Theater Trier: „Der Zauberberg“ nach dem Roman von Thomas Mann

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Julian Boine, Christian Beppo Peters / Foto: Kerstin Michels

TRIER. Das Schauspiel „Der Zauberberg“ nach dem Roman von Thomas Mann, feiert am 18. September im Walzwerk in Trier-Kürenz seine Premiere.

Auf dem Zauberberg, im internationalen Lungensanatorium Berghof, folgt die Zeit anderen Gesetzen. Das erfährt auch der junge Hans Castorp, als er seinem kranken Vetter bei „denen hier oben“ einen Besuch abstattet. Schnell schließt er die Bekanntschaft faszinierender Menschen, die in ihrer sonderbaren Entrücktheit aus allen Verbindlichkeiten des Lebens – und in ständiger Gegenwart des drohenden Todes durch die Krankheit – einen besonderen Reiz auf ihn ausüben, dem er sich nicht entziehen kann.

Eingehüllt in eine dicke Decke ewigen Schnees und umschlossen von den Bergriesen der Alpen, gerinnt die Zeit an diesem verwunschenen Ort zu einem einzigen Augenblick, zu einem „stehenden Jetzt“, und ehe er sich’s versieht, werden Castorp die geplanten drei Wochen Aufenthalt zu sieben vollen Jahren. Während sich in der Welt draußen der Beginn einer Katastrophe abzeichnet, folgen die Patienten des Sanatoriums weiterhin in traumwandlerischem Rhythmus ihrem gewohnten Tagesablauf zwischen Liegekur und Lungenröntgen, zwischen Mahlzeiten und Kurkonzerten. Erst der Donnerschlag des einbrechenden Weltkrieges unterbricht den somnambulen Gang der Dinge, und im Rückblick erscheint die Sanatoriumsgesellschaft wie eine Welt voller lebendiger Toter.

Die Regisseurin Christina Friedrich schreibt zu dieser Arbeit: „Schnee im August, Terror. Das Leben, der Tod, die Liebe. Blut liegt im Schnee, schwarz ist die Lunge. Ein zerstörtes Organ. Nur noch der Kopf schaut heraus und spuckt Worte aus. Fontänen. Blutstürze und Wortstürze. Oben auf dem Berg und in der Körperhölle. Weiß fällt das Kristall auf die Erde, die so verwundet ist. Da haben sie sich eingeschlagen in die Kamelhaardecken, gegen die Kälte, gegen den Tod. In einer geronnenen Zeit, die zwischen den gestundeten Tagen vergeht. Schwarz steht der Wald, hoch steigt das Fieber. Die anatomische Untersuchung, die Zergliederung der Seele, die Durchleuchtung der inneren Organe, der schwere Atem. Das Letzte Wort. Eine hermetische Gesellschaft. Ein Gesellschaftskörper.

Tilman Rose, Juliane Lang, Foto: Kerstin Michels
Tilman Rose, Juliane Lang, Foto: Kerstin Michels

Europa bereitet sich auf eine Katastrophe vor. Die toten Körper liegen auf dem Meeresboden, werden an die Küsten gespült. Hoch lebe der Internationale Berghof Davos. Champagner zum Abend, ein Schokoladenmousse zum Mittag. Schon morgen sterben wir. Hans mit den großen Augen und der leicht erhöhten Temperatur geht durch eine moribunde Welt. Die Welt ist krank, mein Freund. Komm mit in das große Bioskop Laboratorium. Wir öffnen den Körper. Gib mir ein Skalpell und einen Blitz. Zeig mir dein Herz, zeig mir deine Seele. Du bist ja schon tot, oder lebst du noch. Schon morgen wirst Du sterben.

Da sind sie aber alle noch einmal auferstanden und ziehen durch die Nacht, über die der Schnee fällt. Die Blutenden, die Zuckenden, die Sterbenden, die Gierigen, die Kämpfenden, die Denkenden, die sich Aufbäumenden, die Fiebernden. Noch einmal wollen sie tanzen, ein großes Fest des Lebens feiern. Bevor das Fieber steigt, der Körper sich auflöst und das Zimmer Nummer 34 mit Formalin ausgeräuchert wird. Ist es ein Traum, ist es eine Botschaft aus einem Jahrhundert, das uns noch bevorsteht. Nichts lernt der Mensch, nichts befähigt ihn zur Wandlung. Er steht auf dem Schlachtfeld und schlägt Kopf, Glied, Glauben, Wissen und Erkenntnis in Stücke. Was bleibt, ist die Wüste im Winter. Ein Schneekristall ist perfekt. Der Mensch ist es nicht.

Da staunt der Hans, der in diesem Universum angelangt. In einer Stadt, in einem Walzwerk, einer Fabrik, die Korsettstangen für die Damen produzierte. Da sind wir nun, bereit zum Aufbruch. In die Körperhüllen und Seelen der Moribunden einzusteigen, mit ihnen den Totentanz zu üben, den Worten zu lauschen der großen Humanisten in den Konferenzen eines ausgeräumten Jahrhunderts. Ein Jeder ist Alles. Die Schönheit eines Liebenden, der siebente Sinn eines Mediums, die Rationalität eines Arztes, der Glauben eines Ungläubigen, die Todesangst eines Kindes, die heilige Unschuld eines Fragenden und die Empfindsamkeit eines Träumenden. Durch den verlassenen Ort zieht eine Gesellschaft. Sie schneidet ein Loch in das Herz, da steigen sie auf, die Figuren. Wir sind es ja selbst. Wie geträumt.

Der Schnee fällt im August. Wir schließen die Augen und lassen ihn auf der Zunge schmelzen. Hier meine Hand, mein Herz. Wo sind wir. Was ist das. Wohin verschlingt uns der Traum. Man träumt nicht nur aus eigener Seele, man träumt anonym und gemeinsam, wenn auch auf eigene Art. Noch stehen die Maschinen. Wer aber den Körper, das Leben erkennt, erkennt den Tod. Die Menschen werden kommen, sie öffnen die Tür, nur einen Spalt. Was sehen sie. Was hören sie. Sie gehen auf Zehenspitzen. Sie treten ein in das Totenreich. In den Wänden, auf den Böden, in den Kammern, an den Haken, auf den Kurbeln, Wellen, Rädern der atmende Körper: Schlittenfahrten, Kuchenessen, Totenrituale, Ausräucherungen, Duelle, Geisterbeschwörungen, düstere Zeremonien, Untersuchungen, Blutstürze, Milchspeisen, Verkündigungen, Vorträge, Liebesbefehle, Krampfverzückungen, Tänze, Rippenfelle, cinematografische Momente, Sterbesakramente und Seminare, Kartenspiele, Winterwanderungen, Blutungen, Prozessionen, Liebesschwüre, Weihnachtsfeste und Waschungen, Trancen und Durchleuchtungen. Ein Requiem. Rituale, Maskenbälle, unglaublichste Verkleidungen, Travestien. Pädagogische Exkurse, blutige Hexen. Schneetänze und Mädchen mit Wasserrosen.

Gina Haller, Foto: Kerstin Michels
Gina Haller, Foto: Kerstin Michels

Mythische Zeitkörper. Naturreflexionen und Nasenbluten. Spanische Damen und das Schlürfen von Sauerstoff. Messerattacken und Suizidales. Arien und Exkurse über den Zeitsinn. Bobschlitten und Seelenzergliederung, die Anatomie des Herzens. Wir sind ja da. Wir gehen schon einmal vor. In den Zauberberg. Und brechen uns große Stücke des Körpers heraus, wir essen das Herz und die Lunge und sprechen das Wort. Wir teilen uns mit Euch. Es wird ein Fest. Wir zünden alle Lichter an. Einmal noch. Es wird heller im Dunkeln. Ach. Die Toten kommen, wir hören sie schon. Nichts wird bleiben, wie es war. Auch wir sind nur vorübergehend hier. Sieben Tage sind sieben Jahre. Das wissen wir. Ein jeder ist eingeladen, mit allem, was er ist. Die magische Zauberformel hat Gültigkeit. Ich sehe dein Herz. Oh l’amour, tu sais, le corps, l’amour, la mort. Ces trois. Musik fällt vom Himmel, wie Schnee. Ein Mensch singt, hoch bis zu den Sternen. Wir hören das Echo.“

Christina Friedrich, Inszenierung

Geboren in Nordhausen/Thüringen, studierte Christina Friedrich Hydrogeologie, bevor sie ein Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin absolvierte. Ihre Inszenierungen führten sie als Hausregisseurin an das Theater Bremen sowie an das Deutsche Nationaltheater Weimar, Schauspiel Bonn, Schauspiel Hannover, Theater Luzern, Staatstheater Mainz, Maxim Gorki Theater Berlin, an das Deutsche Theater Göttingen, das Mozarteum Salzburg, das Neue Theater Halle und die Philharmonie Berlin. Als Filmemacherin und Produzentin konzipierte und inszenierte sie in Haifa gemeinsam mit Michael Brauchli das internationale Rechercheprojekt „Keep me in mind“ mit Stationen in Berlin, Vilnius, Warschau, Montreal und Marseille.

Als Dozentin war und ist sie an deutschsprachigen und internationalen Hochschulen tätig, unter anderem der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, der Technischen Universität Berlin, dem Salzburger Mozarteum, am Matsumoto Performing Arts Center in Japan, der Universität Tel Aviv, der Zürcher Hochschule der Künste und der Akademie für Darstellende Künste in Ludwigsburg. 2008 erschien ihr Roman „Morgen muss ich fort von hier“.

Der Zauberberg Schauspiel nach dem Roman von Thomas Mann
Premiere am 18. September, 19.30 Uhr, Walzwerk Trier

Mit: Julian Michael Boine, Claudio Gatzke, Gina Haller, Juliane Lang, Nadia Migdal, Ronja Oppelt, Christian Beppo Peters, Gitte Reppin, Tilman Rose, Fritz Spengler, Barbara Ullmann

Regie: Christina Friedrich Bühne: Anton Unai Kostüme: Lara Scherpinski Musik: Mark Scheibe Dramaturgie: Ulf Frötzschner und Adrian Jager

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