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TRIER. Am gestrigen Samstagabend feierte das Stück „Fracking for Future“ des schottischen Autors Alistair Beaton am Theater Trier Premiere, in einer auf die Verhältnisse in der Region Trier abgestimmten Fassung. Geboten ist eine politisch-gesellschaftliche Satire auf die Rücksichtslosigkeit großer Energiekonzerne und die vordergründige Glitzeroberfläche, mit der gewiefte Werbeprofis jedes beliebige Produkt medienwirksam aufzuhübschen wissen – eine Satire rund um das Thema Klimawandel, die aber zugleich differenziert, die Probleme der energiepolitischen Transition nicht verschweigt und die Frage nach den Grenzen legitimen Protests aufwirft. Alles äußerst temporeich inszeniert von Regisseur Lajos Wenzel und mit komödiantischen Meisterleistungen des Ensembles.
Von Alexander Scheidweiler
Schon 2016, als der schottische Autor Alistair Beaton sein satirisches Stück „Fracked: Or Please Don’t Use The F Word“ schrieb, war unkonventionelles Fracking, also die Gewinnung von Schiefergas durch Einbringen einer Wasser-Sand-Mischung unter Hochdruck in den Erdboden, ein heißes Eisen. In den USA vielfach angewandt, wird die Technik hierzulande weithin abgelehnt, da die dem Wasser-Sand-Gemisch beigegebenen Chemikalien Mensch und Umwelt schaden können. Auch können durch das Verfahren Schwermetalle ausgewaschen werden und an die Oberfläche gelangen. Fracking ist deshalb in Deutschland seit 2016 verboten – wissenschaftliche Probebohrungen sind aber prinzipiell möglich.
Seither sind acht Jahre vergangen, und das Thema hat eher noch an Aktualität gewonnen: Die Energiepreise steigen, der Ausbau der Windenergie stockt, die letzten deutschen Atommeiler gehen Ende des Jahres vom Netz, die mögliche Eskalation des Ukraine-Konfliktes könnte das Ende für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 bedeuten, über die Deutschland russisches Erdgas beziehen wollte. Dass das Land Engere in ausreichendem Maße und zu bezahlbaren Preisen erzeugen bzw. beziehen kann, scheint zusehends fraglich. Also „Fracking for Future“?
Chis Wiedemann, umtriebiger Manager der PR-Agentur „Public Opinion“ mit großer Affinität zu Schimpfwörtern und Obszönitäten, sieht dies jedenfalls so. Wiedemann, gespielt von Raphael Christoph Grosch, ist der Bösewicht in der deutschen Version von Beatons Stück, die am gestrigen Samstagabend im Großen Haus des Theaters Trier unter eben dem Titel „Fracking for Future“ ihre Premiere feierte. Übersetzt von Michael Raab, haben Intendant Manfred Langner, Regisseur Lajos Wenzel und Dramaturgin Lara Fritz das Stück an die deutschen und noch spezieller: die eifel-moselländischen Verhältnisse der Gegenwart angepasst. Diese besondere Fassung erlebte gestern zugleich ihre Uraufführung.
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In der Fassung von Langner/Wenzel/Fritz soll der verschlagen-geldgierige Wiedemann der Firma von Frank Schulze (Martin Geisen) und Emma (Luise Harder), „Deerland Engery“, dabei helfen, den Bewohnern des kleinen, erfundenen Eifeldörfchens Weidlingen Fracking als Weg in eine bessere Zukunft zu verkaufen. Doch er hat die Rechnung ohne Petra Reinsbach (Barbara Ullmann) gemacht! Die emeritierte Altphilologie-Professorin von der Uni Trier sprengt die Bürgerversammlung, auf der Wiedemann den vermeintlich naiven Landeiern sein Projekt schmackhaft machen wollte, indem sie dem geladenen Experten Prof. Friedrich Stegemann vorwirft, korrupt zu sein: Seine Professur werde von der Wirtschaft bezahlt, er stehe sozusagen auf der Gehaltsliste der Fracking-Lobby.
Die mit der Situation überforderte Weidlinger Bürgermeisterin (Tamara Theisen) lässt Reinsbach von der Security aus dem Saal werfen – doch ein Handyvideo des Vorgangs landet bei YouTube und geht viral. Auf einmal hat die pensionierte Akademikerin mehr Klicks als Billie Eilish, auch wenn sie gar nicht weiß, wer das ist. Der Hashtag #FrackNichtMitOma trendet auf Twitter, Markus Lanz ist am Telefon und will sie als Talkshow-Gast. Sie sagt zu – und schlägt sich besser als erwartet! Der smarte Herr Wiedemann, dessen Agentur auch „Reputationsmanagement“ für Waffenhändler und pädophile Kardinäle betreibt und sich seiner Sache so sicher war, hat auf einmal ein Problem.
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Mit allen Tricks versucht Wiedemann, das Fracking-Projekt zu retten: Petra Reinsbachs Mann Wolfgang (Klaus-Michael Nix), der über den zeitintensiven Umweltaktivismus seiner Frau – der „frisch berühmten Anti-Fracking-Oma“ – wenig erfreut ist, versucht er zu ködern, indem er in Aussicht stellt, die Dorfbewohner mit 5% an den Einnahmen zu beteiligen. Wolfgang scheint nicht abgeneigt. So schön ist das Dorf ja auch gar nicht mehr: Kein Postamt, kein Dorfladen, keine Jobs – und eine richtige Kneipe hat Weidlingen auch nicht mehr, seit der traditionelle Bierbrunnen in eine stylishe „Eifel-Lounge“ für Touristen umfunktioniert wurde. Den Landrat und Baumarkt-Besitzer Uwe Schröter (Manfred Paul Hänig) will Wiedemann mit lukrativen Aufträgen für Deerland Engery bestechen. Und als alles nicht hilft, bringt er den auf der Bürgerversammlung kritisierten Prof. Stegemann dazu, Petra Reinsbach die gefürchtete Anwaltskanzlei Westin & Partner mit einer Verleumdungsklage auf den Hals zu hetzen.
Doch es fruchtet alles nichts: Der Protest gegen das Vorhaben im allgemeinen und Petra Reinsbach im besonderen radikalisieren sich zusehends, kräftig unterstützt von Petras Freundin Jenny (Stephanie Theiß) und ihrem jugendlichen Lover Leon (Lennart Hillmann). Während Jenny die Demokratie für dysfunktional erklärt und ihr die Fähigkeit abspricht, echten Klimaschutz schnell zu ermöglichen, so dass nur „ziviler Ungehorsam“ und „direkte Aktion“ die Mittel der Wahl seien, treibt Veganer und Neuheide Leon Petras Mann Wolfgang mit seiner esoterisch angehauchten Naturphilosophie und seiner kumpeligen Art fast in den Wahnsinn.
Schön, dass dabei auch die Frage nach den Grenzen legitimen Protests zwischen Petra und Jenny diskutiert werden, also die Frage, wie weit die „direkte Aktion“ denn gehen darf und ob der gute Zweck des Umweltschutzes jedes Protest-Mittel heiligt, nicht ausgeklammert wird. Äußert Petra hier anfänglich noch nachvollziehbare und wohlbegründete Vorbehalte, etwa gegen eine Sitzblockade des Rathauses, so ist sie am Schluss, der deshalb doch etwas fragwürdig erscheint, ganz auf Jennys Linie eingeschwenkt.
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Und wird in Weidlingen am Ende gefrackt? Nun, um dies herauszufinden, sollte man sich diese äußerst unterhaltsame Satire im Theater Trier selbst ansehen. Das Stück enthält viele launige Anspielungen auf die Region, etwa wenn Wolfgang Petra zu einem Glas Trittenheimer Weißwein überreden will: „Feinherbe Spätlese – so wie Du“, sagt er – und das Publikum schmunzelt. Vor allem aber ist „Fracking for Future“ eine politisch-gesellschaftliche Satire auf die Rücksichtslosigkeit großer Energiekonzerne und die vordergründige Glitzeroberfläche, mit der gewiefte Werbeprofis jedes beliebige Produkt medienwirksam aufzuhübschen wissen. Zugleich wird aber differenziert, indem die Probleme der energiepolitischen Transition mit zahlreichen aktuellen Bezügen auf die gegenwärtige politische Situation (Ukraine, Nord Stream 2, Inflation und steigende Preise) nicht verschwiegen werden. Geschickt will Wiedemann die Ängste der Bevölkerung vor diesen Problemen instrumentalisieren, um die Widerstände zu brechen. Der etwas leichtgläubige Firmenchef Frank Schulze gerät zusehend in Abhängigkeit von seinem skrupellosen PR-Mann.
Raphael Christoph Grosch spielt den öligen Managertyp Wiedemann denn auch überragend: Die schnellen Emotionswechsel zwischen aufgesetzt-einschmeichelnder Anbiederung und wütender Drohung, die ins Lächerliche umschlagenden, aggressiven, sexualisierten Schmipftiraden, die kokaingesättigt wirkende Aufgedrehtheit und Überdrehtheit geben der Figur zugleich etwas Mephistophelisches und etwas Harlekineskes. Eine ganz großartige Leistung! Allein schon physisch muss es eine Herausforderung sein, diese hohe Drehzahl so gekonnt und bruchlos über die vollen zweieinhalb Stunden durchzuhalten, wie Grosch dies tut.
Doch auch Lennart Hillmann liefert eine Performance ab, die man nur als urkomisch bezeichnen kann: Sein umweltbewegter Esoteriker Leon im hippieartigen Schlabberjeans-und-Bommelmützen-Outfit wirkt einerseits drollig, andererseits mit seiner belehrenden Attitüde altklug und oberlehrerhaft – Verwendung von Genderpause beim Sprechen und Verzicht auf Flugreisen sind für ihn obligat, wer da nicht mitzieht, wird wie Wolfgang schnell als „Fascho“ gelabelt. Und auch Manfred Paul Hänig als pomadiger Provinzpolitiker und möchtegern-patriarchalischer, aber eher wenig erfolgreicher Unternehmer, der im Restaurant die Kellnerin schurigelt, ist einfach köstlich! Dass die Figuren insgesamt etwas holzschnittartig wirken, ist der Gattung geschuldet: Die Satire lebt nun einmal davon zuzuspitzen, zu überzeichnen, zu karikieren.
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Das Ganze wird äußerst flott auf die Bühne gebracht: Temporeiche Wechsel zwischen Wiedemanns Agentur, an der dem Zuschauer mit voranschreitender Handlung immer mehr dunkle Abschattungen auffallen, im rechten Teil des Bühnenbildes und auf der Empore sowie der guten und mit voranschreitender Radikalisierung Petras immer weniger bürgerlichen Stube der Reinsbachs im linken Teil kennzeichnen Wenzels Inszenierung und sorgen dafür, dass dem Zuschauer die Zeit nicht lang wird. Moselländische (?) Weinberge im Hintergrund des Bühnenbildes erinnern das Publikum stets: Es könnte überall passieren!
So liefert die Langner/Wenzel/Fritz-Fassung des Beaton-Stückes einen humorvollen Blick auf ein Thema von hoher politischer Relevanz, aber eben mit einem Humor, bei dem einem manchmal Lachen und Blut gefrieren, wenn man sich vor Augen führt, wie real die Probleme sind, die dort im Medium der Bühnenkunst verhandelt werden. Unbedingt sehenswert, nicht zuletzt wegen der überzeugenden schauspielerischen Leistung des Ensembles, besonders aber von Grosch, Hillmann und Hänig. Die stehenden Ovationen des Premierenpublikums waren hochverdient!
weitere Termine: 8.3., 16.3., 25.3., 30.4., 6.5. (jeweils 19.30 Uhr)