TRIER. Mit „My Fair Lady“ zeigt das Theater Trier eines der beliebtesten und meistgespielten Musicals in einer Inszenierung des ehemaligen Intendanten Manfred Langner. Ein stimmungsvolles Bühnenbild, stilechte Kostüme, ein gelungenes Zusammenwirken aller drei Ensembles und eine überragende Eliza Doolittle rissen das Premierenpublikum mit.
Von Alexander Scheidweiler
Nachdem im vergangenen Monat am Theater Trier mit „La Traviata“ ein absoluter Publikumsliebling des Opernrepertoires eine von den Zuschauerinnen und Zuschauern begeistert aufgenommene Premiere erlebte, präsentiert das Haus mit „My Fair Lady“ nun eines der meistgespielten Muscials, das sich ebenfalls ungebrochener Beliebtheit beim Publikum erfreut. Inszeniert hat die rührende Geschichte des einfachen Londoner Blumenmädchens Eliza Doolittle, dem der selbstverliebte Phonetik-Professor Henry Higgins den unterschichtigen Akzent abtrainiert, um das aus ihr zu machen, was er für einen richtigen Menschen hält, der ehemalige Intendant des Theaters Trier, Manfred Langner. Langners letzter Regie-Ausflug in die Sphäre des unterhaltenden Musiktheaters liegt nun schon einige Jahre zurück, namentlich im Jahr 2021, als er eine fulminante Neuinszenierung der „Lustigen Witwe“ von Franz Lehár am Theater Trier verantwortete. Mit seiner Version von „My Fair Lady“ übertrifft er die damalige Leistung vielleicht noch, jedenfalls machte der immer wieder donnernd aufbrandende Szenenapplaus sowie das rhythmische Klatschen der Zuschauer am Ende zu den eingängigen Takten von „Bringt mich pünktlich zum Altar“ deutlich, dass das Publikum im vollbesetzten Großen Haus des Theaters Trier am gestrigen Premierenabend hingerissen war.
Broadway-Musical und Filmklassiker
Dass sowohl „Die Lustige Witwe“ damals wie auch „My Fair Lady“ heute in der Römerstadt an der Mosel so begeisterte Aufnahme gefunden haben, bezeugt vielleicht nochmals den Charme und die bleibende Ausstrahlungskraft der Wiener Operettentradition, denn auch wenn das Musical 1956 in New York uraufgeführt wurde, so war Komponist Fred Loewe doch der Sohn eines Wiener Operettensängers, liegt doch in den Loewe’schen Broadway-Nummern ein wenig franzisko-josephinische Champagnerlaune. Aber das nur so nebenbei als fun fact.
Die Handlung darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden: Eliza lässt sich von Prof. Higgins ihre unterschichtige Cockney-Aussprache — in der deutschen Fassung berliniert sie i.d.R., so auch in Trier — abtrainieren, um sozialen Aufstieg zu erreichen. Higgins hingegen will v.a. seine Wette mit Oberst Pickering gewinnen, bei der es darum geht, dass Higgins behauptet, dem Blumenmädchen binnen sechs Monaten so gutes Englisch beibringen zu können, dass sie auf dem Londoner Diplomatenball als echte Herzogin durchgeht. So wird Eliza gleichsam zum Werk des Professors, das er nach seinen Vorstellungen gestaltet und in das er sich in der Tradition des Pygmalion-Mythos verliebt, wenngleich im Musical der Schluss interpretationsoffen bleibt. Hierin unterscheidet sich das Textbuch von Alan J. Lerner zum Loewe-Musical von George Bernhard Shaws Schauspiel „Pygmalion“, das die Vorlage bildete. Dazu gibt’s eine lustige Nebenhandlung um Elizas trinkfreudig-filouhaften Vater Alfred P. Doolittle.
Sicherlich hat zur bleibenden Beliebtheit und starken Präsenz von „My Fair Lady“ auf den Theaterbühnen auch der achtfach oscarprämierte Filmklassiker mit Audrey Hepburn und Rex Harrison unter der Regie von George Cukor aus dem Jahr 1964 beigetragen, der die Atmosphäre Londons in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg so bilderbuchmäßig und mit hoher Suggestivkraft eingefangen hat. An der durch dieses Meisterwerk der Filmkunst etablierten My Fair Lady-„Ikonographie“ orientiert sich auch die Langner’sche Inszenierung grosso modo, und das nicht zu ihrem Nachteil.
Gediegenes Bühnenbild, stilechte Kostüme
Das Bühnenbild von Tom Grasshoff zeigt bei den Straßenszenen graue Stadthäuser links und rechts mit einem London-Panorama im Hintergrund, das von Big Ben und Westminster Palace dominiert wird. Für die Szenen, die in Prof. Higgins Haus in der Wimpole Street 27A spielen, entschwebt das London-Panorama, und ein großbürgerliches Interieur fährt aus dem Bühnenhinter- in den -vordergrund — ein Ledersofa mit Beistelltischchen und Hausbar links, der Schreibtisch des Professors mit einem grammophonartigen Aufnahme- und Abspielgerät links, hinter dem Schreibtisch eine Treppe, die zu den Schlafzimmern führen soll. Große Bogenfenster im Hintergrund ermöglichen stimmungsvolle Lichteffekte (Lichtdesign von Susanne Reinhardt). Alles sehr gediegen, so dass man nicht verwundert wäre, schneite ganz plötzlich Georg V. zum afternoon tea mit crumpets herein. Im Programmheft dankt das Theater Trier übrigens „für die Überlassung von Bühnenbildelementen aus ‚Die Kölsche Fledermaus‘, dem Divertissementchen des Kölner Männer-Gesangs-Vereins in der Oper Köln.“
Auch die Kostüme (Judith Peter) sind stilecht: Die Herren der Obersicht im Dreiteiler mit Plastron, die Damen in langen Röcken bzw. Kleidern, anlassbezogen mit federgeschmückten Wagenrad-Hüten, die Vertreter des einfachen Volkes, etwa die Straßenverkäufer und -verkäuferinnen, sind entsprechend einfacher gewandet, aber immer zeittypisch.
Mitwirkende hervorragend eingespielt
Eingebunden in die Inszenierung sind alle drei Ensembles des Hauses, so dass insbesondere die Straßenszenen immer wieder durch teils spektakuläre Tanzeinlagen des Ballettensembles bereichert werden (Choreographie Adriana Mortelliti), bei denen auch der Opernchor des Theaters Trier sein Können unter Beweis stellt (Chordirektion Martin Folz). Die eigentliche Ballszene des zweiten Aktes wird durch eine Tanzeinlage nur angedeutet, eine Anpassung, die verschmerzbar ist, beträgt die Spieldauer doch auch in der dargebotenen Fassung inklusive Pause fast drei Stunden.
Im Zentrum des Bühnengeschehens agiert das Trio Lara Rieken als Eliza Doolittle, Giovanni Rupp in der Rolle des Prof. Henry Higgins und Harald Pilar von Pilchau als Oberst Hugh Pickering. Die drei präsentieren sich hervorragend aufeinander eingespielt, die Gags laufen wie am Schnürchen, zur hörbaren Freude des Premierenpublikums. Der „Anjeber“ (Eliza über Higgins) und die „Rinnsteinpflanze“ (Higgins über Eliza) kabbeln sich ganz allerliebst, während Pilar von Plichaus Pickering als vollendeter Gentleman gleichsam als Beobachter fungiert, ironische Kommentare einstreut und versucht, mäßigend einzuwirken, wenn die Sache aus dem Ruder zu laufen droht.
Rupp parodiert dabei gekonnt die versnobte Arroganz des oberschichtigen Professors gegenüber dem Mädchen aus der Arbeiterschaft, ohne doch Higgins als Ekel darzustellen. Immer scheint durch, dass Higgins selbst in gewissem Sinne Opfer der Vorurteile seines Standes ist, die in dem Maße zu bröckeln beginnen, wie Eliza unter seinen Fittichen ihren Bildungsgang absolviert und sich schließlich zu emanzipieren beginnt. Am Ende hat Rupps Higgins große Mühe, seine Konsterniertheit und emotionale Angefasstheit zu verbergen, als Eliza droht, Freddy Eynsford-Hill (Derek Rue) zu ehelichen.
À propos Freddy Eynsford-Hill: Die Nebenrolle des verliebten Jünglings aus besserem Hause, der Eliza anschmachtet, gelingt Derek Rue ganz vortrefflich — der ein oder andere fühlt sich vielleicht an seinen starken Auftritt als jugendlicher Liebhaber Fenton in Verdis „Falstaff“ vor ziemlich genau zwei Jahren erinnert. Bereits in der Ascot-Szene flirtet er Eliza mit jungenhaftem Charme an, um dann später herrlich gefühlvoll das berühmte Lied von der „Straße, wo Du lebst“ zu intonieren. Auf derselben übernachtet er schließlich auf einer Liege, um der Angebeteten nahe zu sein, und rasiert sich in einem Spiegel, den er an der Straßenlaterne aufgehängt hat. Herzallerliebst!
Vital, derb-komisch und mit kraftvollem Bassregister kommt Karsten Schröters Alfred P. Doolittle daher. Als Moralist ohne jede Moral schwatzt er dem Professor zehn Pfund dafür ab, das Higgins seine Tochter in seinem Haus behalten kann, als trinkfreudiger Zecher zieht er mit seinen beiden Saufkumpanen Jamie (Ryosuke Haskell Sato) und Harry (Yuriy Hadzetskyy) durch die Londoner Pubs, lässt den lieben Gott einen guten Mann sein und intoniert schwungvoll die beiden Gesangnummern „Mit nem kleenen Stückchen Glück“ und „Bringt mich pünktlich zum Altar“.
Als sehr ladylike Mrs. Higgins nimmt Chris Nonnast im zweiten Akt Elizas Partei gegen ihren übergriffigen Sohn. Als betulich-gouvernantenhafte Haushälterin Mrs. Pearce vermag Silja Schindler einige komische Akzente zu setzen.
Eine überstrahlt alles
Eine aber überstrahlt an diesem Abend alles: Das Premierenpublikum liegt Lara Rieken zu Füßen, und das mit Recht. Hatte sie bereits im September als Flora in „The Turn of the Screw“ einen herausragenden Einstand in Trier gefeiert, so beweist sie ihre schauspielerischen und sängerischen Qualitäten hier in beeindruckender Weise an einer völlig anders gearteten Rolle, in einem Werk, das sich von Brittens Kammeroper nicht fundamentaler unterscheiden könnte. Der stufenweise Übergang von der rotzigen Gossengöre mit beleidigten „Eeeeey“-Ausrufen und kratzbürstig-berlinerischem „Det stimmt jar nich“ über die gelehrige Schülerin mit Aufstiegsambitionen und dem Traum vom eigenen Blumenladen bis zur damenhaften, gesellschaftlich satisfaktionsfähigen Frau Stil und Haltung gelingt ihr sicher und überzeugend. Sensibel und flink zugleich meistert ihr präziser Sopran die varietéartigen Loewe’schen Lieder mit der gleichen Souveränität wie seinerzeit den deutlich sperrigeren Britten. Großartig auch, wie sich der ganze Habitus der Figur im Laufe des Abends wandelt: Steht Eliza beim ersten Gespräch in Higgins Villa noch da wie der redensartliche Schluck Wasser in der Kurve, so zeigt sie später, etwa bei der Szene in Mrs. Higgins’ Haus, eine geradezu hoheitsvolle Haltung. Der überreiche Applaus, mit dem das Trierer Publikum Rieken an diesem Abend bedenkt, ist mehr als verdient.
Im Orchestergraben ist das Philharmonische Orchester der Stadt Trier vom ersten Takt an voll da: Unter der Leitung des Ersten Kapellmeisters Wouter Padberg tragen die Musikerinnen und Musiker die Ohrwürmer des Musical-Klassikers beschwingt und mit viel Panache vor. Ein Klangerlebnis, das viel Freude macht, wenngleich es stellenweise ein paar Dezibel weniger auch getan hätten.
Da die ursprünglich angesetzten Vorstellungen bereits so gut wie ausverkauft sind, bietet das Theater Trier im Mai vier Zusatzvorstellungen an (5.5., 19.30 Uhr; 19.5., 19.30 Uhr, 29.5., 19.30 Uhr und 31.5., 16.00 Uhr). In jedem Fall macht diese Inszenierung von „My Fair Lady“ schon Vorfreude auf die nächste Musical-Produktion des Theaters Trier, das die kommende Spielzeit am 20. August nächsten Jahres mit einer Open Air-Inszenierung von „Anatevka“ auf dem Augustinerhof eröffnen wird. Auch dann darf man sich wieder auf das Zusammenwirken aller drei Ensembles freuen.



















