
TRIER. Schon lange vor der Einführung elektronischer Diebstahlssicherungen gab es in den Trierer Bibliotheken ein wirkungsvolles System, das Diebstähle verhinderte und die kostbaren historischen Bücher gleichzeitig schützte. Die Wissenschaftliche Bibliothek präsentiert solche Kettenbücher, die eine echte Rarität sind, als Objekte des Monats Juni.
Die Geburtsstunde der öffentlichen Bibliotheken der Stadt Trier schlug um 1550. Im Westflügel des Simeonstifts, wo sich heute das Stadtmuseum befindet, entstand ein ganz besonderer Lesesaal. Nach der Gründung der Universität im Jahr 1473 mit den vier Fakultäten Theologie, Philosophie sowie Medizin und Recht wurde es nötig, eine Bibliothek für die Studierenden zu errichten. Der Hauptsitz war in der Dietrichstaße. Dort war aber kein Platz für die Bibliothek. Ihr Bestand wurde daher in vier Bereiche gegliedert: Theologica, Humanistica, Medicinalia, und Juridica. Die wichtigste Frage war, wie man den Zugang zu den kostbaren Büchern ermöglichte, ohne sie zu gefährden. Die Entscheidung trafen unter anderem Mäzene, die bedeutende Sammlungen gestiftet hatten.
Der Theologe Johann Leyendecker hatte in seinem Testament von 1493 bestimmt, die eigene Bibliothek öffentlich zugänglich zu machen. Auch der Dekan Matthias von Saarburg hat seine Bücher, unter anderem viele juristische Texte, der öffentlichen Nutzung vermacht. Kurz nach seinem Tod 1539 wurden Gelder für die neue Ausstattung der Bibliothek gesammelt. Etwa um 1550 wurde der erste Katalog der Simeonstiftsbibliothek angefertigt, höchstwahrscheinlich wurde damals auch die Bibliothek für das Publikum im Refektorium des Gebäudes eröffnet. Matthias von Saarburg hatte sich gewünscht, dass die Bücher unter Aufsicht benutzt wurden, Leyendecker optierte für eine pragmatischere Lösung und sichere Vorkehrungen gegen Diebstahl: eine Kettenbibliothek. Diese Option wurde umgesetzt: Jeder Band wurde mit einer Kette versehen und am Lesepult befestigt.
In vier thematische Bereiche aufgeteilte Bücher wurden Studierenden und Lehrenden zur Verfügung gestellt. Der Reisende Philipp Wilhelm Gercken notierte im 18. Jahrhundert: „Die uralte Stiftsbibliothek bey dem Collegiatstifte S. Simeon zeigte mir (…) Neller (ein Professor der Universität Trier, Kanoniker und damaliger Bibliothekar des Simeonstifts). Sie besteht aus uralten Juristen und Kanonisten, so alle an Ketten auf langen Pulpeten liegen“. Aus anderen Berichten ist bekannt, dass die Bücher auf zwölf Pulten zur Verfügung gestellt wurden. An jedem wurden zirka zehn Bände befestigt.
Die Bücher aus der ältesten öffentlichen Universitätsbibliothek in Trier, manche noch mit Original-Ketten, befinden sich heute im Bestand der Wissenschaftlichen Bibliothek. Die Manuskripte und die Inkunabeln sind zwar nicht mehr an Regale oder Pulte angekettet, aber unter Verschluss aufbewahrt. Sie gehören zu den kostbarsten Exemplaren, die die lange Geschichte des öffentlichen Lesens in Trier dokumentieren. Diese Tradition wird gepflegt und um neue Formate ergänzt, wie etwa Lesen beim Festival Stadtlesen, das nach der langen Pandemiepause vom 7. bis 10. Juli wieder stattfinden kann.
Im Vergleich zum Lesesaal mit Kettenbibliothek im Simeonstift sind die Sitzmöglichkeiten am Domfreihof viel gemütlicher: Man kann zwischen Sitzsäcken, Lesestühlen und Hängematten wählen und die Bücher sind nicht angekettet. Es lohnt sich, dort in die Bücherwelten einzutauchen und mal darüber nachzudenken, wie Lesen in Trier in 500 Jahren aussehen könnte.
Weitere Informationen www.stadtlesen.com/lesestaedte/trier/.