TRIER. Prof. Dr. Uwe Jun ist Inhaber des Lehrstuhls für Westliche Regierungssysteme: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Trier und einer der profiliertesten Experten auf dem Gebiet der Parteienforschung. Jun ist Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und gibt u.a. die wissenschaftliche Reihe „Parteien in Theorie und Empirie“ heraus. Er ist häufiger Interviewpartner überregionaler Medien wie Phoenix und Deutschlandfunk. Im großen lokalo.de-Interview zur Bundestagswahl spricht der Experte u.a. über Merz’ Migrationspläne, Habecks Mitte-Kurs und die wachsende Stammwählerschaft der AfD.
lokalo.de: Herr Professor Jun, Deutschland steht vor einer Bundestagswahl, die in mehr als einer Hinsicht ungewöhnlich ist: Es handelt sich um eine vorgezogene Neuwahl. Diese ist zustandsgekommen, nachdem eine äußerst zerstrittene Koalition zerbrochen ist. Dabei gab es bereits im Vorfeld die in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartige Gegebenheit zu beobachten, dass diejenige Partei, die die Koalition anführte, die SPD, in den Umfragen konstant und über Monate unter 20 Prozent lag und alle Koalitionspartner gemeinsam unter 40 Prozent. Was sagt uns das über den Zustand der deutschen Demokratie und unseres Parteiensystems?
Jun: Wir erleben schon seit längerer Zeit, dass das deutsche Parteiensystem stärker fragmentiert, d.h. immer mehr Parteien schaffen es am Parteienwettbewerb recht erfolgreich zu partizipieren. Dadurch, dass immer mehr Parteien mit gewissem Erfolg im Parteienwettbewerb partizipieren und die größeren Parteien an Zuspruch verlieren, wir also eine höhere Fragmentierung haben, steigt auch die Segmentierung. Das bedeutet, der Anteil politisch nicht gewollter Koalitionen an der Gesamtmöglichkeit der Koalitionen steigt, d.h. Regierungsbildung wird erschwert, insbesondere dadurch, dass einzelne, relativ wählerwirksame Parteien als nicht koalitionsfähig angesehen werden.
Das hat eben auch zur Konstellation der Ampel-Koalition geführt, der ersten aus drei völlig eigenständigen Parteien. Diese Koalition war von Anfang an dadurch belastet, dass die FDP hier in sozioökonomischen Fragen in weiten Teilen andere Positionen vertrat als ihre beiden Koalitionspartner SPD und Grüne. Dies hat letztlich auch zum Bruch der Koalition geführt. Es waren Kontroversen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die am Ende den Ausschlag gegeben haben, die Koalition zu beenden.
Diese zunehmende Fragmentierung und Segmentierung auf beiden Ebenen führt dazu, dass die Parteiendemokratie schwerer regierbar ist, was zu einer Radikalisierung beiträgt, da zunehmend unzufriedene Wähler sich radikaleren Parteien zuwenden. Die AfD im rechten Spektrum und auch das mit teilweise mit radikalen und populistischen Positionen arbeitende BSW konnten zuletzt Erfolge feiern.
lokalo.de: Betrachten wir einmal die vormaligen Ampel-Koalitionäre der Größe nach. Da ist zunächst die SPD. Eine auffallende Besonderheit besteht darin, dass die SPD den seit mittlerweile Jahren beliebtesten Spitzenpolitiker in ihren Reihen hat, Verteidigungsminister Boris Pistorius, und dennoch mit einem außergewöhnlich unbeliebten Bundeskanzler erneut in den Wahlkampf zieht. Wie kann das sein?
Jun: Der Bundeskanzler hatte sich entschieden, dass er erneut Spitzenkandidat der SPD sein möchte, als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen möchte, und damit war es für die Parteiführung äußerst schwierig, dagegen zu opponieren, ohne die Partei zu beschädigen. Die beiden Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken hatten sich entsprechend hinter den Kanzler gestellt. Pistorius hat dann für sich noch rechtzeitig entschieden, dass ein offener Wettbewerb mit Scholz für die Partei im Wahlkampf wenig hilfreich gewesen wäre. Das hat dann dazu geführt, dass der Bundeskanzler am Ende wieder Spitzenkandidat der SPD ist.
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lokalo.de: Ich habe mir in Vorbereitung unseres heutigen Gesprächs das Interview nochmal angeschaut, das wir im Juli 2021 mit Blick auf die damalige Bundestagswahl geführt haben. Ich hatte damals auch nach den zahlreichen außen- und europapolitischen Themen gefragt, u.a. dem Konflikt im Donbas, die aber im Wahlkampf kaum eine Rolle spielten. Sie hatten damals geantwortet: „Außenpolitische Themen standen seit den 1970er-Jahren selten im Vordergrund bei Bundestagswahlkämpfen.“ Auch das ist ja bei dieser Bundestagswahl etwas anders – die Rückkehr von Donald Trump und v.a. der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind wichtige Themen. Olaf Scholz versucht sich in diesem Zusammenhang als Mann der Besonnenheit von dem vermeintlichen Hasardeur Friedrich Merz abzugrenzen. Eine ähnliche Strategie hat allerdings bereits bei der Europawahl im letzten Sommer nicht funktioniert. Ist die Strategie diesmal aussichtsreicher?
Jun: Kaum. Man sieht ja auch, dass die SPD dieses Thema eher nicht in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampfstrategie stellt, weil es eben schon im Europawahlkampf nicht funktioniert hat und weil es schwierig ist für eine Partei, auf der einen Seite zu sagen, sie seien die europäisch größten Unterstützer der Ukraine, auf der anderen Seite aber zu versuchen, die Friedenskarte auszuspielen. Diese Ambivalenz können die meisten Wähler kaum auflösen, und daher ist dies bei der SPD nicht ins Zentrum ihrer Wahlkampfstrategie vorgedrungen. Die Partei, die am meisten dieses Thema in den Vordergrund rückt, ist das BSW, das hier versucht, besonders im Osten Deutschlands die Wählerinnen und Wähler, die eher russlandfreundlichere Positionen vertreten, für sich zu gewinnen.
lokalo.de: Von den Grünen hört man in diesem Wahlkampf ungewöhnliche Töne, die noch im letzten kaum vorstellbar gewesen wären. Als Robert Habeck im Mai 2021 vorsichtig Waffenlieferungen für die Ukraine ins Gespräch brachte, wurde er sofort von den eigenen Parteifreunden scharf kritisiert. Im diesem Wahlkampf fordert der grüne Kanzlerkandidat weitgehend ohne Kritik aus den eigenen Reihen, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Das stellt ja doch einen gewissen Bruch mit den Traditionen dieser Partei dar. In den Umfragen rangieren die Grünen derzeit etwa auf dem Niveau des Bundestagswahlergebnisses von 2021, eher etwas niedriger. Trotz oder wegen dieser Kehrtwende in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik?
Jun: Wir müssen zunächst einmal konstatieren, dass die Grünen mittlerweile über eine relativ hohe Zahl an Stammwählern verfügen. Diese Stammwähler stehen ihrer Partei recht treu zur Verfügung – deswegen nennen wir sie ja so. Daher variieren die Werte der Grünen während der gesamten Ampel-Koalition kaum, weil sie ihre Stammwählerschaft ganz gut erreichen. Viele Wechselwähler haben sie im Zuge des Gebäudeenergiegesetzes, landläufig auch Heizungsgesetz genannt, verloren. Dieses hat unter anderem bewirkt, dass das „alte“ Image der Verbotspartei wieder verstärkt aufkam. Es besagt, dass die Grünen zu stark in den Lebensstil des Einzelnen eingreifen wollten. Dieses Image hält sich relativ konstant, und deswegen haben die Grünen erheblich an Wählerpotenzial verloren, aber ihre Stammwählerschaft können sie eben noch ganz gut erreichen.
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Habeck versucht die Partei stärker in die politische Mitte zu führen. Er selbst versucht auch, sich dieses Image der Mitte zu geben: Er spricht ja von den „Merkel-Wählerinnen und -Wählern“, die er erreichen will, und davon, insbesondere bei Frauen, bei jüngeren Frauen, zu punkten. Wir sehen, dass die anderen Kanzlerkandidaten und die Kanzlerkandidatin bei jüngeren Frauen nicht gut ankommen. Deswegen versucht Habeck, diese Gruppe in besonderer Weise anzusprechen.
Dass er 3,5 Prozent für die Verteidigung veranschlagt, ist Teil dieses Mitte-Kurses, den Habeck jetzt favorisiert. Übrigens legitimieren die Grünen ihre Haltung ja neu: Sie sprechen von der Auseinandersetzung der Demokratie gegen die Autokratie – und sie als Partei der Demokratie stünden eben dafür, sich gegen Autokraten wehren zu können.
lokalo.de: Da Sie das Heizungsgesetz ansprechen, das ja sehr unpopulär war: Wie schwer ist Robert Habecks Kanzlerkandidatur durch den Umstand belastet, dass unter seiner Ägide als Wirtschaftsminister und Vizekanzler Deutschland zwei Jahre der Rezession in Folge erlebt hat und wahrscheinlich jetzt noch ein drittes hinzukommen wird?
Jun: Die Grünen insgesamt haben in den Augen der Wähler wenig Wirtschaftskompetenz. Habeck kann das nicht kompensieren, im Gegenteil, als die Führungsperson in diesem Segment, also in der Wirtschaftspolitik, hat er einen Nachteil, weswegen auch diejenigen Teile der Wählerschaft ihm kritisch gegenüberstehen, die ihn mitverantwortlich machen für die von den meisten als negativ wahrgenommene Performanz der Ampelkoalition in der Wirtschaftspolitik.
lokalo.de: Blicken wir auf den kleinsten der vormaligen Ampel-Koalitionäre: Die FDP, noch bei der letzten Bundestagswahl zweistellig, und zwar zum zweiten Mal in Folge, kämpft sie aktuell mit der Fünf-Prozent-Hürde. Als die Ampel-Koalition gestartet ist, wurde der FDP allgemein bescheinigt, dass sie vergleichsweise viel durchgesetzt hatte: Das Festhalten an der Schuldenbremse zum Beispiel oder den Verzicht auf Steuererhöhungen und Tempolimit. Dennoch hat die Ampel-Koalition keinem der Partner so sehr geschadet wie den Liberalen. Woran liegt das?
Jun: Die FDP hätte mit Blick auf ihre Akzeptanz bei der Wählerschaft eigentlich nicht in diese Koalition eintreten dürfen, denn diese war von Anfang an kritisch zur Ampel eingestellt. Mit dem Beschluss der FDP, in diese Koalition einzutreten, ging ihre Wählerschaft zu nicht geringen Teilen von der Fahne. Dies beschleunigte sich im Laufe der Zeit, weil die Wählerinnen und Wähler der FDP eben nicht den Eindruck hatten, dass ihre Partei in dieser Ampel-Koalition wirkmächtig ist. Sie machten dies an der von Ihnen schon angesprochenen wirtschaftlichen Rezession fest. Die Wirtschaftspolitik ist gerade für die Wählerschaft der FDP entscheidend. Die lief nicht gut, und deswegen haben sich viele Wählerinnen und Wähler von der FDP abgewendet. Es ist jetzt nicht ganz einfach, diese Wählerinnen und Wähler wieder zurückzuholen.
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lokalo.de: Die Umfragen bieten zu diesem Zeitpunkt noch kein definitives Bild. Trotzdem scheinen die meisten Beobachter der Ansicht zu sein, dass es am Ende am ehesten auf eine ehemals Große, also schwarz-rote, Koalition hinauslaufen wird. Es ist aber ein mögliches Szenario, dass es für keine Variante aus zwei Parteien reicht und erneut eine Dreierkoalition gebildet werden muss. Könnte es eine Chance für die FDP sein, sich als möglicher Partner für eine sog. „Deutschland-Koalition“ aus Union, SPD und FDP ins Spiel zu bringen?
Jun: Ich halte diese Variante für wenig wahrscheinlich, und zwar deswegen, weil zwischen SPD und FDP das Tischtuch doch arg zerschnitten aussieht. Die Art und Weise, wie sich SPD und FDP voneinander getrennt haben in der Ampel-Koalition, lässt nicht darauf schließen, dass man vonseiten der FDP, aber auch vermutlich vonseiten der SPD – ich erinnere daran, dass der Bundeskanzler der FDP die sittliche Reife abgesprochen hat – erneut in eine gemeinsame Koalition gehen möchte. Das scheint mir ein wenig wahrscheinliches Szenario zu sein.
lokalo.de: Betrachten wir die Opposition, beginnend mit dem Oppositionsführer und Unions-Kanzlerkandidaten. Friedrich Merz gilt v.a. als Mann der Wirtschaft und wollte erklärtermaßen einen Wirtschafts-Wahlkampf führen. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, stellt die Union umfangreiche Steuerentlastungen in Aussicht: Niedrigere Einkommensteuer, niedrigere Unternehmensbesteuerung, Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen, Absenkung der Stromsteuer etc. Kann Merz mit solchen Vorschlägen punkten oder überwiegen die immer wieder geäußerten Zweifel an der Solidität der Gegenfinanzierung dieser Vorschläge?
Jun: Die CDU kann eigentlich nur punkten mithilfe ihrer Wirtschaftskompetenz insgesamt. Die CDU gilt als die Partei mit der stärksten Wirtschaftskompetenz. Das muss sie versuchen auszuspielen. Die einzelnen Vorschläge und ihre Finanzierbarkeit werden von den meisten Bürgerinnen und Bürgern kaum wahrgenommen, sondern vielmehr allgemein das Image der Wirtschaftskompetenz, die der CDU zugeschrieben wird.
Dieses Image der Wirtschaftskompetenz hätte der CDU auch stark genutzt, weil sie da einen klaren Vorsprung gegenüber den anderen Parteien hat. Friedrich Merz hat nun allerdings begonnen, eine neue Dynamik in diesen Wahlkampf hineinzubringen und das Thema Migration sehr weit nach oben in der Themenhierarchie gesetzt. Da muss man sagen, dass die CDU hier in den Augen der Wähler noch Kompetenzdefizite hat. Man muss abwarten, ob es der CDU nützlich ist, also wie der Wähler nun diese neue Dynamik aufnimmt.
lokalo.de: Sie deuten es bereits an: Wir mussten in der vergangenen Woche den schrecklichen Messerangriff von Aschaffenburg durch einen afghanischen Asylbewerber erleben, und es gab leider in der jüngeren Vergangenheit bereits mehrere, ähnlich gelagerte Fälle. Friedrich Merz tritt allerdings nicht erst jetzt, sondern schon seit längerem für Nachschärfungen im Asylrecht ein. Sie glauben aber, wenn ich Sie recht verstehe, dass er mit seinem jetzt vorgelegten, nochmals verschärften Fünf-Punkte-Plan eher nicht punkten kann?
Jun: Friedrich Merz geht damit auf jeden Fall ins Risiko. Es ist deshalb von Risiko zu sprechen, weil CDU/CSU in allen Umfragen mit einem deutlichen Vorsprung vorne lag, und die beiden Hauptkonkurrenten SPD und Grüne partiell demobilisiert erschienen. Nun hat Merz dadurch, dass er sich sehr stark mit dem Thema Migration beschäftigt und eine Zustimmung der AfD in Kauf genommen hat, den beiden Parteien wieder ein Thema gegeben, nämlich gegen rechts aufzutreten.
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Wir sehen die größten Unsicherheitsfaktoren derzeit im Wechselwahlbereich zwischen CDU und SPD. Merz geht jetzt ins Risiko, weil wir nicht wissen, wie genau diese Wählerschaft reagiert. Es kann also sein, dass die SPD wieder zurückkommt bei Teilen dieser Wählerschaft, und den einen oder anderen Wähler für sich gewinnen kann, weil Merz hier möglicherweise einen Schritt zu weit gegangen ist. Oder umgekehrt, dass er zusätzliche Wechselwähler damit für sich gewinnt. Summa summarum: Die Letztentscheidung über diese neue Dynamik trifft der Wähler.
lokalo.de: Als wir im Sommer 2021 sprachen, erklärten Sie die damals relativ guten Umfragewerte der AfD damit, dass die Partei „mittlerweile eine erhebliche Stammwählerschaft entwickelt“ habe. Damals hießen relativ gute Umfragewerte aber etwa zehn Prozent, heute steht die Rechtsaußen-Partei bei etwa dem Doppelten. Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland im letzten Herbst konnte sie Ergebnisse um die 30 Prozent erzielen – und das, obwohl sie mittlerweile in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Wie ist das zu erklären?
Jun: Die Stammwählerschaft der Partei hat sich weiter deutlich erhöht, und zwar mit dem Schwerpunkt und der Hochburg im Osten Deutschlands, aber sie kann auch in Teilen Westdeutschlands beträchtliche Erfolge erzielen, insbesondere bei derjenigen Gruppe, die wir die „subjektiv sozial Benachteiligten“ nennen. Das sind Menschen, die mit ihrer sozialen Lage unzufrieden sind und sich von den anderen Parteien nicht gewürdigt sehen. Diese Menschen neigen zur AfD und springen auch stark auf das Thema Migration an.
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Und damit kommen wir zu einem zweiten Punkt: Migration ist ein Thema, das uns seit vielen Jahren wieder mehr beschäftigt, was 2021 noch keine Rolle spielte wegen der Corona-Pandemie. Jetzt spielt es wieder eine sehr wichtige Rolle. In diesem Bereich hat die AfD sogar relativ hohe zugeschriebene Kompetenzwerte, weil sie die Auffassung nicht gerade weniger Wähler in diesem Bereich widerspiegelt. Das hat den weiteren Aufschwung der AfD erheblich begünstigt.
Hinzu kam der stetige Koalitionsstreit der Ampel-Koalition, der ebenfalls eher die AfD begünstigte, weil sie stärker als Anti-Establishment, als gegen die Regierenden, auftrat als die CDU/CSU, die zwar auch durchaus auch regierungskritische Töne laut verlauten ließ, aber nicht in dem Ausmaß wie die AfD, die noch stärker vom Zerfall der Ampel-Koalition profitieren konnte.
lokalo.de: Nicht nur die AfD, auch das BSW konnte bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland im letzten Herbst reüssieren. In Thüringen reichte es sogar, um die erste Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD zu bilden, doch mittlerweile schwächelt die linkspopulistische Partei in den Umfragen. Bleibt das BSW eine Eintagsfliege?
Jun: Die Bundestagswahl wird für das BSW sehr wichtig werden. Sollten sie unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen und damit nicht in den Bundestag einziehen – Direktmandate sind derzeit für die Partei, soweit ersichtlich, kaum erreichbar – dann wird es deutlich schwieriger für das BSW, sich seine Position im Parteiensystem zu sichern. Man muss ja klar sagen, das BSW hat bei den Landtagswahlen, auch bei der Wahl zum Europäischen Parlament, primär von der Linken Wähler gewonnen. Nun müssen sie offenkundig Teile dieser Wählerschaft wieder zurückgeben an die Linke, die in Umfragen wieder etwas zulegt.
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Das mag damit zusammenhängen, dass das Thema Ukraine-Krieg derzeit nicht mehr so hoch bei der Bevölkerung steht. Wir sehen, dass derzeit zwei Themen im Vordergrund stehen: Wirtschaft und Migration. Das sind die beiden wichtigsten Themen, die den Wahlkampf bestimmen, und der Ukraine-Krieg ist doch deutlich dahinter zurückgefallen. Das ist nun allerdings das zentrale Thema des BSW. Die anderen Themen spielt das BSW nicht so stark aus, stellt es nicht so stark in den Vordergrund des Wahlkampfs.
Dann ist da noch die Person Sahra Wagenknecht, die aber ohnehin eher im Osten ein wirksamer Faktor ist als im Westen Deutschlands. Sie hat im Westen zwar einen hohen Bekanntheitsgrad, aber nie die Popularität, die sie im Osten hatte.
lokalo.de: Ein Reformprojekt, das die Ampel allem Streit zum Trotz umsetzen konnte, ist die Reform des Wahlrechts. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings die von der Ampel vorgesehene Streichung der Grundmandatsklausel, also der Regel, dass eine Partei, die drei Direktmandate erringt, auch dann in den Bundestag einzieht, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringt, für ungültig erklärt. Werden drei Direktmandate errungen, zieht die betreffende Partei also weiterhin in den Bundestag ein. Eine Partei, die genau darauf setzt, ist die Linkspartei, die zwar in den meisten Umfragen unter fünf Prozent rangiert, aber nun die „Mission Silberlocke“ ausgerufen hat, sprich drei bekannte Herren im gesetzteren Alter – Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch – sollen die ersehnten Direktmandate gewinnen. Schafft die Linkspartei dank der silbernen Lockenpracht von Gregor Gysi den Wiedereinzug in den Bundestag?
Jun: Die Chancen stehen nicht schlecht. Erste Umfragen weisen sie ja überraschenderweise sogar wieder bei fünf Prozent aus, aber das ist mit Unsicherheiten versehen. Gysis Wiederwahlchancen stehen sehr gut. Er hat ja bisher den Wahlkreis Treptow-Köpenick immer gewonnen, seitdem er dort antritt. Die Chancen von Bodo Ramelow im Weimar sind ok. Die Chancen von Bartsch in Rostock sind durchaus auch da. Aber man darf auch Sören Pellmann in Leipzig nicht vergessen, der letztes Mal schon den Wahlkreis gewonnen hat. Ines Schwerdtner, die Parteivorsitzende, könnte in Berlin-Lichtenberg ihrer früheren Chefin Gesine Lötzsch folgen. Man hat also fünf bis sechs Wahlkreise, in denen man sich Chancen ausrechnen kann, von denen man drei gewinnen müsste. Und die Linke hat durchaus nach jüngsten Umfragen wieder eine kleine Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu erreichen, weil das BSW schwächelt.
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Da kehren offenkundig Teile der Linken-Wählerschaft wieder zu ihrer früheren Partei zurück und gehen weg vom BSW. Viel bei beiden Parteien wird davon abhängen, wer am Ende besser ausmobilisieren kann.
lokalo.de: Die Freien Wähler sind nicht im Bundestag vertreten, fahren aber eine ähnliche Grundmandate-Strategie wie die Linken, allerdings beschränkt auf Bayern, wo sie in ausgewählten Wahlkreisen mit regional bekannten Kandidaten antreten. Haben die Freien Wähler eine Chance?
Jun: So, wie derzeit die Daten liegen, kaum. Es sieht danach aus, als sollten die avisierten Wahlkreise an die CSU gehen und die Chancen nicht allzu günstig stehen für die Freien Wähler, drei Direktmandate zu gewinnen. Auch die Fünf-Prozent-Hürde ist weit entfernt.
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lokalo.de: Über mögliche Koalitionen haben wir schon ein wenig gesprochen. Wenn ich Sie zum Abschluss nun bitten darf, ein wenig in die Glaskugel zu schauen: Welche Koalitionsvarianten sind aus Ihrer Sicht die wahrscheinlichsten?
Jun: Zunächst muss gesagt werden, dass Koalitionsverhandlungen nach der kommenden Bundestagswahl äußerst schwierig werden, weil die programmatischen Differenzen doch erheblich sind. Die Merz-CDU ist wieder stärker nach rechts gerückt. Der Mitte-Kurs von Frau Merkel ist in beiden Wettbewerbsdimensionen ad acta gelegt worden, sowohl, was soziokulturelle Werte betrifft, etwa in der Migrationspolitik erleben wir es ja gerade, wie auch sozioökonomisch setzt Merz wieder stärker auf Markt und weniger auf den Staat. Das heißt also, die programmatischen Differenzen zu SPD und Grünen sind größer geworden in den letzten Jahren, sodass Einigungen in wichtigen Politikfeldern schwierig zu erreichen sein werden.
Da Merz den Wahlkampf noch stärker polarisiert hat, wird auch das zukünftige Koalitionsverhandlungen sehr stark belasten. Wir sehen, dass offenkundig wieder zwei Lager – ein bürgerlich-konservatives, rechtes Lager und ein eher linkes Lager – gegeneinander agieren. Wenn im Wahlkampf, wie im Moment gerade, die beiden Lager sich unversöhnlich gegenüber stehen, und das ist gerade in den letzten Tagen wieder deutlicher sichtbar geworden, dann dürfte das auch Koalitionsverhandlungen schwer belasten und schwierig auszugestalten sein lassen. Deswegen muss man sagen, wir müssten uns zumindest einmal mit dem Gedanken vertraut machen, dass auch eine Minderheitsregierung möglicherweise nach der kommenden Bundestagswahl zumindest in Betracht gezogen wird.
Um Ihre Frage nach den Koalitionen wiederaufzunehmen: Unter der Bedingung, dass aktuelle Umfragewerte sich im Ergebnis wiederfinden, ist die wahrscheinlichste Mehrheits-Konstellation eine schwarz-rote Regierung. Aber, wie eben schon gesagt, sind die programmatischen Differenzen zwischen SPD und Union zuletzt spürbar größer geworden, was dann Kompromisse sehr schwer erzielen lässt. Man darf also gespannt sein, ob die SPD, die ja seit 1998 fast durchgängig regiert, mit Ausnahme von vier Jahren zwischen 2009 und 2013, tatsächlich dann noch einmal in eine solche Konstellation eintreten möchten angesichts der sich verschärfenden Differenzen zwischen den Parteien. Durchaus möglich, dass die SPD entscheidet, diesmal nicht an einer Koalition mit der CDU teilzunehmen.
Dann blieben für die Union die Grünen, und da hat ja Markus Söder bisher betont, die CSU möchte nicht mit den Grünen koalieren. Es ist zwar vorstellbar, dass Söder unter bestimmten Bedingungen nochmal seine Haltung modifiziert. Aber auch da wären dann die Bedingungen zu beachten, unter denen Herr Söder in eine solche Konstellation eintritt.
Eine Koalition mit der FDP, die ja von dieser angestrebt wird, hätte nach aktuellen Umfragedaten im Moment keine Mehrheit und müsste als Minderheitsregierung ins Amt kommen.
Im Moment wenig wahrscheinlich, aber nicht vollständig ausgeschlossen ist ja auch, dass SPD und Grüne wieder eine (Minderheits-)Regierung bilden könnten.
Die neue Dynamik des Wahlkampfs hat eben auch die Frage der Regierungsbildung nach der Wahl wieder neu entfacht. Wir sehen, dass die FDP sich eher loyal zu den Plänen der CDU/CSU verhält, während Grüne und SPD mit scharfer Ablehnung reagieren. Das macht die Bildung von Mehrheitskoalitionen vermutlich sehr diffizil. Wir müssen abwarten, wie die Parteien aus dieser sich verschärfenden Konkurrenz-Situation am Ende herauskommen.
lokalo.de: Herr Professor Jun, ich bedanke mich für das Gespräch.
Jun: Sehr gerne.
Die Fragen stellte Alexander Scheidweiler.
Um Welten zu hoch bezahlter D…schwätzer!
Aber im Bundestag gibt’s derer noch mehr….
Wir haben in Deutschland Meinungsfreiheit sowie freie und geheime Wahlen. Politikwissenschaft, Laber-Fakultät. Was ich wähle entscheide ich ausschließlich selbst, egal was „Experten“, aus den verschiedensten politischen Lagern, meinen und sagen Was wir die vergangenen Tage erleben durften war eine Offenbarung. Ein gutes Zitat: „Jetzt kann jeder sehen, wer an der illegalen Zuwanderung grundsätzlich etwas ändern will (Union, FDP, BSW und AfD) und wem es nur um Korrekturen geht (SPD, Grüne, Linke). Und das ist für die Wähler, denen das Thema Migration sehr wichtig ist, eine bessere Entscheidungshilfe als jeder Wahl-O-Mat.“
Quelle: Bild-online
Es ist nicht Aufgabe des Bürgers, sein Leben für die Sicherheit anderer zu opfern wie im Falle Aschaffenburg.
Es ist Aufgabe eines gewählten Politikers, Kraft seines Amtseides alles zu tun um Gefahr von der Bevölkerung abzuwenden.
Herr Schweitzer hat genau das Gegenteil getan!
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Ein Männlein steht im Walde 🙂 Schicker Hut, passt zu dem provinziellen Trachtenmantel. Haha, der sieht ja älter aus als ich, dabei ist er 15 Jahre jünger