Reportage: Ein Missionar zwischen Paradies und Höhe

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Konrad Lisowski in El Alto

EL ALTO/TRIER. „Ich versuche, das was geht, auf Vordermann zu bringen.“ Das sagt Konrad Lisowski zwar bei einem Rundgang durch sein renovierungsbedürftiges Pfarrhaus im bolivianischen El Alto. Doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er das auch mit Blick auf seine Pfarrei sagt. Seit Herbst 2013 arbeitet der 37-jährige aus Koblenz im lateinamerikanischen Partnerland des Bistums.

Seine Pfarrei „Nuestra Señora de las nieves“ („Unsere liebe Frau vom Schnee“) umfasst zwischen 80.000 und 100.000 Katholiken – doch der Gottesdienstbesuch liegt bei nur rund einem Prozent. Und dennoch will Lisowski nicht klagen: „Die Gemeinde ist lebendig.“ Das ist auch sichtbar: An diesem Samstagnachmittag im März werkelt eine Gruppe Frauen und Männer am Grünstreifen vor dem Pfarrhaus, rupft Unkraut und erneuert den Zaun. Es sind Eltern von Kommunionkindern, die sich normalerweise einmal monatlich zur Katechese treffen. „Es ist ein echtes Problem, die Kirche und die Pfarrsäle sauber zu halten“, seufzt Lisowski. Den Frauen und Männern gibt er einen kleinen Geldbetrag für ihre Arbeit. Die Pfarrei muss sich selbst finanzieren, durch Spenden oder Einnahmen für pastorale Dienste. Dazu gibt es eine Art „Preisliste“ der Diözese. Eine Taufe kostet 30 Bolivianos – umgerechnet etwas mehr als vier Euro. „Wir müssen gut wirtschaften“, erklärt Lisowski. Als er sein Pfarrhaus das erste Mal gesehen habe, sei er „rückwärts wieder raus“, erinnert sich der junge Priester und muss lachen. Als habe er zunächst mal seine Wohnung renoviert. Als nächstes muss das undichte Dach der Kirche repariert werden. Am Sonntag gibt es deswegen einen Spendenaufruf in den Gottesdiensten.

Aber auch die Taufe von drei Kindern kann einen kleinen Beitrag leisten. Die Familien haben sich schon in der Kirche versammelt. Lisowski begrüßt sie herzlich, dann richtet er alles für die Zeremonie her, trägt die Osterkerze ans Taufbecken. Dann zieht er sein Messgewand an und es geht los. Lisowski redet eher mit den Menschen als dass er predigt. Am Taufbecken wird gelacht, die Stimmung ist fröhlich. Währenddessen hört man von draußen ein Blaskapelle spielen. Es ist Markt, wie jeden Samstag, erklärt Lisowski nach dem Gottesdienst, und dieser Markt ist nicht nur einer der größten Märkte in ganz Bolivien, sondern hat auch Volksfestcharakter.

Währenddessen sind im Pfarrhaus in mehreren Räumen Jugendgruppen zugange – Erstkommunion- und Firmkatechese ist angesagt. Durchgeführt werden die Katechesen von engagierten Jugendlichen. „20 junge Leute interessieren sich dafür, Katechist zu werden“, erzählt Lisowski. So heißen die Laienhelfer in den Pfarreien. Die Erstkommunionkinder begrüßen Lisowski fröhlich. Er fragt nach, worum es gerade geht und lässt sich auf einen kurzen Wortwechsel mit den Kindern zum Thema Beichte ein. Der Kontakt zu den jungen Leuten ist Lisowski besonders wichtig, er steht über WhatsApp oder Facebook mit ihnen im Austausch. Aber Lisowski kümmert sich nicht nur um die pastoralen Dinge, sondern macht beispielsweise auch Sport mit ihnen – Kickboxen oder Taekwondo.

Als nächstes will er eine Schulung wie für die deutsche Jugendleiterkarte (Juleica) anbieten. „Es geht um Persönlichkeitsbildung“, sagt er. In El Alto herrsche weniger Armut als vielmehr Elend – „darüber will ich in einem solchen Kurs reden“. El Alto sei ein Umschlageplatz für Drogen, weiß Lisowski. Ein großes Problem sei Alkoholismus. „Bei der Beichte höre ich oft von sexuellem Missbrauch oder Gewalterfahrungen. Ich arbeite viel mit dem sozialpädagogischen Dienst zusammen.“ Und wie geht er selbst damit um? „Ich hatte Mitleid, ich war wütend – aber das bringt alles nichts. Man muss da professionell rangehen. Ich kann nur begleiten und Türen öffnen.“ Und „seine“ Jugendlichen einbinden: etwa bei der Vorbereitung des Kreuzwegs an Karfreitag oder des Taizé-Gebets auf diözesaner Ebene, dessen Gastgeber die Pfarrei ist. Mittlerweile sieht er die Situation ganz pragmatisch: „Es gibt hier viel Arbeit, sowohl katechetisch wie sozialpädagogisch oder handwerklich.“

Die Pfarrei ist als eine der ersten in El Alto gegründet worden, in der Stadt, die aus Boliviens Regierungssitz La Paz „hinausgewachsen“ und seit 1985 eigenständig ist. „Hier leben viele Minibusfahrer, aber auch Leute aus der Mittelklasse, Architekten oder Juristen“, beschreibt Lisowski seine Gemeinde. Die Bevölkerung gehöre mehrheitlich der Gruppe der Aymara an – ein indigenes Volk, „verschlossene Menschen“, charakterisiert Lisowski sie. „Sie haben die Inkas überstanden und glauben an Seelenwanderung.“ So kämen durchaus synkretistische Elemente (Vermischung verschiedener Religionen) in den katholischen Glauben, etwa wenn Messen gelesen werden, damit die Seelen zur Ruhe kommen.

Konrad Lisowski wollte bewusst in der Stadt arbeiten oder zumindest in Stadtnähe. Dieser Wunsch hat sich mit dem Standort El Alto erfüllt: Mit offiziell rund 850.000 Einwohnern (laut einer Volkszählung 2012) ist es die zweitgrößte Stadt Boliviens. In El Alto selbst ist die Pfarrei recht kompakt – doch um zu einer seiner „Außenstellen“ im Zongo-Tal zu kommen, ist man gut drei Stunden und durch drei Klimazonen unterwegs. Einmal im Monat fährt er dorthin, feiert Gottesdienst und spricht mit den Menschen. Normalerweise übernachtet er dann auch dort. „Im Zelt – ein Erdrutsch hat das Pfarrhaus weggerissen“, sagt er ganz trocken.

Sowas kann eben passieren in einem Land, das immer noch zu den drei ärmsten Ländern Lateinamerikas zählt. Doch bei allen Schwierigkeiten, die Lisowski begegnen, fühlt er sich wohl in Bolivien. Kurz vor dem Beginn seines Einsatzes hatte er gesagt, er hoffe auf eine „junge und lebendige Kirche“. Und dass er in gewisser Weise als Missionar nach Bolivien gehe, im Sinne von „Hilfe, Austausch, ein gegenseitiges Kennenlernen und Anerkennen“. Das hat sich erfüllt. Auf dem Weg zurück aus dem Zongotal, aus der üppigen subtropischen Vegetation 900 Metern über dem Meeresspiegel über den Pass des Huayna Potosí auf 4.800 Metern Höhe und wieder „runter“ auf knapp 4.000 Meter nach El Alto ins karge Hochland bestätigt Konrad Lisowski: „Ich bin Missionar zwischen Paradies und Höhe.“

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