Unvergängliche Hits mit authentischem Sound: „Die Comedian Harmonists“ am Theater Trier

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Die Trierer Comedian Harmonists (v.l.n.r.): Ari Leschnikoff (Derek Rue), Roman Cycowski (Theodor Reichardt), Harry Frommermann (Giovanni Rupp), Erich Collin (Harald Pilar von Pilchau) und Robert Biberti (Gideon Rapp). Foto: Martin Kaufhold

TRIER. Rund neun Jahrzehnte nach der von den Nazis erzwungenen Auflösung der Comedian Harmonists begeistern unvergängliche Hits wie „Veronika, der Lenz ist da“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“ noch immer das Publikum. Das Schauspiel mit Musik „Die Comedian Harmonists“ von Gottfried Greiffenhagen und Franz Wittenbrink zeichnet den kometenhaften Aufstieg und Fall der grandiosen und auf ihre Weise bahnbrechenden Gesangsgruppe vor dem Hintergrund der Roaring Twenties und des Erstarkens des Nationalsozialismus nach. Gestern feierte das Stück am Theater Trier Premiere.

Von Alexander Scheidweiler

Drei Mal ruft das Premierenpublikum am gestrigen Samstagabend durch rhythmisches Klatschen die Trierer Comedian Harmonists für Zugaben auf die Bühne des Großen Hauses des Theaters Trier zurück. Und die liefern natürlich: „Ein Freund, ein guter Freund“ (passend zum gerade Gesehenen), das ironische Liebeslied „Hallo, was machst du heute, Daisy?“ und, zum endgültigen Abschied, „Auf Wiedersehen, my dear“. Immer wieder gibt es an diesem Abend, bei der Premiere von „Die Comedian Harmonists“, einem Schauspiel von Gottfried Greiffenhagen mit Musik von Franz Wittenbrink in einer Inszenierung von Ulf Dietrich, Szenenapplaus, was beweist: 87 Jahre nach seiner vom NS-Regime erzwungenen Auflösung vermögen die oft lustigen, manchmal leicht melancholischen, fast immer vor Wortwitz sprühenden Ohrwürmer und Evergreens des legendären Berliner Vokalensembles noch immer zu faszinieren und zu begeistern. Über welche deutschen Schlager der späten 20er- und frühen 30-Jahre könnte man das heute noch sagen?

Tanzen zu den Klängen der „Revelers“: Harry Frommermann (Giovanni Rupp, links) und Robert Biberti (Gideon Rapp). Foto: Martin Kaufhold

Im Rahmen der Premiere hörte das Publikum im Grunde ein komplettes Comedian Harmonists-Konzert – 16 Titel wurden mit erstaunlich authentischem Comedian Harmonists-Sound vorgetragen, darunter selbstverständlich unvergängliche Hits wie „Wochenend und Sonnenschein“, „Veronika, der Lenz ist da“ und natürlich „Mein kleiner grüner Kaktus“. Dabei spielt Horst Maria Merz, der die musikalische Leitung der Produktion innehat, in der Rolle des Erwin Bootz beschwingt am Piano auf, während die fünf Sänger Ari Leschnikoff (Derek Rue), Erich Collin (Harald Pilar von Pilchau), Harry Frommermann (Giovanni Rupp), Roman Cycowski (Theodor Reichardt) und Robert Biberti (Gideon Rapp) dem Klang des Originals sehr nahe kommen, wobei nicht überrascht, dass der Musical-erfahrene Reichardt und v.a. Opern-Ensemble-Mitglied Derek Rue stimmlich herausragen.

Dabei ist die Handlung des Stücks, das von Aufstieg und Fall der Gesangs-Combo im Kontext der Goldenen Zwanziger und des Erstarkens des Nationalsozialismus erzählt, gleichermaßen aus Komik und Tragik zusammengesetzt, oder besser: „Die Comedian Harmonists“ zeigt, dass die leichte Muse oftmals nicht so leicht ist bzw. es nicht so leicht hat, und dass das, was heiter und leichtfüßig daherkommt, mit harter Arbeit verbunden ist. Der kometenhafte Aufstieg der Gruppe, der die sechs Männer, die nach und nach zu Freunden wurden, aus der bescheidenen Mansardenwohnung des jungen Schauspielschülers Frommermann in der Berliner Stubenrauchstraße zu nationalem und internationalem Starruhm führte, bevor die antisemitische Kulturpolitik des Dritten Reiches die drei jüdischen Mitglieder des Ensembles – Frommermann, Collin und Cycowski – mit Berufsverboten belegte, wurde durch den mittlerweile wohl klassisch zu nennenden Film von Joseph Vilsmaier aus dem Jahre 1997 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Ähnlich wie der Film orientiert Greiffenhagens Stück sich grob an der Historie, mit manchen dichterischen Freiheiten.

Viel Übung ist vonnöten, um den gewünschten Klang zu erreichen. Foto: Martin Kaufhold

Die Kostüme im Stile der Zeit von Monika Seidl verleihen der Trierer Inszenierung einen ansprechenden Vintage-Look, der hervorragend zum allgemeinen Schellack-Charme des Gegenstandes passt. Wenige, aber stimmige Requisiten – ein Grammophon hier, ein Retro-Telefon dort – sowie Vorhänge in wechselnden Farben, die unterschiedliche Locations, an denen die Sänger auftreten, anzeigen, sorgen für ein einfaches, aber harmonisches und atmosphärisch-heimeliges Bühnenbild.

Im Laufe dieses Theaterabends folgt der Zuschauer dem Weg, den die Gruppe nahm, nachdem Fommermann am 19.12.1927 per Zeitungsannoce „Berufssänger, nicht über 25“, zum Vorsingen „für einzig dastehendes Ensemble“ in seine Wohnung lud. Gemeinsam mit dem Bass Robert Biberti beschloss er, den Gesangsstil des amerikanischen Close Harmony-Quintetts „The Revelers“ nach Deutschland zu bringen. Nach und nach stießen die weiteren Mitglieder hinzu. Doch dieser einzigartige Sound setzt große Präzision und perfekte Abstimmung der Sänger aufeinander voraus – paradoxerweise muss das, was leichtfüßig und heiter klingen soll, mit harter Arbeit erkauft werden. Ein rigides Probenregime, das zunächst kein Geld einbringt, will eingehalten werden, oftmals bis spät in die Nacht hinein, da die sechs Männer tagsüber mit Nachhilfestunden (Collin), Kellnerjobs (Leschnikoff) o.ä. Geld verdienen müssen, um über die Runden zu kommen. Ein erstes Vorsingen an einer Varieté-Bühne endet im Desaster, Erich Collin will zwischenzeitlich hinschmeißen. Dann der Durchbruch: Bei einem Konzert im Leipziger Schauspielhaus am 30.1.1930 dreht das Publikum fast durch vor Begeisterung: „Wir erlebten einen Applaus, den noch nie erlebt hatten! Und zwar unerwartet. Die Leute haben getrampelt und geschrien“, zitiert das exzellente Programmheft des Theaters Trier eine Erinnerung des Pianisten Erwin Bootz.

Konzentriertes Zuhören, wenn das Vorbild erklingt. Foto: Martin Kaufhold

Die Comedian Harmonists werden Musik-Stars, verdienen das große Geld, Tourneen führen sie durch ganz Deutschland und Europa. Doch mit der sich in der Weltwirtschaftskrise verschlechternden Lage weiter Teile der Bevölkerung fällt der Schatten des Nationalsozialismus immer mehr über Deutschland und über die Comedian Harmonists. Immer häufiger sind braune Uniformen und Hakenkreuze auf der Bühne zu sehen – in diesem Zusammenhang ein großes Lob an Stephan Vanecek, der im Laufe des Abends in zahlreiche und sehr unterschiedliche Rollen vom jüdischen Agentur-Inhaber Bruno Levy bis zum SA-Mann schlüpfen muss und diese Aufgabe exzellent bewältigt. Zunächst hagelt es Absagen ohne Erklärung, wobei man schon vermutet, woher der Wind weht, dann erscheint bei einem Konzert in München ein NS-Funktionär (auch gespielt von Vanecek) auf der Bühne und erklärt selbstgefällig-schnöselig und mit stark dialektaler Färbung, dass die Gruppe nicht mehr in München auftreten dürfe – das „schamlose Geplärre“ dieser „Urwaldmusik“ sei nicht mehr erwünscht. 1935 kommt dann das endgültige Aus: Collin, Fommermann und Cycowski erhalten in Deutschland Berufsverbot – die Gruppe bricht auseinander.

Vorsingen für Bruno Levy (Stephan Vanecek, links). Foto: Martin Kaufhold

In einer emotionalen Abschiedsszene machen die drei jüdischen Mitglieder sich auf nach Wien, wo sie eine Nachfolge-Gruppe gründen wollen. Bitter rechnet Frommermann mit dem Land, das ihn ausschließt, ab: „Bis heute hatte ich mich als Deutscher gefühlt, aber das ist jetzt vorbei.“ Giovanni Rupp spielt nicht nur diesen Abschied, sondern die ganze Palette der Charakterfarben des vielschichtigen, sensiblen und humorvollen Formmermann – Gründer und treibende Kraft der Comedian Harmonists – gleichermaßen intensiv wie charmant. Gut, dass er in Gideon Rapp einen so großartigen Robert Biberti als Widerpart hat: Rapp spielt den Bass, der zugleich Manager und Verhandler des Ensembles war, als kumpelhafte, schulterklopfende Type mit Berliner Schnauze und Mutterwitz, als robust-grobkörniges Komplement zu dem ruhelosen, verletzlichen, intellektuellen Vordenker und Visionär, als der Rupps Frommermann erscheint. Ebenfalls sehr stark: Reichardts Roman Cycowski, der sich in der bewussten Abschiedsszene als „einziger echter Jude“ bezeichnet. Tatsächlich sang der aus Polen stammende Cycowski schon in jungen Jahren in der Synagoge, wirkte später, als er sich in den USA niedergelassen hatte, als Kantor an Synagogen in San Francisco und Palm Springs. Die kleine Szene mit liturgischem Gesang im Tallit ist eine große Leistung Reichardts – das ist nicht ganz einfach zu spielen.

So bietet „Die Comedian Harmonists“ beides: Ein Potpourri der schönsten und vielfach heiter-unbeschwerten Hits dieser grandiosen und auf ihre Weise bahnbrechenden Gesangsgruppe und ein bedrückendes Zeitbild, das den Untergang der Roaring Twenties und die ersten Jahre des Nationalsozialismus nachzeichnet, wobei in beklemmender Weise deutlich wird, wie das Regime die Schlinge um den Hals seiner Gegner oder einfach nur aller, die aus ideologischen Gründen unerwünscht waren, schrittweise immer enger zog. Eine berührende, mitreißende Hommage an eine der noch immer beliebtesten deutschen Gesangsformationen, rund neun Jahrzehnte nach ihrem erzwungenen Ende – und ein nachdenklich machendes Historiengemälde.

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