Kopfschmerztabletten für Fische – Medikamente werden zum Umweltproblem

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Auch die Barbe hat mit Medikamenten zu kämpfen.

TRIER/KOBLENZ/EIFEL. Wer kennt das nicht? Ein leichter Kopfschmerz, ein Ziehen im Rücken oder der plötzlich auftretende Zahnschmerz. Heutzutage kein Problem, denn die Apotheke hält entsprechende Mittel parat, um sich von solchen Schmerzen nicht einschränken zu lassen. 1,335 Milliarden Packungen Medikamente mit mehr als 3000 unterschiedlichen Wirkstoffen sind im Jahr 2012 in deutschen Apotheken verkauft worden. Was auf der einen Seite den Menschen hilft, verursacht andererseits aber auch Probleme.

Was wir Menschen da, manchmal aus der Situation heraus, häufig aber auch wegen einer chronischen Erkrankung ständig einwerfen, wird oftmals nicht vollständig von unseren Körpern aufgenommen. Einen Teil der Wirkstoffe scheiden wir unverbraucht wieder aus. Und dann gelangen diese Substanzen über die Abwässer in die Umwelt.

Über die Toilette in den Wasserkreislauf

Ein anderer Weg ist die Entsorgung alter Medikamente. Abgelaufene Arzneimittel gehören, auch wenn man es kaum glauben mag, in den Restmüll. Es sei denn, auf dem Beipackzettel ist etwas anderes Vermerkt. Möglich ist das dadurch, dass der Hausmüll in der Regel verbrannt und dann erst deponiert wird. Offensichtlich aber entsorgt so mancher seine Tabletten über die Toilette, wodurch viele Substanzen einen freien Zugang zum Wasserkreislauf bekommen.


Ein großes Problem dabei ist die Tatsache, dass herkömmliche Kläranlagen nicht in der Lage sind, diese Wirkstoffe aus den Abwässern heraus zu filtern. Die Substanzen rutschen einfach durch und gelangen so ins Oberflächenwasser, ins Grundwasser und sogar ins Trinkwasser. Die Berliner Wasserbetriebe haben einmal gezielt nach Arzneimittelsubstanzen im Trinkwasser der Hauptstadt gesucht und dabei einen wahren Medikamentencocktail gefunden, wie die Tageszeitung Die Welt schon 2013 berichtete.

Diclofenac, Betablocker und Antibiotika

Zu den am häufigsten nachgewiesenen und schlecht entfernbaren Stoffen gehörten nach diesem Bericht Schmerzmittel wie Diclofenac, die Antiepileptika Carbamazepin und Gabapentin, Betablocker sowie verschiedene Antibiotika. Zum Teil könne man allein anhand des Abwassers auf die Verschreibungspraxis der Ärzte rückschließen, war dort zu lesen.

Diese Problematik, wie sie in einer Millionenmetropole wie Berlin zu beobachten ist, mag in einer ländlich geprägten Region nicht so dramatisch sein. Aber offensichtlich macht sie sich auch bei uns bemerkbar. Seit Jahren beklagen Angler und Fischer den Arten- und Bestandsrückstand an Fischen in den Gewässern von Eifel, Hunsrück und Westerwald. Und das, obwohl sich der ökologische Zustand der Gewässer zunehmend verbessert. Lange standen die Fachleute vor einem Rätsel.

Diclofenac hemmt den Fluchtinstinkt

Eine im Auftrag der SGD Nord durchgeführte Studie der Uni Koblenz-Landau an Nister, Nette und Kyll brachte jetzt die Lösung. Der Arzneimittelwirkstoff Diclofenac. Er wird in zahlreichen populären Schmerzmitteln eingesetzt und ist heute quasi überall in unseren Gewässern nachzuweisen. Er unterdrückt das Schmerzempfinden der Fische. Aber nicht nur das. Auch der Fluchtinstinkt der Fische wird gehemmt. Fische werden so eine leichte Beute, der Fressfeinde, etwa der Raubfische und des Kormorans.

„Dass Diclofenac in Fischen zu Nieren- und Leberschäden führen kann, war uns bekannt. Selbst ein möglicher Einfluss auf das Schmerzempfinden konnte vermutet werden. Aber dieses Ergebnis hat uns überrascht“ sagt SGD-Fischereiexperte Lothar Jörgensen. Herbert Schneider, Kreisfischereiberater aus Bitburg ergänzt: „Wir haben uns schon lange mit einer schlüssigen Erklärung beschäftigt, warum ausgerechnet Äsche, Döbel, Barbe und Nase aus unseren Gewässer verschwinden. Jetzt haben wir eine Antwort. Diclofenac wird quasi zum Verbündeten der Kormorane.“

Aktivkohlefilter sollen es richten

Nun soll überlegt werden, wie das Problem gelöst werden kann. Die SGD Nord möchte gemeinsam mit den betroffenen Verbandsgemeinden in einem Pilotprojekt an der Kyll sämtliche Kläranlagen durch eine Aktivkohlefilteranlage nachrüsten lassen, denn diese Filteranlagen sind derzeit die Einzigen, die die Wirkstoffe tatsächlich zurückhalten können.

Die SGD Nord schätzt das Investitionsvolumen auf mindestens 50 Mio. €. Eine Förderung durch das rheinland-pfälzische Umweltministerium ist geplant. „Es ist eine Riesenaufgabe. Wir wissen, dass wir nicht nur Freunde finden werden, da wir gerade noch dabei sind, die Erstausstattung mit Anlagen zur Abwasserbehandlung abzuschließen. Aber wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir alle Anlagen bis hin zu den Kleinkläranlagen der Außenbereichsgrundstücke nachrüsten lassen“, stellt Abteilungsleiter Joachim Gerke fest.

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