Heiter, spritzig, spielfreudig: Theater Trier zeigt „Der Liebestrank“ als Open Air

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Adina (Annija Adamsone) nimmt die Huldigungen von Belcore (Yuriy Hadzetskyy) entgegen. Foto: Martin Kaufhold

TRIER. Einen sommerlich-heiteren Opernabend, der einfach ganz viel Spaß macht, bietet die Open Air-Inszenierung von Gaetano Donizettis Oper buffa-Klassiker „Der Liebestrank“ am Theater Trier, deren Premiere am gestrigen Freitagabend auf dem Augustinerhof stattfand. Heiter, spritzig, spielfreudig und hochpräsent präsentieren sich Ensemble, Chor und Philharmonisches Orchester der Stadt Trier, sehr zur Freude eines sicht- und hörbar hochzufriedenen Publikums.

Von Alexander Scheidweiler

Bei bestem Sommerwetter streicht am gestrigen Freitagabend ein leichtes Lüftchen über die Zuschauertribüne auf dem Trierer Augustinerhof. Intendant Lajos Wenzel hält noch eine kleine Ansprache, in der er den Mitarbeitern, Freunden, Förderern und Besuchern des Theaters Trier seinen Dank ausspricht und die, wie er selbst andeutet, auch die Zeit überbrücken soll, bis die Sonne hinter der Baumgruppe verschwunden ist, so dass auch die Zuschauer auf den oberen Reihen der Tribüne nicht geblendet werden und Donizettis Publikumsliebling „Der Liebestrank“ („L’elisir d’amore“) genießen können, der an diesem Abend in einer Inszenierung von Oliver Klöter seine Premiere erlebt. Es herrscht entspannte Festival-Sommer-Atmosphäre, viele der Besucher haben bereits mit Moselriesling von den zahlreichen gastronomischen Ständen nördlich der Tribüne eine leichte, beschwingte Heiterkeit herbeigeführt, mit der sich der Opera buffa-Klassiker, in dem der silberzüngige Quacksalber Dulcamara – in der Western-Sprache würde man ihn wohl einen „snake oil peddler“ nennen – dem herzensguten, aber doch recht einfältigen Nemorino eine Flasche Bordeaux als magischen Liebestrank andreht, um so besser genießen läßt.

Bäume schmiegen sich sanft an die Freiluftbühne

In jedem Falle war es schonmal die richtige Entscheidung, die Tribüne diesmal nach Osten auszurichten, also zu den Bäumen hin, die sich sanft um die Bühne schmiegen und eine hainartige Atmosphäre und Abgeschlossenheit schaffen, als nach Westen wie letztes Jahr bei der „Carmen“. Es sieht einfach schöner aus. Den kleinen Nachteil, daß man halt erst dann wirklich loslegen kann, wenn die Sonne soweit weg ist, dass auch die hinteren Reihen das Bühnengeschehen sehen können, überbrückt der Intendant mit seiner charmanten Dankesrede, in deren Rahmen auch Hiltrud Zock von den Theaterfreunden dem Philharmonischen Orchester, das mit dem Ersten Kapellmeister Wouter Padberg auf einer kleinen Empore links neben der Bühne platziert ist, die neuen Notenpultleuchten übergibt, die die Theaterfreunde für die Musiker angeschafft haben. Stramme 49.000 Euro haben sie gekostet, denn professionelle Leuchten, die transportabel sind und sich den im Orchestergraben qua Lichtregie notwendigerweise ständig ändernden Lichtverhältnissen anpassen, gibt’s nicht bei Globus.

Aus der reichen Pächterin ist in der Inszenierung von Oliver Klöter eine Barbesitzerin geworden. Foto: Martin Kaufhold

Irgendwann ist die Sonne dann weg und es kann losgehen. Der Opernabend, der dann folgt, lässt sich vielleicht am besten mit den Worten aus dem Duett „Voglio dire“ beschreiben, in dem Nemorino von Dulcamara den vermeintlichen Liebestrank erwirbt:

Nemorino: E il sapore? („Und der Geschmack?“)

Dulcamara: Egli è eccellente. („Er ist köstlich.“)

Am Ende des Abends hätten daher wohl die weitaus meisten Zuschauer sich auch die unmittelbar darauffolgenden Worte Nemorinos zueigen gemacht und sie an die Mitwirkenden gerichtet: „Obbligato, ah! Sì, obbligato! / Son felice, son rinato.“ („Danke, ach danke! Ich bin glücklich, ich bin neu geboren.“)

Baskisches Bauerndorf wird zu Bar und Sportstudio

Klöters Inszenierung versetzt die Geschichte des armen Bauern Nemorino, der sich unsterblich in die reiche und gebildete Pächterin Adina verliebt, in die Gegenwart: Aus Adina, gesungen von Annija Adamsone, wird eine Barbesitzerin, deren Bar mit hohen Regalen, Theke und Sitzgruppen den rechten Teil der Freiluftbühne einnimmt (Bühnenbild: Darko Petrovic). Gewandet ist die weibliche Hauptfigur in eine goldene Bluse mit Seidenschal und eine blaue Damenhose, ein bisschen Verführerin, ein bisschen toughe Business-Frau (Kostüme Annett Lausberg). Nemorino (Gustavo Eda) arbeitet als Auslieferer für sie und tritt daher zu Beginn mit Fahrrad, Transportrucksack und mit einem Look, der Mitte der 90er von jungen Leuten getragen wurde (offenes Hemd über Poloshirt, umgedrehte Baseball-Cap) auf. Aus dem Sergeanten Belcore (Yuriy Hadzetskyy) wird ein Fitnessstudio-Besitzer und Reserveoffizier, dessen Studio, das „Lux Gym“, mit Hantelbank und Indoor Bikes den linken Teil der Bühne einnimmt. Die von Silja Schindler gesungene Giannetta figuriert als Adinas Geschäftspartnerin. Ansonsten ist alles wie gewohnt: Nemorino hat anfänglich kein Glück bei Adina, die er unglücklich liebt, kauft bei Dulcamara (James Young) einen einen „Liebestrank“, muss, da dieser wirkungslos bleibt, mit ansehen, wie seine Angebetete den Rivalen Belcore umgehend heiraten will, versucht, einen zweiten Liebestrank bei Dulcamara zu erstehen, hat dafür kein Geld, verpflichtet sich, um solches zu erlangen, zum Militärdienst, rührt mit diesem Beweis der Hingabe Adina, die sich daraufhin prompt umentscheidet, während Belcore erklärt, so wichtig sei’s ihm mit Adina eh nicht gewesen, da er jede andere haben könne – und das ganze endet dann mit fröhlichen Schlusschor auf „den großen Dulcamara“.

Dulcamara (James Young, links) verkauft Nemorino (Gustavo Eda) das Wundergetränk. Foto: Martin Kaufhold

Klöters Ansatz holt somit den Stoff in die Gegenwart, versetzt ihn an soziale Orte, die der Mitwelt mehr sagen als ein baskisches Bauerndorf in den frühen 30ern des 19. Jahrhunderts und macht so den Dulcamara’schen Bordeaux noch etwas süffiger und leichter zu schlürfen. Darin liegt natürlich auch eine gewisse Ambivalenz, denn wie bei allen Versuchen regietheatralischer Verheutigung drängt sich die Frage auf, ob es wirklich wünschenswert ist, unter dem Banner des Schaffens von Zugängen dem Zuschauer die hermeneutische Herausforderung abzunehmen, sich auf die Andersartigkeit eines historischen Werkes und der Welt, die es entwirft, einzulassen. Denn gerade im Sich-Stellen gegenüber dieser Herausforderung liegt nicht unwesentlich Reiz und Gewinn der Beschäftigung mit allen geistigen Erzeugnissen. Wer immer abgeholt wird, weil er dann leichter irgendwohin verbracht werden kann, verlernt mit der Zeit das Fahren. Insofern ist die beliebte und inflationär wuchernde Transport-Metapher, man müsse Leute da abholen, wo sie sind, problematisch. In jedem Fall hebt die Ersetzung des baskischen Dorfes durch ein zeitgenössisches Sportstudio und eine Bar keine neuen Sinnpotentiale, zumindest keine, die diesem Rezensenten aufgegangen wären. Kann man machen. Ist ganz nett. Mehr aber auch nicht.

Musikalisch und schauspielerisch bestechend

Bestechend hingegen Spiel und Musik: Heiter, spritzig, spielfreudig, hochpräsent – so präsentieren sich Ensemble, Chor und Orchester an diesem Premierenabend. Ein sommerlicher Opernabend, der dem Publikum sichtlich großen Spaß macht, was sich im häufigen Szenen- und donnernden Schlussapplaus niederschlägt. Fast jede Nummer wird einzeln beklatscht, und das zurecht.

Ein wahrer Wirbelwind: James Young als Dulcamara. Foto: Martin Kaufhold

Gustavo Eda setzt als Nemorino schon zu Beginn mit einem hingebungsvollen „Quanto è bella, quanto è cara!“ einen Akzent: Zugleich trittsicher und zart schmelzend, ohne ins Schwächliche abzugleiten, gelingt ihm die Sehnsuchtsarie. Später beweist er auch beachtliches komödiantisches Talent, wenn er, vom vermeintlichen Liebestrank angeheitert und „La rà, la rà, la lera“ trällernd, über die Bühne tänzelt, was Adamsones Adina mit hinreißend gespielter Indigniertheit quittiert. Dann wieder ist er auf geradezu herzzerreißende Weise im wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört, als er am Ende des ersten Aktes angesichts des vorläufigen Zerbrechens seiner Hoffnungen von Belcore und dem Chor als Einfaltspinsel verspottet wird. Man möchte als Zuschauer fast aufstehen und auf die Bühne klettern, um diesem tieftraurigen jungen Mann Mut zu machen und auf die Schulter zu klopfen. Diese Traurigkeit, gepaart mit einem Hoffnungsschimmer, vermag er auch in seinen strahlenden Tenor zu legen, wenn er das eigentliche Arien-Highlight des „Liebestrankes“, „Una furtiva lagrima“, im zweiten Akt vorträgt.

Annija Adamsone gelingt das gleiche Kunststück, mit dem sie schon als Zerbinetta in der „Ariadne auf Naxos“ das Trier Publikum in ihren Bann schlug: Federleicht und hochpräzise lässt sie Koloraturen hervorperlen wie die Bläschen aus einer mit Dom Pérignon gefüllten Sektschale. Großartig auch ihre schauspielerische Leistung, wie sie z.B. mit der Selbstverliebtheit der etwas eitlen Schönen die Huldigungen Belcores entgegennimmt, der ihr statt eines Blumenstraußes im Libretto von Felice Romani seine Sportpokale überreicht und dabei die eigene Galantheit rühmt, was sie mit einem skeptisch-verspielten Wiegen des Hauptes quittiert. Dann die bereits erwähnte schnippische Verärgerung angesichts des vermeintlichen Desinteresses von Nemorino, als dieser sich der Wirkung des Zaubertrankes gewiss glaubt. Schließlich kriegt Adamsone im zweiten Akt sicher die nicht ganz einfach zu nehmende Kurve, mit einem warmen und ausdrucksstarken „Prendi; per me sei libero“ von der Koketten zur authentisch liebenden Frau überzugehen, praktisch wie aus dem Nichts.

Noch deutet alles auf eine Hochzeit zwischen Adina und Belcore hin. Foto: Martin Kaufhold

An dieser 180-Grand-Wende kann man übrigens ablesen, dass Romani das Libretto im gestreckten Galopp geschrieben bzw. aus dem Französischen übertragen und adaptiert hat, woraufhin der kompositorische Fließbandarbeiter Donizetti in nicht minder gestrecktem Galopp die Partitur drüberkomponierte. Sprich: Es liegt auf der flachen Hand, dass man an die Textgrundlage des „Liebestrankes“ keine allzu hohen Anforderungen hinsichtlich der Stringenz des Plots und der Konsistenz der Figurenpsychologie stellen sollte, was in Anbetracht des melodischen Einfallsreichtums Donizettis zwar verschmerzbar ist, es aber für die Sängerinnen und Sänger eben auch nicht unbedingt einfacher macht, diese Figuren und Situationen glaubwürdig darzustellen.

Yuriy Hadzetskys Belcore im epaulettenbesetzten schwarzen Trainingsanzug mit Sneakern und goldenen Lampassen an der Jogginghose gibt sich gockel- und etwas proletenhaft mit einem Hang zum Aufbrausenden: Immer wieder ist er kurz davor, mit einem drohend erhobenen Stuhl auf seinen Widersacher loszugehen. Wenn er Adina zum „Come Paride vezzoso“ wie beschrieben seine Pokale verehrt, zeigt er die Fülle seines schönen Baritons.

Die Hoffnungen scheinen sich nicht zu erfüllen: Nemorino (Gustavo Eda) am Boden zerstört vor Adina (Annija Adamsone). Foto: Martin Kaufhold

Einen wahren Wirbelwind lässt James Young in einem Rollendebüt als Dulcamara über die Bühne brausen: Quirlig und energiegeladen fegt der hochgewachsene Australier im knallbunten Hemd bei seiner der Auftrittsarie „Udite, udite, o rustici“ über die Bühne, wobei einem Angst und Bange werden kann, drohen doch die dicht auf der Bühne stehenden Barmöbel sowie seine Rollkoffer, in denen er die angepriesenen Wundermittelchen transportiert, ihm wiederholt zur Stolperfalle zu werden. In hohem Tempo und mit beachtlichem stimmlichem Volumen fliegt der Bassbariton durch seine Rolle, insbesondere in der Barcarole von der Gondoliere und dem verliebten Senator als gebückt gehender Lustgreis im Zusammenspiel mit Annija Adamsone humoristische Highlights setzend.

Auch Silja Schindler ließ erneut den kristallenen Sopran hören, mit dem sie unlängst als Najade in der Trierer „Ariadne“ aufhorchen ließ, indes bietet die kleine Rolle der Giannetta nur wenige Möglichkeiten für grundlegende sängerische Akzentsetzungen.

Am Ende finden Adina und Nemorino zueinander. Foto: Martin Kaufhold

Opern- und Extrachor des Theaters Trier unter der Direktion von Martin Folz trugen mit ausgewogenem Klang und großer Spielfreude maßgeblich zum Gesamterlebnis bei, während das Philharmonische Orchester der Stadt Trier, dirigiert vom Ersten Kapellmeister Wouter Padberg, italienische Lebensfreude und rhythmische Dynamik versprühte, doch zugleich in den empfindungsreicheren, emotional feiner abgestuften Momenten, etwa bei der Begleitung von „Una furtiva lagrima“ und „Prendi; per me sei libero“, das nötige Fein- und Fingerspitzengefühl nicht vermissen ließ.

Weitere Termine: 6.7., 9.7. und 12.7., jeweils 20.00 Uhr.

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