IHK fordert «Biotech Valley» in Rheinland-Pfalz

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Laborantinnen bei Biontech in Marburg Foto: Boris Roessler/dpa

MAINZ/KOBLENZ. Der Erfolg von Biontech ist «eine Jahrhundertchance» für ganz Rheinland-Pfalz, findet die Industrie- und Handelskammer. Doch die dürfe nun nicht verspielt werden. Sorgen bereiten der Wirtschaft zudem der Fachkräftemangel, die Rohstoffpreise und der Export.

Die Industrie- und Handelskammern fordern von der Landesregierung mehr Einsatz zur Förderung des Biotechnologiestandortes Rheinland-Pfalz. «Im kleinen Rheinland-Pfalz muss man etwas größer denken. Die durch den Biontech-Erfolg entstandene Jahrhundert-Chance müssen wir nutzen», sagte der Hauptgeschäftsführer der IHK Rheinhessen, Günter Jertz, der Deutschen Presse-Agentur unter Hinweis auf den Mainzer Impfstoffhersteller Biontech. «Gleichzeitig müssen wir aufpassen, da erfolgreiche Unternehmen auch von Ländern in Südostasien oder den USA umworben werden. Labore sind schnell eingepackt.»

Es sei ein richtiger Schritt gewesen, dass die Ampelregierung die Förderung des Biotechnologiestandortes Rheinland-Pfalz zu einer Schwerpunktaufgabe gemacht habe, sagte der Sprecher der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, Arne Rössel. «Doch da muss mehr kommen.»

So reiche es beispielsweise nicht aus, den Mainzer Universitätspräsidenten Georg Krausch zum neuen Landeskoordinator für Biotechnologie zu machen. «Er braucht zur Erfüllung dieser Aufgabe einen richtigen Apparat mit einer ausreichenden Zahl von Mitarbeitern», sagte Rössel, der auch Hauptgeschäftsführer der IHK Koblenz ist. «Vielleicht wäre ja die neue Innovationsagentur, die das Wirtschaftsministerium auf den Weg gebracht hat, eine gute Stelle, um die Förderung des Biotechnologiestandortes zu koordinieren.»

Jertz sprach sich für eine enge Verzahnung von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft aus, da das Bundesland in einem internationalen Standortwettbewerb stehe. «Dabei müssen in Rheinland-Pfalz auch die Aufgaben vor der eigenen Haustür erledigt werden», forderte Rössel. «Die Kommunen müssen die entsprechenden Flächen ausweisen, damit sich Unternehmen ansiedeln können und daraus vielleicht eines Tages erneut ein Erfolg wie Biontech entsteht. Uns fehlen die großen Flächen. Die sind aufgebraucht.» Auch ein positives Umfeld beispielsweise mit guten Schulen und einem ausreichenden Wohnungsangebot für die Mitarbeiter von Firmen sei wichtig.

Rössel warb für die Idee eines «Biotech Valley» in Rheinland-Pfalz – in Anlehnung an das Silicon Valley in Kalifornien als einem der weltweit wichtigsten Standorte der IT-Industrie. Mainz bilde zwar den Kern des Biotechnologiesektors in Rheinland-Pfalz. «Wir haben aber eine ganze Perlenkette von Biotech-Standorten.»

Das angedachte Biotech Valley kann sich nach seiner Ansicht entlang der Achse Mainz, Ingelheim, Bingen, Bad Kreuznach, Idar-Oberstein und Birkenfeld ausdehnen. Dort gebe es viele mittelständische Unternehmen, die eng mit dem Biotechnologiesektor zusammenarbeiteten, sowie zahlreiche Forschungsstätten, Klinikstandorte und nicht zuletzt auch einen weltweit tätigen Pharmakonzern wie Boehringer Ingelheim.

Mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage sind nach Einschätzung der IHK viele Unternehmen in Rheinland-Pfalz trotz der Lieferketten-Probleme und des Fachkräftemangels, der sich in der Corona-Krise noch vergrößert habe, gut durch das Jahr 2021 gekommen. Das treffe vor allem auf große Teile der Industrie und den Dienstleistungssektor zu.

«Die Wirtschaft hat die Schwierigkeiten besser weggesteckt, als man das erwarten konnte, aber nicht so gut, wie einige Experten es prognostiziert hatten», bilanzierte Rössel. «Problematisch wird es im nächsten Jahr, wenn der Schwung nachlässt und die Preiserhöhungen in voller Stärke bei den Verbrauchern ankommen.»

Sorgen macht der IHK auch die außenwirtschaftliche Entwicklung. «Das für die rheinland-pfälzische Wirtschaft mit ihrer Exportquote von 55 Prozent immens wichtige Auslandsgeschäft ist coronabedingt mit großen Fragezeichen versehen», erklärte Jertz. «Auch der Anstieg der Rohstoffpreise wird ein noch größeres Thema werden.»

Der Fachkräftemangel als eines der drängendsten Probleme der rheinland-pfälzischen Wirtschaft wird sich nach Einschätzung der beiden Experten im nächsten Jahr weiter verschärfen. Doch es fehlten nicht nur qualifizierte Mitarbeiter, der Mangel fange schon bei ungelernten Arbeitskräften an. «Klar ist, dass sich die Unternehmen immer mehr anstrengen müssen, gute Mitarbeiter zu halten», sagte Rössel. Beim Blick auf die Ausbildungsfähigkeit junger Menschen zeige sich, dass die Probleme, die es schon vor der Corona-Pandemie gegeben habe, durch den langen Unterricht zu Hause noch größer geworden seien.

Erfreulich ist aus IHK-Sicht, dass der Einbruch bei der Zahl der Ausbildungsplätze aus dem ersten Corona-Jahr 2020 inzwischen fast wieder wettgemacht sei. «Es gibt nach wie vor freie Plätze», sagte Rössel. «Die jungen Leute haben Chancen, doch sie sehen sie oft nicht.» Er verwies auf das Weiterbildungsprojekt «Aufsteiger» der IHK-Koblenz, das jungen Leuten die Chance biete, mit einer Ausbildung und anschließend mit einer Fortbildung auf Bachelor- und Masterniveau durchzustarten.

Viel Hoffnung setzt die IHK laut Jertz auch auf das Projekt «Working Family», das junge Leute für einen Beruf in der Hotellerie und Gastronomie gewinnen will – einer Branche, die unter der Pandemie besonders zu leiden hat. Bei all diesen Bemühungen dürfe nicht vergessen werden, dass die rheinland-pfälzische Wirtschaft auch immer stärker auf gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein werde. Die Arbeit der vier sogenannten Welcome Center, die in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium in Mainz, Ludwigshafen, Koblenz und Trier betrieben werden, seien ein gutes Instrument zur Rekrutierung ausländischer Fachkräfte, «auf das wir in Zukunft noch stärker setzen werden». (Michael Bauer, dpa)

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