassage aus den „Untergängen“ vor, bevor Derek Rue und die Sopranistin Einat Aronstein mit dem finalen Duett von Anne Trulove und Tom Rakewell aus dem dritten Akt von „The Rake’s Progress“ den musikalischen Schlusspunkt unter eine gelungene Matinée setzten.
Das nächste Theatercafé findet am 2.10. statt. Im Zentrum wird dann die erste Tanztheaterpremiere dieser Spielzeit – „Wagners Traum“ – stehen.