Kirchen als kulturelles Erbe: Kunsthistorikerin Barbara Welzel sprach in St. Gangolf Trier

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Katharina Zey-Wortmann (Katholische Erwachsenenbildung Trier), Prof. Dr. Barbara Welzel (Technische Universität Dortmund) und der Trierer Kulturdezernent Markus Nöhl (v.l.n.r.). Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Am gestrigen Donnerstagabend wurde die erfolgreiche Veranstaltungsreihe „Forum Bürgerkirche“ in der Trierer Markt- und Bürgerkirche St. Gangolf fortgesetzt. Die Kunsthistorikerin Barbara Welzel hielt auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung Trier einen Vortrag über „Kirchen als kulturelles Erbe“. Dabei betonte die Professorin der Technischen Universität Dortmund die Bedeutung der kulturellen Teilhabe.

Von Alexander Scheidweiler

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Forum Bürgerkirche“ sprach am gestrigen Donnerstagabend die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Barbara Welzel von der Technischen Universität Dortmund in der Trierer Markt- und Bürgerkirche St. Gangolf zum Thema „Kirchen als kulturelles Erbe. Orte der Begegnung und der Zugehörigkeit“. Katharina Zey-Wortmann von der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) in Bistum Trier, die die Veranstaltung organisiert hatte, hob in ihrer Begrüßung hervor, wie sehr sie von ihrem Austausch mit der Referentin profitieren konnte, insbesondere mit Blick auf das Kulturkapellen-Projekt der KEB im Trierer Land, dem mittlerweile 30 Kapellen in der Region angehören, seit neuestem auch St. Medard in Trier.

Markus Nöhl, Kulturdezernent der Stadt Trier und Mitglied im Kuratorium Markt- und Bürgerkirche, das für die Veranstaltungsreihe insgesamt verantwortlich zeichnet, betonte aus der Perspektive des Historikers, dass Kirchenbauten in der Geschichte schon immer mehr als nur die liturgische Funktion innehatten: „Es sind Orte, die eine vielfältige Nutzung möglich machen.“ Die besondere Aura und der identitätsstiftende Charakter von Kirchenbauten bringe es mit sich, dass viele Menschen dort gerne Zeit verbringen. Das Kuratorium habe es sich daher zur Aufgabe gemacht, diese spezielle Atmosphäre zu nutzen und mit Vorträgen, Diskussionen, Musik, und Kunstveranstaltungen besondere Anlässe in der Markt- und Bürgerkirche zu schaffen.

Barbara Welzel bei ihrem Vortrag. Foto: Alexander Scheidweiler

Barbara Welzel begann ihren Vortrag mit verschiedenen Anekdoten, darunter eine über den Kölner Domherrn Alexander Schnütgen, der ein leidenschaftlicher Sammler religiöser Kunst war und dessen Sammelleidenschaft sich der Grundstock des nach ihm benannten Schnütgen-Museums verdankt. Über den 1918 verstorbenen Schnütgen erzählt man sich, dass ihm auf dem Sterbebett ein Kruzifix gezeigt worden sei, in der Meinung, er werde nun seine Sünden bekennen. Der kunstsinnige Domherr soll lediglich lakonisch gesagt haben: „14. Jahrhundert“, das Kruzifix also kunstgeschichtlich eingeordnet haben.

An der Anekdote, gleich ob sie nun wahr oder nur gut erfunden sei, sehe man die aus dem Historismus des 19. Jahrhunderts kommende Tendenz, ein Werk in seiner Entstehungszeit gleichsam „einzufrieren“, eine Tendenz, die ihr Fach, die Kunstgeschichte, lange sehr geprägt habe, so Welzel. Bis heute wirke das Denken nach, Bauwerke seien v.a. der jeweiligen Entstehungsepoche zuzuordnen: „Wir beantworten, zugespitzt gesagt, immer noch Fragen des 19. Jahrhunderts.“

Hatte diese Denkweise sowie ihr Interesse an klar abgrenzbaren Stilepochen und ihrer Ästhetik im 19. Jahrhundert nach „dem Zerschneiden von Funktionszusammenhängen“ von Kirche in Rahmen der Säkularisierung sowie den Bedeutungsverlust der fürstlichen Repräsentation als Sitz-im-Leben von Kunst ihren Sinn und ihre Berechtigung, so tritt in der Gegenwart die Frage nach der „Biographie“ von Bauten und Objekten gegenüber der Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes in der Entstehungszeit in den Vordergrund. Es gehe darum, Orte wie beispielsweise die Kirche St. Gangolf wahrzunehmen als etwas, was heute da ist, und sie als Erinnerungsorte zu begreifen und zu beschreiben.

Den Unterschied könne man daran sehen, dass sich die Kunstgeschichte lange v.a. für die Trierer Liebfrauenkirche interessiert hat, da an ihr die Stilmerkmale der Gotik in besonders reiner Form beschrieben werden können. Dem Dom hingegen sei lange Zeit weniger Interesse entgegengebracht worden, weil er mit seiner außergewöhnlich langen Baugeschichte als älteste Kirche in Deutschland keine bestimmte Stilepoche in Reinkultur repräsentiert, obgleich gerade diese lange Historie und stilistische Heterogenität ihn in kulturgeschichtlicher Hinsicht, als Erinnerungsort also, interessanter erscheinen lässt.

Dass in der Baugeschichte von Kirchen immer wieder auf vorhandene Fundamente aufgesetzt wurde, sei eben nicht wirtschaftlichen Erwägungen geschuldet, wie lange angenommen, sondern stelle eine ganz bewusste Anknüpfung an die in den Fundamenten älterer Bauten steingewordene Tradition dar. Dies habe ihr Fachkollege Hauke Horn herausgearbeitet, sagte Welzel. Es sei darum gegangen, „den Ort in der Berührung materiell mitzunehmen.“ Neu bauen könne jeder, aber eine alte Geschichte zu haben und weiterzutragen, sei eben etwas besonderes. Auch gehe es darum, die Geschichte, die sich an einem Erinnerungsort ereignet habe, mitzunehmen und weiterzuerzählen.

Kirchenbauten unterscheiden sich allerdings von anderen Kulturdenkmalen, etwa Dankmalen der Industriekultur wie der Völklinger Hütte, dadurch, dass sie nicht gänzlich außer Gebrauch gefallen sind. Sie sind doppelt codierte Orte, die weiterhin ihrer ligurischen Funktion obliegen, zugleich aber Kulturdenkmale sind. In diesem Zusammenhang betonte Welzel, dass die Denkmaldefinition, die sich seit der Französischen Revolution herausgebildet hat und auch von der UNESCO zugrundegelegt wird, strikt säkularer Natur ist. Vorausgesetzt ist dabei im Geiste der Aufklärung, dass Denkmale Erbe aller Menschen sind, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Religionszugehörigkeit etc. Mit dieser Definition, deren Annahme durch die Vereinten Nationen auch eine Reaktion auf die barbarische Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamyian durch die Taliban war, ist das Recht aller Menschen, am kulturellen Leben und dem wissenschaftlichen Fortschritt teilzuhaben, verbunden.

Diese Einsicht hat weitereichende Folgen für die heterogener werdende Gesellschaft der Gegenwart, in der sich die Frage stellt, wie dem Umstand, dass Kirchen „die wichtigsten Überlieferungsträger Europas“ sind, Rechnung getragen werden soll. Dabei gehe es beispielsweise um die Frage, wie dem Recht von Kindern und Jugendlichen mit muslimischem Migrationshintergrund entsprochen werden könne, die kulturelle Signifikanz von Kirchenbauten kennenzulernen, ohne dass dies aus einer christlichen Bekenntnisperspektive vermittelt werde – eine Frage, die sich besonders im Ruhrgebiet, in dem sie lebt und lehrt, in eminenter Weise stellt, wie Welzel erläuterte.

Auch ergebe sich die Frage, ob und in welcher Weise Besucher von Kirchen, die das Gebäude nicht zu gottesdienstlichen Handlungen aufsuchen, willkommen geheißen werden. Welzel machte deutlich, dass sie hier auch in Trier Verbesserungsbedarf sieht. So sei sie bei ihrem Besuch der Liebfrauenkirche mit unschönen und abweisenden Hinweistafeln konfrontiert gewesen, die vor allem aufführten, was man alles nicht darf. Das Schild, das die Besucher vom Betreten des Altarraumes abhalten soll, habe sie an ein Hinweisschild auf einen Castor-Transport erinnert, zudem sei die Beleuchtung mangelhaft, der Kirchenraum düster gewesen: „Ich habe mich in das Dämmerlicht zwischen Verbotsschildern setzen können“, so die Kunsthistorikerin.

Es bleibe aber wichtig, „die spirituellen Orte nicht aus den Städten zu nehmen“, sondern „kulturelles Erbe als Ressource des friedlichen Zusammenlebens“ zu begreifen. Dabei müsse es, in dem Bewusstsein, dass das kulturelle Gedächtnis Orte braucht, darum gehen, was getan werden kann, damit die Menschen, die jetzt leben, in das kulturelle Erbe eintreten.

Katharina Zey-Wortmann dankte der Referentin, die Wege aufgezeigt habe, wie man die Schätze der kulturellen Überlieferung leben könne und den Zuhörerinnen und Zuhörern viel Stoff zur Reflexion mit auf den Weg gegeben habe.

weitere Veranstaltungen im Rahmen der Reihe „Forum Bürgerkirche“:

9.12.2023, 18.00 Uhr: Autorenlesung „Wenn Du erzählst, erblüht die Wüste“ mit dem deutsch-syrischen Schriftsteller Rafik Schami

30.12.2023, 19.00 Uhr: Benefizkonzert zum Jahreswechsel mit dem Musikverein Tarforst und dem Kammerchor Portavoci

11.3.2023, 19.30 Uhr: 75 Jahre Grundgesetz. Festvortrag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Dr. Stephan Harbarth

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