KIEW. Die Kämpfe in der Ukraine gehen unvermindert weiter. Die bereits gestern von russischer Seite gemeldete Einnahme der Hafenstadt Cherson wurde in der zurückliegenden Nacht durch den Bürgermeister bestätigt. In einer Videobotschaft zeigte der ukrainische Präsident Selenskyj sich dennoch erneut kämpferisch. Der amerikanische Verteidigungsminister Austin warnte vor vor leichtfertiger Rhetorik in Bezug auf Atomwaffen.
Wie der Deutschlandfunk am frühen Morgen meldete, waren in der Nacht in Kiew schwere Explosionen zu hören. Es gebe Kämpfe in den Vororten. Rund 15.000 Menschen hätten in den Metro-Stationen der ukrainischen Hauptstadt Schutz gesucht. Ein russisches Flugzeug sei bei den Kämpfen abgeschossen worden.
Der amerikanische Nachrichtensender CNN berichtete heute Nacht, dass der Bürgermeister der strategisch wichtigen südukrainischen Hafenstadt Cherson deren Einnahme durch russische Verbände indirekt bestätigt hat. Ihor Kolykhaiev, Bürgermeister der 300.000-Einwohner-Stadt, erklärte in den sozialen Medien, „bewaffnete Leute“ seien in die Stadtverwaltung gekommen. Die ukrainische Armee habe die Stadt verlassen, die Bevölkerung müsse nun den Anweisungen der Besatzer Folge leisten. Gegenüber der New York Times erklärte der Bürgermeister, die Besatzer wollten nun eine ähnliche Regierung wie in den sog. Volksrepubliken Donezk und Luhansk einrichten. Cherson ist die erste ukrainische Großstadt, die Russland eingenommen hat.
CNN berichtet weiter, dass drei Schulen in und um Charkiw von russischen Angriffen getroffen wurden. Auch die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale der Stadt wurde getroffen. Dabei wurden zahlreiche Kunstgegenstände in dem Gotteshaus beschädigt. Im Charkwier Wohngebiet Saltivka wurden mehrere Ladengeschäfte und Wohngebäude beschädigt. Laut dem Nachrichtensender n-tv kamen dabei acht Menschen ums Leben.
Weiterhin ist es den ukrainischen Streitkräften laut CNN gelungen, eine Aufklärungseinheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU in der Nähe der Stadt Mykolajiw im Süden des Landes gefangen zu nehmen. Die Gefangenen gehörten zur 10. Brigade des GRU und befänden sich in den Händen des ukrainischen Geheimdienstes SBU.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte unterdessen in einer weiteren Videobotschaft an, sein Land werde den Angreifern weiterhin harten Widerstand entgegensetzen: „Sie werden hier keinen Frieden haben, sie werden hier kein Essen haben, sie werden hier keine ruhige Minute haben“, so Selenskyj. Es sei der Ukraine seit Beginn des russischen Überfalls gelungen, Pläne zu vereiteln, an denen Rußland jahrelang gearbeitet habe. 9000 russische Soldaten seien bereits gefallen, die Moral der russischen Truppen verschlechtere sich. Laut einem Bericht des Kyiv Independent sollen ukrainische Spezialeinheiten erklärt haben, künftig keine Gefangenen mehr zu machen. Grund seien Angriffe Russlands auf ukrainische Zivilisten.
Der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin warnte in einem Gespräch mit dem Sender NBC vor jeglicher Rhetorik, die den Einsatz von Atomwaffen nahelege: Solche Rhetorik „schafft ein Klima, sie schafft Bedingungen für schwere Fehleinschätzungen, und wir wollen nicht, dass das passiert.“ Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zu Beginn der Invasion indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht und am Sonntag die Nuklearstreitkräfte des Landes in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Austin erklärte weiter, er sei zuversichtlich, dass die USA in der Lage seien, sowohl sich selbst wie auch ihre Verbündeten zu verteidigen. Dennoch sagte der Verteidigungsminister den für gestern geplanten Test einer Interkontinentalrakete vom Typ Minuteman III ab. Der Sprecher des Pentagon, John Kirby, sagte vor Journalisten, es gehe darum, „jegliche Handlungen zu vermeiden, die falsch verstanden oder falsch ausgelegt werden könnten“.
Nachdem eine erste Verhandlungsrunde gescheitert war, werden russische und ukrainische Vertreter am heutigen Donnerstag in Brest in Belarus erneut zu Gesprächen zusammenkommen.
Oh Gott, der Krieg verschlimmert sich im Tag zu Tag. Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir nach Bosnien und Herzegowina (1992-1995) einen weiteren Krieg ins Europa haben. Wie traurig ist den sowas.