Fleisch oder Kunst? 30 Jahre am Standort – Kunstakademie Trier feiert mit großer Ausstellung

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Akademiedirektor Simon Santschi (am Rednerpult) eröffnet die Ausstellung. Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Am gestrigen Donnerstagabend wurde die Jubiläumsausstellung „Das große Metzeln“ in den Räumen der Europäischen Kunstakademie Trier feierlich eröffnet. 31 Werke im Spannungsfeld von Tabubruch und Fleischeslust werfen Fragen nach unserem Konsumverhalten und dem Grenzverlauf in der Mensch-Tier-Beziehung auf. Ein bemerkenswertes Kunsterlebnis.

Von Alexander Scheidweiler

Zwei Frauen in weißer Küchenchefinnen-Kleidung zerlegen Fasane. Die Vögel mit dem prächtigen Gefieder werden gerupft, gehäutet, zerteilt, zubereitet – geradezu kunstgerecht, möchte man sagen. Am Ende wird aus ihren Leibern ein Eintopf werden, den die Anwesenden verkosten können – alles unter Verwendung handgemachten Porzellans. Der Ort des Geschehens befindet sich nicht in einem Restaurant, sondern in der Ausstellungshalle der Europäischen Kunstakademie in Trier, die in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Dementsprechend handelt es sich auch nicht einfach um die Zubereitung eines schmackhaften Abendessens, sondern um eine Performance der britischen Künstlerin Alice Morey mit dem Titel „Pure“, die diese am gestrigen Abend anlässlich der feierlichen Eröffnung der Jubiläumsausstellung „Das große Metzeln“ erstmalig außerhalb Großbritanniens zur Aufführung brachte. Die Ausstellung zeigt 31 „Werke im Spannungsfeld von Tabubruch und Fleischeslust, von der Hinterfragung des Fleischkonsums und dem ambivalenten Verhältnis von Mensch und Tier“, so die Akademie. Moreys Performance fügt sich in diesen Kontext, indem sie die Transformation eines tierischen Leibes in menschliche Speise vollzieht, ein Prozess, der dem Betrachter gleichsam ein Ritual vor Augen stellt und ihn mit Herkunft und Ursprünglichkeit seiner Nahrung und Ernährung neu konfrontiert.

Blick auf die Plastik „Tropical Rococo“ von Tamara Kostianovsky. Hinter dem Rednerpult der Triptychon „Himmel der Kühe“ von Rita de Muynck. Foto: Alexander Scheidweiler

„Pure“ ist denn auch eines von zwei Werken der Ausstellung, auf die Simon Santschi, Direktor der Europäischen Kunstakademie, in seiner Begrüßung exemplarisch einging: „Das Erstaunliche an dieser Zubereitung“ sei, „dass wir uns in unserem Konsumverhalten gar nicht mehr bewusst sind, wo das Fleisch eigentlich herkommt, das wir hygienisch abgepackt im Supermarkt kaufen.“ Die Performance Moreys thematisiere „das Ritual des Häutens, des Öffnen des Körpers“, erläuterte Santschi. Zum anderen ging Santschi auf die Plastik „Tropical Rococo“ von Tamara Kostianovsky ein. Die argentinische Künstlerin hat aus Möbelstoffen, Haken, Ketten und einem Motor eine stilisierte und stark verfremdete Rinderhälfte geschaffen, die sich in der Ausstellungshalle, von der Decke herabhängend, um die eigene Achse dreht. In dieser Arbeit zeige sich „so etwas wie ein Leitmotiv“, führte der Akademiedirektor aus: „Wir sehen ja immer noch die Grundform des geschlachteten Tiers, aber wenn wir genauer hinschauen, sehen wir, dass es eigentlich überhaupt nichts Tierisches mehr an sich hat.“ Stattdessen sehen wir Textilien, „die Blumen- und Pflanzenmotive zeigen“, wobei in dem Körper selbst ein Vogel entspringt – die Assoziation zum Phoenix sei dabei sehr klar. Die Künstlerin selbst spreche mit Bezug auf dieses Werk vom „Regenerativen“. Darin liege „eine schöne Symbolik für dieses ganze Haus wie auch für dieses Jubiläum, das wir heute hier feiern“, und bei dem es um eine Transformation „von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, dem Töten von Tieren hin zum Kreativen und dem schöpferischen Akt der Kunst“ gehe.

Daumen hoch – Simon Santschi am Rednerpult. Foto: Alexander Scheidweiler

Zwar erscheine das Thema „Fleisch in der Kunst“ auf den ersten Blick nicht unbedingt attraktiv, doch die Verbindung ergebe sich schon durch das Gebäude und die Konvergenz der Jahreszahlen: So wurde der städtische Schlachthof Trier in den Räumlichkeiten der heutigen Kunstakademie im Jahre 1893 eröffnet – genau 100 Jahre später bezog die Akademie die Baulichkeiten in der Aachener Straße. Die Ausstellung sei „ein außergewöhnliches Kooperationsprojekt“ zwischen der Akademie und der Universität Trier, mit Vorlesungen am Kunsthistorischen Seminar und praktischer Umsetzung im Wintersemester, die in die Ausstellung und den dazugehörigen Katalog mündete. Santschi dankte Dr. Stephan Brakensiek, Kunsthistoriker der Universität Trier, für die gute Zusammenarbeit, an der zahlreiche Studentinnen und Studenten beteiligt waren.

Die Kunst, Fasaneneintropf zuzubereiten: Alice Moreys Perfromance „Pure“. Foto: Alexander Scheidweiler

Oberbürgermeister Wolfram Leibe gratulierte Santschi zu der Jubiläumsausstellung und zu dem Mut, sich diesem Thema zu widmen. Leibe hob hervor, wie viele Besucher zu der feierlichen Eröffnung erschienen waren. Viele der Anwesenden seien schon vor 30 Jahren, als die Akademie ihre heutigen Räumlichkeiten bezog, mit dabei gewesen. Leibe meinte mit Blick auf seinen ebenfalls anwesenden Amtsvorgänger Helmut Schröer, in dessen Amtszeit als Wirtschaftsdezernent die Entscheidung fiel, die Akademie in ihren heutigen Räumlichkeiten anzusiedeln: „Geld hat man nie, aber manchmal hatten wir Konstellationen, wo Menschen einfach Mut, Durchsetzungskraft und das Quäntchen Glück genutzt haben.“

Die „Greybeards“ umrahmten den Abend musikalisch. Foto: Alexander Scheidweiler

Der so angesprochene gab einen historischen Abriss der Kunstakademie. Nachdem die Teilnehmerzahl der Akademie im Jahre 1985 die Marke von 1000 überschritten hatte, stellte sich die Frage nach einem neuen Standort für die 1977 gegründete Institution, die sich zuvor im Martinerhof in Pallien befunden hatte. Der damalige Oberbürgermeister Felix Zimmermann war dafür, den damaligen Schlachthof zu diesem Zweck zu nutzen. Ein Raumkonzept mit Werkstätten, Ateliers und Vortragsräumen, Büro und Cafeteria gab es bereits. Dennoch fand der Stadtvorstand die Idee der Umnutzung des Schlachthofes, der sich noch im Betrieb befand, wiewohl er seit Jahren defizitär arbeitete, zunächst abenteuerlich.

Besucher mit den Gemälden „Schlachthaus“ von Jürgen Wenzel. Foto: Alexander Scheidweiler

Widerstand gab es auch von der Metzgerinnung: Bei einer Sitzung der Innung im Februar 1988 wurde Schröer mit viel Unmut seitens der Handwerker konfrontiert. Auf dem Höhepunkt der hitzigen Kontroverse schleuderte ihm der Obermeister die Frage entgegen: „Was ist denn wichtiger: Fleisch oder Kunst?“ Er habe dann im weiteren Verlauf der Diskussion versucht, das „oder“ durch ein „und“ zu ersetzen – Fleisch und Kunst seien wichtig – wenn auch ohne Erfolg. Trotz aller Widerstände gelang es aber, das 9,7 Millionen D-Mark teure Projekt mit Unterstützung des Landes umzusetzen, so dass die Akademie am 14. Juli 1993 am heutigen Standort eröffnen konnte. Sie entwickelte sich seither zu einer ganzjährige Einrichtung mit europäischem Anspruch, etablierte sich als fester Bestandteil der Trierer Kunstszene und überschritt im Jahre 2001 die Marke von 2000 Teilnehmern.

Prof. Dr. Michael Jäckel, der Präsident der Universität Trier, die in diesem Jahr ihr 550. Jubiläum begeht, nahm in seinem Grußwort auf ein Streitgespräch der beiden Soziologen und Philosophen Arnold Gehlen und Theodor W. Adorno über die Kunst aus dem Jahre 1966 Bezug. Das Phänomen der Zunahme künstlerischer Happenings sei „eine systematische surrealistische Aktion“, ein „Pseudo-Ereignis mit besonderem Zuschnitt“, befanden die beiden Denker. Die Welt der Performance „mit dem Anspruch, die Ketten der Kunst zu sprengen,“ brachte „eine Inklusion ganz eigener Art“ auf den Weg, sagte Jäckel. Auch der Pop Art-Künstler Jasper Johns habe erleben müssen, dass es die Banalität des Objekts – „Ist es nun eine Flagge oder ist es keine?“ – nicht gebe. Adorno sah hier ein Indiz dafür, dass das Leben nicht lebe, ein Indiz für die Suche nach einem Ausweg durch eine Fiktion, die aber die Dichte der Oberfläche des modernen Lebens auch nicht systematisch durchdringen könne. In den „Minima Moralia“ habe Adorno vor diesem Hintergrund die nüchtere Einsicht formuliert: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“

Viktoria Klose (links) und Lea Chybych waren als Studentinnen der Universität Trier an der Vorbereitung der Ausstellung und an der Erarbeitung des Katalogs beteiligt. Foto: Alexander Scheidweiler

Viktoria Klose und Lea Chybych, als Studentinnen der Universität Trier an der Vorbereitung der Ausstellung und der Erarbeitung des Katalogs beteiligt, dankten Santschi, dem Team der Akademie und Brakensiek für die Möglichkeit, an dem Projekt mitzuarbeiten. So habe man „einzeln oder zu zweit Kunstwerke bearbeitet und analysiert“ und so zum Katalog beizutragen, sagte Chybych. Vielfältige Fragen stellten sich im Laufe dieser Arbeit: „Was war die geläufige Idee der Seele im 15. Jahrhundert? Ab wann kamen Anatomiestudien wirklich in Mode? Und was hat das alles mit der Künstlergruppe Gotensieben zu tun?“ Klose sagte, dass durch die Ausstellung „vielerlei Positionen zum Thema des Schlachtens, der Tierkörper, des Fleisches und dessen Verzehr und vieles Weitere“ beleuchtet werden. Das „Spannungsverhältnis zwischen und die Gemeinsamkeit und Unterschiede der Werke“ seien dabei am interessanten. Dabei würden Fragen nach Tabubrüchen und dem Grenzverlauf in der Mensch-Tier-Beziehung aufgeworfen.

Die Besucher entdecken die Ausstellung. Foto: Alexander Scheidweiler

Abschließend bat Santschi Brakensiek, die stellvertretende Kuratorin der Kunsthalle Dr. Lisi Linster sowie die anwesenden Studentinnen und Studenten nach vorne und eröffnete die Ausstellung offiziell, woraufhin die zahlreichen Besucher sich am Buffet mit Sekt und Häppchen versorgen und die Werke in Augenschein nehmen konnten.

Die Ausstellung „Das große Metzeln“ ist bis zum 23. April zu sehen, dienstags bis freitags von 11-18 Uhr sowie sonntags und sonntags von 11-17 Uhr.

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1 Kommentar

  1. Meine Güte, was für ein Kunst-Quatsch. Braucht kein Mensch, bloße Beschäftigungstherapie. Mir wäre der alte Schlachthof lieber, kurze Wege zur Schlachtung für Tiere aus Eifel und Hunsrück, regional, sinnvoll.

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