Falsche Krebs-Diagnosen mit fatalen Folgen: Patienten unnötigerweise operiert – Pathologe vor Gericht

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Symbolbild. Foto: dpa-Archiv

SAARBRÜCKEN/MAINZ. Der 63-jährige Pathologe, der am Montag in verblichenem Sweatshirt und Jogginghose vor dem Landgericht in Saarbrücken steht, ist alles andere als das, was man sich unter einem sogenannten Halbgott in Weiß vorstellt. Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer: Statt Patienten zu helfen, soll er in sieben Fällen falsche Krebsdiagnosen gestellt haben. Für die Betroffenen aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz soll dies fatale Folgen gehabt haben.

Laut Anklage soll er in seinem Institut in St. Ingbert zwischen Februar und November 2018 «gravierende Fehldiagnosen» erstellt haben, die zu «erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen» geführt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem deutschen Angeklagten unter anderem gefährliche und schwere Körperverletzung vor – in zwei Fällen versuchten Totschlag und in einem Fall Körperverletzung mit Todesfolge.

Konkret soll es wegen der falschen Diagnosen zu nicht notwendigen Behandlungen und Eingriffen wie etwa Chemotherapien, Brust-, Darm- und Gesichtsoperationen gekommen sein. Unter anderem war einer Patientin in der Uniklinik Mainz der Großteil des Oberkiefers und Gaumens entfernt worden, nachdem der Pathologe fälschlicherweise einen bösartigen Tumor diagnostiziert hatte. Die Frau sei aufgrund der OP dauerhaft entstellt. Bei einer anderen Patientin sei die operative Entfernung eines Tumors in der Brust nicht in die Wege geleitet worden. Bei ihr wäre demnach bei richtiger Diagnose noch eine brusterhaltende OP möglich gewesen.

In einem anderen Fall habe seine fehlerhafte Diagnose zur Folge gehabt, dass ein Patient am Knappschaftskrankenhaus Püttlingen ohne medizinische Indikation operiert wurde. Aufgrund von Komplikationen nach der Darm-OP sei der 50-Jährige an einer Sepsis mit Multiorganversagen gestorben. Vor Gericht trat die Schwester des verstorbenen Patienten als Nebenklägerin auf. «Sie haben meine Wertschätzung, dass Sie den Mut hatten, diese ganzen Fälle anzuzeigen», wandte sie sich an die Zeugin, die die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte.

25 bis 30 Fälle von Fehldiagnosen

Die Chefärztin des Klinikums für Pathologie am Klinikum Saarbrücken hatte nach eigenen Angaben 25 bis 30 Fälle von Fehldiagnosen zusammengetragen und sich zunächst an die Ärztekammer gewandt. «Was kann ich machen, da werden falsche Diagnosen gestellt – inhaltlich, fachlich und auch methodisch nicht korrekt. Dadurch kommen Menschen zu Schaden», habe sie der Justiziarin gesagt, so Rosemarie Weimann. Weil sie dort jedoch «abgeschmettert» worden sei, habe sie selbst einen Anwalt eingeschaltet.

 

«Ärztliches Handeln ist gewöhnlich darauf ausgerichtet, Patienten zu helfen – nicht Schaden zuzufügen», räumte auch der Anwalt des Angeklagten, Johannes Berg, ein. Schwerpunkt seiner Verteidigung werde die Frage sein, ob sein Mandant die falschen Befunde vorsätzlich oder fahrlässig vorgenommen habe. Laut Anklage soll der Pathologe aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes und der von ihm abzuarbeitenden «bei weitem zu hohen Anzahl an Gewebeuntersuchungen» nicht in der Lage gewesen sein, den Facharztstandard einzuhalten und eine zutreffende Diagnosestellung zu gewährleisten. «Dies war ihm bewusst», heißt es.

Angeklagter räumt ein „etwas verwechselt“ zu haben

Zum Prozessauftakt räumte der Pathologe bei einzelnen Fällen ein, bei der Auswertung «etwas verwechselt» zu haben. Möglicherweise habe er sich auch von der Statistik «etwas fehlleiten» lassen. Zudem habe er «lieber Diagnosen gestellt, als zu sagen, es lag kein verwertbares Material vor».

Richter Andreas Lauer gab zu: «Als Laie beunruhigt mich das ein bisschen. Es geht ja um Krankheiten, die zu tödlichen Verläufen geführt haben können.» Der Vertreter der Nebenklage, Daniel Schmitz, bezeichnete die Aussage des Angeklagten als «sehr bedenklich». Wie das im Einzelnen juristisch zu bewerten sei, müsse man nun abwarten. Laut Gerichtssprecher sind weitere Prozesstage bis Anfang Juli terminiert.

Im Zusammenhang mit den Fällen des Pathologen hatte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken kürzlich den Präsidenten der Ärztekammer des Saarlandes wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung durch Unterlassen angeklagt. Er soll Informationen zu schweren Erkrankungen des Pathologen nicht an die Approbationsbehörde weitergegeben und so «billigend in Kauf genommen haben, dass Patienten auf Grund unterlassener oder nicht indizierter Behandlungen zu Tode kommen würden», so formulierte es die Staatsanwaltschaft Anfang März.

Der angeklagte Pathologe befindet sich indes bereits seit zwei Jahren in Haft. Er war im Juni 2020 wegen Betruges in 17 Fällen sowie wegen Bestechung im Gesundheitswesen in 97 Fällen zu zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hatte Fachärzten Geld gezahlt, damit sie Gewebeproben in seinem Institut untersuchen ließen.

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