Zeitgemäß und humorvoll: „Così fan tutte“ am Theater Trier

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Die Schwestern Fiordiligi (Yibao Chen) und Dorabella (Janja Vuletić) ausgelassen. Foto: Martin Kaufhold

TRIER. Am gestrigen Samstagabend feierte im Großen Haus des Theaters Trier die letzte der Mozart’schen Da Ponte-Opern Premiere. Eicke Ecker inszeniert „Così fan tutte“ als zeitgemäßes und unterhaltsames Rom-Com-/Dramedy-Szenario mit viel Humor und Gespür für die paarpsychologischen Subtilitäten des Werkes. Dabei erlebte das Premierenpublikum insbesondere viel weibliche Spiel- und Stimmstärke.

Von Alexander Scheidweiler

Schon das kursorische und insofern nicht repräsentative Hin- und Zuhören dessen, der hier schreibt, während der Pause bei der gestrigen Premiere der finalen Mozart’schen Da Ponte-Oper am Theater Trier zeigte, dass das Premierenpublikum, welches das Große Haus bis auf den letzten Platz füllte, von der „Così fan tutte“-Inszenierung von Eicke Ecker äußerst angetan war. Zurecht übrigens. Intensive und wohlverdiente stehende Ovationen am Ende des Premierenabends bestätigten die Zufriedenheit der Zuschauerinnen und Zuschauer.

Goethes „Wahlverwandtschaften“ – Mozarts „Wahlverwandtschaften“

Treffend hat Dramaturg Malte Kühn in einem Theatermagazin-Beitrag den Vergleich der Mozart-Oper mit Goethes „Wahlverwandtschaften“ gezogen, wobei der Vergleichspunkt in dem Umstand besteht, dass in beiden Werken sich „überkreuzende und manchmal auch sich überkreuz liegende Liebesbeziehungen mehrerer Menschen“ thematisch werden. Dass die Figuren möglicher- und paradoxerweise erst in der Maskerade der Verführungswette unbeabsichtigt „überkreuz“ zueinander finden – dass also „die nachdenkliche Fiordiligi mit dem schwärmerischen Ferrando, die lebenslustige Dorabella mit dem draufgängerischen Guglielmo“ besser zusammenpassen als umgekehrt, deutet Mozarts Musik subtil an.

In Verkleidung werben Ferrando (Gustavo Mordente Eda, rechts) und Guglielmo (Yuriy Hadzetskyy) im Beisein von Don Alphonso (Stephan Loges, Mitte) um die Gunst von Fiordiligi und Dorabella. Foto: Martin Kaufhold

Doch der Reihe nach und zur Erinnerung: Zunächst einmal lieben die Ferrareser Schwestern Fiordiligi (Yibao Chen) und Dorabella (Janja Vuletić) die Soldaten Guglielmo (Yuriy Hadzetskyy) und Ferrando (Gustavo Mordente Eda) aus Neapel, wobei Fiordiligi und Guglielmo sowie Dorabella und Ferrando ein Paar sind. Die beiden Männer preisen vor dem alten Philosophen Don Alphonso (Stephan Loges) die Schönheit und Treue ihrer Angebeteten in den höchsten Tönen, woraufhin dieser Zweifel an der Loyalität des schönen Geschlechtes im allgemeinen und der so gepriesenen im besonderen anmeldet und diese in die so eingängige wie vergiftete Metapher kleidet, mit der Treue der Frauen sei es wie mit dem Vogel Phönix – zwar spreche alle Welt davon, allein zu Gesicht bekomme man ihn nie. Dies wollen die beiden jungen Männer freilich nicht auf sich bzw. ihren Bräuten in spe sitzen lassen, weshalb sie sich auf eine Wette mit Don Alphonso einlassen: In Verkleidung soll jeder der beiden versuchen, die Geliebte des jeweils anderen zu verführen, was am Ende freilich gelingt. Don Alphonso greift dabei als Strippenzieher auf die eilfertige Hilfe der kessen Kammerzofe Despina (Annija Adamsone) zurück.

Intrigiert und stylt Nägel: Die kecke Kammerzofe Despina (Annija Adamsone, Mitte) mit den beiden Schwestern Fiordiligi (Yibao Chen, links) und Dorabella (Janja Vuletić, rechts). Foto: Martin Kaufhold.

Paarpsychologische Subtilitäten beim Wellness-Wochenende

„Lasciate tali smorfie / Del secolo passato“ – „Hört mit dem Getue aus dem letzten Jahrhundert auf“, singt Dan Alphonso im Rezitativ zu Beginn des zweiten Aktes, als die noch schüchternen Paare Startschwierigkeiten haben, das Eis zu brechen. Eine Aufforderung, die gleichsam als Devise über Eckers Inszenierung stehen könnte: „Cozy Couple Relax Weekend“ steht auf einem sportiven Logo, das vor Beginn der Aufführung auf den Vorhang und sodann zunächst auf die Rückwand der Bühne projiziert wird. Hier sind also zwei Paare sozusagen auf einem zeitgeistigen „Couples Retreat“, gönnen sich ein gemeinsames Wohlfühl-Wochenende, in dessen Rahmen dann die, so darf man vermuten, zuvor stabilen Liebesbeziehungen unerwartet ins Rutschen geraten. Nicht immer ist es ja gut, aus dem Alltag herauszutreten. Zumindest dürfte es eine allgemeine Lebenserfahrung sein, dass gerade der Versuch, die Einförmigkeit der Routine zu verlassen, so wünschenswert es bisweilen sein mag, das Risiko impliziert, Konflikte und Spannungsfelder in die Unverborgenheit treten zu lassen, von deren Existenz man zuvor gar nichts geahnt hatte. Durch diese Versuchsanordnung – beim Wellness-Wochenende meldet sich die „Überkreuz-Anziehung“ – verleiht Eckers Inszenierung den paarpsychologischen Subtilitäten der Mozart’schen Wahlverwandtschaften mit ihrer einen zeitgenössischen und plausiblen Rahmen.

Geplänkel mit Fäusten und Worten unter Männern: Don Alphonso (Stephan Loges), Guglielmo (Yuriy Hadzetskyy) und Ferrando (Gustavo Mordente Eda, v.l.n.r.). Foto: Martin Kaufhold

Die Bühne sieht ein wenig aus, als hätten Luigi Colani und Steve Jobs gemeinsam einen Wellness-Spa designt: Eine leicht dem Publikum zugeneigte runde Spielfläche mit runder Rückwand, in der sich zwei Türen in einem pastellenen Blauton befinden, eine ovale Liege vorne links, ein Beistelltischchen vorne rechts, ein Schallplattentisch im Hintergrund – alles in weiß. Darüber schweben zahlreiche große, kugelförmige Lampen, ebenfalls in weiß, die gelegentlich nach unten herabgelassen werden und mal blau, mal grün, mal rosa, mal gelb leuchten, wobei die Symbolik dieser Farben – falls eine solche beabsichtigt sein sollte – sich nicht immer erschließt (Ausstattung und Licht von Ulrich Schulz). Jedenfalls hübsch anzusehen, wenngleich etwas gewöhnungsbedürftig und minimalistisch.

In diesem Setting fungiert Don Alphonso im Jogging-Anzug als Fitness-Coach für die Männer, mit denen er zu Beginn Boxtraining veranstaltet, während Despina im zweiten Akt den Schwestern als Kosmetikerin eine Gurkenmaske appliziert und ihnen die Nägel manikürt. Während also Fitness-Coach Don Alphonso beim markigen, sexualisierten Umkleidekabinen-Wortgeplänkel („locker room talk“, wie Donald Trump weiland sagte) unter Männern Zweifel an der Treue der Frauen säht, kredenzt die als Intrigen-Helferin eingekaufte Nagel-Stylistin Despina den Damen Champagner und flüstert ihnen ein, dass einmal keinmal ist und sie sich in Abwesenheit ihrer Geliebten ruhig ein bisschen anderweitig vergnügen könnten. Just live a little. Ein durchaus einleuchtendes und jedenfalls unterhaltsames Rom-Com-/Dramedy-Szenario à la „Desperate Housewives“ meets „Sex and the City“. Am Ende bleibt es beim insgesamt versöhnlichen Schluss, wenngleich in Anbetracht der „Überkreuz-Anziehung“ der Paare Fragezeichen bleiben.

Glückt die Verführung? Der verkleidete Guglielmo (Yuriy Hadzetskyy) erprobt seinen Charme an Dorabella (Janja Vuletić). Foto: Martin Kaufhold

Ein nicht ganz neuer, aber seinen Zweck erfüllender Kniff besteht darin, dass Despina, während Don Alphonso gegen Ende sein sardonisches „Tutti accusan le donne“ / „Alle beschuldigen die Frauen“ singt, das im titelgebenden „Così fan tutte“ / „So machen’s alle (Frauen)“ gipfelt, Despina die Phrase an die Rückwand schreibt, die feminine Endung „e“ aber durchstreicht und das „tutte“ zu „tutti“ abändert, so ausdrückend, dass in Wahrheit die Männer mitgemeint (ausschließlich gemeint?) sind.

Eine gelungene Inszenierung, bei der auch die teilweise überraschenden Kostüme der Männer für Heiterkeit im Publikum sorgten, etwa die schuljungenartigen Matrosenanzüge, in denen Guglielmo und Ferrando ihre Geliebten zum Schein verlassen, um dann als albanische Edelmänner Tizio und Sempronio in eine auffallende orangefarbene Verkleidung gewandet wiederzukehren und den Verführungsversuch zu unternehmen.

Spiel- und Stimmstärke: Damen in Topform

Musikalische präsentierten sich v.a. die Damen in Topform. Janja Vuletić bot in der Rolle der Dorabella eine ähnlich starke Leistung wie bei ihrem famosen Auftritt als Carmen beim Open Air auf dem Augustinerhof im letzten Sommer (lokalo.de berichtete). Im Herzenstausch-Duett „Il core vi donno“ funkeln in ihrem schönen Mezzosopran wirklich jene feinen emotionalen Abschattungen, von denen die Rede ist, wenn sie das „Oh, cambio felice / Di cori e d’affetti!“ („O glücklicher Tausch der Herzen und Gefühle“) intoniert. Dabei zeigt sie sich in der Rolle der extrovertierten Schwester spielstark und verpasst dem stürmischen Galan schon mal eine schallende Backpfeife, wenn dieser allzu schnell zur Sache kommen will. Herrlich kokett trägt sie das „È amore un landrocello“ („Amor ist ein kleiner Dieb“) vor, mit dem sie die zögernde Schwester lockt, dem Drängen der albanischen Bewerber nachzugeben.

Am Ende kehren die vermeintlich abwesenden Liebhaber zurück. Foto. Martin Kaufhold

Aber auch Yibao Chen singt eine gute Fiordiligi. Für ihre sichere Felsenarie „Come scoglio“, die ihrer starken Sprünge wegen bekanntlich schwierig zu meistern ist, bekam sie viel verdienten Szenenapplaus. Berückend auch die Verletzlichkeit und Verletztheit, die sie in ihre Stimme legt, wenn sie sich im Rondo „Per pietà“ des zweiten Aktes selbst der Untreue anklagt.

Annija Adamsone gab eine kecke Despina zum besten, agil und leichtfüßig in Spiel und Gesang, ihre „Donna a quindici anni“, das umapologetische Preislied auf die weiblichen Verführungskünste, gelingt ihr mit knisternder Erotik, der eine Prise Ironie beigegeben ist. Hörbar erheitert waren die Zuschauer auch von der burschikosen Art, mit der sie im ersten Akt im Rezitativ die vermeintlichen Avancen Don Alphonsos mit der nassforschen Bemerkung abbügelt, ein so alter Mann wie er könne für sie nichts tun, bevor gleichwohl sie blitzschnell über die eigene Geldgier stolpert („È l’oro il mio giulebbe“ / „das Gold ist mein Elixir“). Köstlich auch ihre Verkleidungs-Auftritte als Arzt und Notar!

Bei so viel weiblicher Spiel- und Stimmstärke war es für die Herren nicht ganz leicht zu glänzen, indes bot insbesondere Yuriy Hadzetskyy einen vitalen und männlichen Guglielmo, der mit soldatischer Verve das zornige „Donne mie, la fate a tanti“ („Meine Damen, das macht ihr mit vielen“) des zweiten Aktes schmetterte. Gustavo Mordente Edas Ferrando wirkte dagegen nicht über die volle Strecke hundertprozentig sicher, wenngleich er bei der herausfordernden Arie „Un’aura amorosa“ („Ein Liebeshauch“) zu überzeugen vermochte. Stephan Loges schließlich sang einen grundsoliden Don Alphonso mit sonorem Bassbariton, der in der Interaktion mit Despina auch komödiantische Stärken zeigte.

Die Auftritte von Despina (Annija Adamsone) in den Verkleidungs-Szenen, hier als Arzt, sorgten für viel Heiterkeit im Publikum. Foto: Martin Kaufhold

Der Klang aus dem Orchestergaben war wie gewohnt tadellos. Unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Jochem Hochstenbach brachte das Philharmonische Orchester des Stadt Trier das Verspielte, Heitere, Grazile, kurzum: das Rokokohaft-Luftige, dieses Klang gewordene Gemälde à la Boucher und Fragonard, das Mozart in „Così fan tutte“ komponiert hat, zur Geltung. Lediglich in der Ouvertüre war vielleicht etwas zu viel überschießender Anfangsenthusiasmus hörbar.

weitere Termine: 23.2., 16.00 Uhr; 1.3., 19.30 Uhr; 11.3., 19.30 Uhr

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