Trier: Den Tod in das Leben verwandeln – ukrainische Künstler besuchen Museum am Dom

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Sofia Atlantova und Olexandr Klymenko bei der Gedenkveranstaltung. Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Seit dem 20.4. zeigt das Museum am Dom Ikonen, die das ukrainische Künstler-Ehepaar Oleksandr Klymenko und Sofia Atlantova auf Deckel und Böden von Munitionskisten gemalt haben, die die russischen Inavsionstruppen im Kriegsgebiet zurückgelassen haben (lokalo berichtete). Da man nach orthodoxer Tradition davon spricht, dass Ikonen nicht gemalt, sondern geschrieben werden, trägt die Ausstellung den Titel „… geschrieben auf Munitionskisten. Ikonen gegen den Krieg“. Am gestrigen Freitag besuchten die beiden Künstler das Museum am Dom, um im Rahmen einer Gedenkveranstaltung einen Ikonen-Tryptichon mit den Namen von 19 getöteten Zivilistinnen und Zivilisten aus dem Dorf Andrijiwka zu beschriften. Die Nennung von verstorbenen Menschen auf Ikonen ist eine Tradition, die sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen lässt und der Erinnerung an die Toten dient.

Von Alexander Scheidweiler

Markus Groß-Morgen, Direktor des Museums am Dom, begrüßte das Künstler-Ehepaar und dankte dem vormaligen Leiter der Diözesanstelle Weltkirche, Ludwig Kuhn, die Ausstellung nach Trier gebracht zu haben. Man sei sehr froh, die Ausstellung nochmals bis zum 23. Juli verlängern zu können. Groß-Morgen wies darauf hin, dass die Werke zum Verkauf stehen und der Verkauf einem guten Zweck dient.

Der Ikonen-Tryptichon mit Maria, Christus und Johannes dem Täufer. Foto: Alexander Scheidweiler

Klymenko erläuterte hierzu, dass die Verkaufserlöse in die Rehabilitation von Zivilistinnen und Zivilisten sowie Militärangehörigen fließen, die nach einer schweren Verwundung aus Krankenhäusern entlassen werden. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus fallen erhebliche weitere Kosten von Transportkosten über Reha- und Therapiemaßnahmen bis hin zu Kosten für Medikamente an, so Klymenko. Es sei ihm und seiner Frau gelungen, mit dem Verkauf ihrer Werke über einen Zeitraum von drei Jahren ein mobiles Krankenhaus fast vollständig zu finanzieren. Klymenko hat selbst phasenweise für das mobile Krankenhaus gearbeitet und als Fahrer rund 300 Menschen aus Irpin und Butscha evakuiert.

Das Ikonenprojekt sei 2014, mit dem Beginn des Krieges im Donbas, entstanden. Mittlerweile waren die Werke in 70 Städten in 17 Ländern an rund 150 Ausstellungsorten zu sehen. „Die Grundidee des Projekts ist es, den Tod in das Leben umzuwandeln“, erklärt Klymenko. Deshalb verwendeten er und Atlantova Munitionskisten, die den Tod symbolisieren, und verwandeln sie in Ikonen, die für das Leben stehen. Die verwendeten Munitionskisten befanden sich z.B. in Lagern direkt an der Front. Ihr Aussehen erinnert an Särge, die man wieder ans Licht holt. Dort, an der Front, sei es schlimmer als in einem Horrorfilm, so Klymenko, doch durch die künstlerische Arbeit, die aus Munitionskisten Ikonen mache, werde der Tod in das Leben umgewandelt, nicht nur symbolisch, sondern auch real, da die Verkaufserlöse in die medizinische Versorgung von Verwundeten fließen.

Sofia Atlantova (Mitte) zeigt, wie die Ikonen gearbeitet sind. Links Museumsdirektor Markus Groß-Morgen, rechts Übersetzer Artur Karas. Foto: Alexander Scheidweiler

Ikonen seien auch symbolische Darstellungen der Menschwerdung Gottes. Sie zeigten, dass Gott Mensch wurde, ein menschliches Leben lebte, am Kreuz starb und dann wiederauferstand. Zugleich sind Ikonen stets Zeugen, in diesem Falle Zeugen für den Krieg, denn sie sind materiell im Krieg gewesen, führte der Künstler aus: „Sie sind lebendige Zeugen des Krieges.“ Klymenko hob hervor, dass auch die Soldatinnen und Soldaten, die ihnen die Munitionskisten zukommen lassen, Teil des Projekts sind. Die Ikonen seien eine „1000-jährige Sprache der Ukraine“. Indem er und Atlantova mit ihren Werken durch die Welt reisen, führten sie durch diese Sprache Menschen zusammen. Klymenko sagte, er und Atlantova seien dankbar für die Unterstützung Deutschlands für ihr Land: „Wir beten, dass das, was in der Ukraine passiert, nicht in Deutschland oder einem anderen Land jemals stattfindet. Nirgendwo.“

Atlantova fügte hinzu, dass sie sich freue, dass das Museum am Dom die Ausstellung ihrer Ikonen mit Ikonen aus den Beständen des Museums ergänzt hat. Sie demonstrierte am Beispiel einer Ikone aus dem Bestand des Museums sowie einer ihrer Ikonen, wie die Werke gearbeitet sind. So werden sie typischerweise von zwei Leisten auf der Rückseite zusammengehalten. Sie hätten sich dazu entschieden, die Oberfläche der Munitionskisten nicht, wie sonst in der Ikonenmalerei üblich, mit einer zusätzlichen Schicht zu bedecken, damit das Material kenntlich bleibt. Auch bei dem Triptychon könne man daher die Unterschiede des Materials und des Abnutzungsgrades erkennen.

Das Eintragen der Namen. Foto: Alexander Scheidweiler

Die Ikonen des Triptychons, die Maria, Christus und Johannes den Täufer darstellen, symbolisierten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, indem sie zusammen ein Gebet für die Menschheit am Tage des Jüngsten Gerichtes darstellten, erläuterte Klymenko. Man könne sich gegenwärtig der Worte der Apokalypse erinnern, so der Künstler, denn in der Ukraine geschehe derzeit etwas ganz ähnliches. Doch am Ende der Apokalypse komme die Menschheit zusammen, um gemeinsam Gott anzubeten. Die Beschriftung der Ikonen mit den Namen von Verstorbenen sei eine sehr alte Tradition, die auch im weltberühmten Kiewer Höhlenkloster zu finden sei. Diese Tradition führten er und Atlantova fort, indem sie ihre Ikonen mit den Namen getöteter Zivilisten beschrifteten. Im Höhlenkloster gebe es die alte Formel „Bete bitte zu Gott für…“, mit dem die Person der Fürsprache des auf der Ikone darstellten Heiligen anvertraut werde.

Klymenko betonte, dass es sich bei den getöteten Dorfbewohnern aus Andrijiwka bei Borodjanka um völlig unschuldige Menschen handelte. Die russischen Besatzungstruppen verdächtigten sie, dass sie heimlich der ukrainischen Artillerie Informationen zukommen ließen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, denn von den Russen unbemerkt hatten die ukrainischen Artilleristen eine Stellung in einem nahegelegenen Waldstück bezogen, von wo aus sie das Gelände so im Blick hatten, dass sie auf Informationen der Dorfbewohner gar nicht angewiesen waren. Dies haben die Dorfbewohner ihm erzählt, als er nach der Zurückdrängung der russischen Truppen im letzten Frühling das völlig in Trümmern liegende Dorf besuchte. Bei ihrem Rückzug hatten die russischen Truppen die Häuser geplündert und daraufhin Munition in den Häusern gesprengt.

Marienikone mit Namen von getöteten Zivilisten. Foto: Alexander Scheidweiler

In einem berührenden Vorgang verlas Klymenko unter musikalischer Umrahmung die Namen der Getöteten, während Atlantova sie auf den Ikonen eintrug. Die Namen wurden mit Blei- und Buntstiften geschrieben, ganz bewusst, wie Klymenko erklärte, weil diesem Schreibgerät ein Moment der kindlichen Reinheit innewohne. Es seien 19 Namen aus einem ukrainischen Dorf, es gebe aber tausende solcher Dörfer. „Wir haben die Hoffnung, dass bei jüngsten Gericht die ersten Gebete bei diesen Menschen sein werden und dass die Erinnerung an sie so ewig bleibt wie die Zeit.“

Groß-Morgen sagte abschließend, Joseph Beuys habe den Begriff der „sozialen Plastik“ geprägt, der auch auf die Ikonen von Klymenko und Atlantova anwendbar sei, da viele Menschen an dem Projekt beteiligt sind. „Es ist ein Plädoyer für die Kunst, es ist ein Plädoyer für Menschlichkeit, für das Leben, aber auch für die Verstorbenen“, so Groß-Morgen.

Nach der Veranstaltung standen die Künstler für die Besucher der Gedenkveranstaltung noch zum Gespräch zur Verfügung.

Weitere Informationen unter https://www.museum-am-dom-trier.de/ und https://www.medbat.org.ua/en/buy-icon-save-a-life/.

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