Nord Stream, Antiamerikanismus und Joe Biden: Lokalo-Interview mit USA-Expertin Britta Waldschmidt-Nelson

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Die Historikerin und Amerika-Expertin Prof. Dr. Britta Waldschmidt-Nelson

TRIER. Beim Dies academicus, dem feierlichen Semesterauftakt der Universität Trier, hielt die Historikerin und Amerika-Expertin Prof. Dr. Britta Waldschmidt-Nelson den Festvortrag über die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen (Lokalo berichtete). Am Rande der Veranstaltung gab sie Lokalo ein Interview zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen in Gegenwart und Zukunft.

Lokalo: Frau Prof. Waldschmidt-Nelson, vielen Dank dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit Lokalo nehmen. Sie haben in Ihrem Festvortrag zum Dies academicus der Universität Trier einen hervorragenden historischen Abriss der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen im Wandel der Zeiten gegeben. Werfen wir einen Blick auf Gegenwart: Zurzeit bildet sich in Deutschland eine neue Bundesregierung. Angela Merkel, die eine ausgewiesene Atlantikerin war, wird abgelöst von Olaf Scholz. Wird dies aus Ihrer Sicht Auswirkungen auf das deutsch-amerikanischen Beziehungen haben?

Waldschmidt-Nelson: Ich glaube nicht, dass die Auswirkungen dramatisch sein werden. Man konnte schon bei früheren Regierungswechseln in Deutschland – z.B. von Gerhard Schröder zu Angela Merkel, beobachten, dass die Parteizugehörigkeit bei der Außenpolitik eine wesentlich geringere Rolle spielt als in der Innenpolitik. Das ist auch in den USA so. Außenpolitisch unterscheiden sich die Ziele nicht so stark, sondern andere Faktoren spielen eine größere Rolle, für Deutschland beispielsweise die bis 1990 durch die Bedrohungslage im Kalten Krieg bestehende sehr enge, alternativlose Anbindung an die USA, von der ich auch in meinem Vortrag gesprochen habe.

Wenn nun Olaf Scholz der neue Kanzler wird, dann heißt das, das ein Politiker das Land anführt, der in der Frage des deutsch-amerikanischen Verhältnisses auf der gleichen Linie liegt wie Angela Merkel. Und da mit Joe Biden jetzt auch ein Demokrat in den USA als Präsident amtiert, also jemand der im politischen Spektrum weiter links angesiedelt ist als die Republikaner, denke ich, dass es in der politischen Zusammenarbeit keine größeren Probleme geben wird, d.h. keine über die bestehenden realen Interessenkonflikte hinaus, die ich beschrieben habe. Aber diese sind kaum parteipolitischer Natur.

Lokalo: Gerade nach diesen realen Konflikten wollte ich nochmals fragen: Ein Thema, das in diesem Zusammenhang auch in Deutschland immer wieder diskutiert wird, ist Nord Stream 2. Zweifellos ist Joe Biden ja in diesem Punkt auf einer Linie mit seinem Vorgänger, von dem er sich ansonsten stark unterscheidet. Glauben Sie, dass die durch Nord Stream gegebene, relativ starke engergiepolitische Anbindung Deutschlands an Russland künftig ein Problem für die neue Regierung darstellen wird, was die Zusammenarbeit mit der Regierung Biden angeht?

Waldschmidt-Nelson: Es ist auf jeden Fall ein klarer nationaler Interessenkonflikt. Da kann man nicht drumherum reden. Aus amerikanischer Sicht stellt sich die Sache so dar, dass die Europäer zwar einerseits immer wollen, dass die Amerikaner viel in die NATO investieren und die Westeuropäer vor potentieller russischer Aggression schützen, dass sie helfen, die Grenzen zu sichern und Europa unterstützen, z.B. im gegenwärtigen Konflikt mit Belarus, andererseits machen die Deutschen sich abhängiger von russischen Gaslieferungen.

Dabei darf man nicht vergessen, dass die Amerikaner zudem selbst gerne ihr durch Fracking gewonnenes Gas nach Europa und nach Deutschland verkaufen wollen. Es sind also sowohl sicherheitspolitische Interessen als auch wirtschaftspolitische, die hier aufeinandertreffen. Im Ton ist Joe Biden da natürlich wesentlich verbindlicher als Donald Trump es war, aber in der Sache ist da einfach ein echter Interessenkonflikt, bei dem beide Seiten letztendlich nur versuchen können, auf eine tragbare Kompromisslösung hinzuarbeiten.

Denkbar wäre etwa, dass die Deutschen sich verpflichten, eine bestimmte Menge amerikanisches Gas abzunehmen oder doch zumindest garantieren, dass, sollte es zu Konflikten kommen, die Pipeline zugemacht wird bzw. sich die BRD niemals von Russland wegen der Gaslieferungen politisch unter Druck setzten lässt. Dafür müssten die Amerikaner ihrerseits auf Sanktionen verzichten. Es muss in jedem Fall ein Kompromiss gefunden werden!

Lokalo: Sie haben darauf hingewiesen, dass Deutschland seit 100 Jahren auch auf der kulturellen Ebene stark von den USA geprägt wurde. Dennoch gibt es in Deutschland seit langem auch eine Strömung des kulturellen Antiamerikanismus – Sie haben in diesem Zusammenhang z.B. Wilhelm II. genannt. Diese Strömung wirft der Kultur der USA vor, oberflächlich und kommerziell zu sein. Wo stehen wir heute in Deutschland, was diese antiamerikanischen Tendenzen angeht?

Waldschmidt-Nelson: Ich glaube, dass dieser kulturelle Antiamerikanismus heutzutage eine deutlich geringere Rolle spielt, als das noch in der Generation unserer Eltern und Großeltern der Fall war. Das liegt v.a. daran, dass inzwischen eine Generation aufgewachsen ist, die in den 50er-, 60er-Jahren erwachsen wurde und die mit dieser amerikanischen Populärkultur, mit Rock und Jazz und all diesen Dingen, groß geworden ist, die Jeans trägt, amerikanische Filme schaut usw.. Die amerikanische Populärkultur ist in ganz Westeuropa, v.a. aber in Deutschland, derartig beliebt, dass man mit dem kulturellen Antiamerikanismus heute kaum noch große Massen mobilisieren kann. Der politische Antiamerikanismus ist hingegen v.a. seit dem Ende des Kalten Krieges wesentlich bedeutender geworden. Die Gründe hierfür habe ich vorhin ja auch ausgeführt.

Lokalo: Die amerikanische Gesellschaft ist gegenwärtig hochgradig polarisiert, häufig entlang kultureller und ethnischer Linien, z.B. bei Themen wie Waffenbesitz, Rassismus oder Einwanderung. Auch in Deutschland bemerken wir ebenfalls eine zunehmende Polarisierung im politischen Bereich. Was können wir aus der Entwicklung in den USA bzw. dem Umgang damit lernen? Können wir überhaupt etwas daraus lernen?

Waldschmidt-Nelson: Eine Sache, die man m.E. aus der Entwicklung in Amerika lernen könnte, ist, wie wichtig es für die Demokratie ist, starke, qualitativ hochwertige öffentlich-rechtliche Medien zu haben, damit wirklich ein gemeinsamer Informationshorizont in der Bevölkerung da ist. Ich glaube, es ist ein ganz großes Problem, dass diese gemeinsame Informationsbasis in den USA mit dem Niedergang der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender seit den 1970er Jahren verlustig ging.

Seitdem ist es in Amerika so, dass die Menschen mehr und mehr in gewissen Informations-Blasen leben. Die Rechten schauen nur Fox News, die Linken nur CNN, und man hat dann eine völlig verschiedene Realitätswahrnehmung. Die Schnittmenge von dem, was Menschen noch für wahr halten, wird immer geringer. Und das ist wirklich gefährlich für die Demokratie. So weit ist es bei uns in Deutschland noch nicht, weil bei uns noch immer ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung seine Informationen aus öffentlich-rechtlichen Medien bezieht.

Ich weiß zwar nicht genau, wie viel Prozent der Deutschen jeden Tag Tagesschau und Tagesthemen sehen oder Polit-Sendungen wie die von Anne Will, aber es sind doch ziemlich viele. Dadurch haben wir eine breitere Informationsbasis, die wir teilen. Und das ist für die Demokratie wirklich wichtig.

Lokalo: Zum Abschluss noch ein Blick nach Europa: Frankreich gilt als ältester Verbündeter der USA, bis zurück zum Unabhängigkeitskrieg, wobei das Verhältnis auch nicht frei von Spannungen ist. Mit der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg ist zugleich ein sehr enges Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich entstanden. Wie sollte Deutschland künftig zwischen den beiden Atom- und UN-Veto-Mächten agieren?

Waldschmidt-Nelson: Ich würde auf jeden Fall dazu raten, die bewährte Linie fortzuführen. Das heißt größtmöglichste Freundschaft mit beiden zu pflegen. Es mag zwar vorübergehend Spannungen im transatlantischen Verhältnis hervorrufen, wenn Deutschland in Konfliktfällen zusammen mit Frankreich gegen die Interessen der USA eintritt, wie damals beim zweiten Irakkrieg, als Frankreich und Deutschland sich gemeinsam auch gegen Großbritannien und Polen positionierten. Aber dieser Konflikt währte ja nicht lange. Ich denke, die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich – als zentrale Mächte im Herzen Europas – ist für die EU und für ganz Europa von immens großer Bedeutung, gerade weil sich diese beiden Ländern ja vorher jahrhundertelang immer wieder erbittert bekriegt haben und tief verfeindet waren. Europa kann ohne eine Kollaboration von Deutschland und Frankreich nicht funktionieren. Und ich bin sehr froh darüber, dass sich die deutsch-französische Freundschaft auch nach der deutschen Wiedervereinigung, die lange Zeit von Frankreich, anders als von den USA, sehr kritisch gesehen wurde, so positiv etabliert hat. Letztendlich glaube ich nicht, dass langfristig die deutsch-französische Freundschaft in Konkurrenz zur deutsch-amerikanischen Freundschaft steht, sondern diese im Hinblick auf sicherheits- und wirtschaftspolitische Entwicklungen konstruktiv ergänzen kann.

Lokalo: Frau Prof. Waldschmidt-Nelson, ich bedanke mich für das Gespräch.

Waldschmidt-Nelson: Herzlich gerne – ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!

Die Fragen stellte Alexander Scheidweiler.

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