Menschen wie «Beute erlegt»: Lebenslang für Polizistenmorde – Gedanken bei Familien

Zehn Monate nach dem Gewalttod von zwei Polizisten bei einer Verkehrskontrolle fällt in Rheinland-Pfalz das Urteil. Für den Hauptangeklagten wählt der Richter drastische Worte.

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Ein Gedenkstein und Blumen stehen in der Nähe des Tatorts an der K22 bei Kusel.Harald Tittel/dpa/Archivbild

KAISERSLAUTERN. Als das Urteil fällt, wirkt der Angeklagte wie versteinert. Keine Regung ist dem stämmigen Mann anzusehen. Lebenslange Haft wegen zweifachen Mordes und eine besondere Schwere der Schuld – so lautet die Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern, das es als erwiesen ansieht, dass der leidenschaftliche Jäger zwei Polizisten bei einer Fahrzeugkontrolle per Kopfschuss getötet hat.

«Er hat beide Beamte erlegt, wie er sonst seine Beute erlegt», sagt der Vorsitzende Richter Raphael Mall.

Mit dem Urteil kommt einen Moment lang Regung in den Zuschauerbereich. Wie Luft aus einem Ballon entweicht die Anspannung kurz aus den fast regungslosen Reihen. Ein Mann räuspert sich hinter der Corona-Schutzmaske, ein anderer atmet auf. Aus Erleichterung?

«Nein», sagt ein ehemaliger Kollege der beiden Opfer. Er war damals als einer der ersten am Tatort. «Wer das gesehen hat, wird nach dem Urteil vorerst nicht einfach so weiterleben können.» Die Bilder im Kopf, sie sind an diesem Tag für eine Erleichterung noch zu mächtig.

Mit dem Urteil geht ein fünfmonatiger Prozess über ein Verbrechen zu Ende, das bundesweit für Entsetzen gesorgt hat. Nahe Kusel in der Pfalz sind Ende Januar eine 24 Jahre alte Polizeianwärterin und ein 5 Jahre älterer Polizeikommissar kurz nach 4.00 Uhr morgens auf Streife. Es ist eine Nacht um den Gefrierpunkt, Schneeregen fällt.

Den Polizisten kommt ein geparkter Kastenwagen verdächtig vor, sie entdecken im Laderaum gewildertes Fleisch, mehr als 20 Hirsche und Rehe. Wenige Minuten später sind die beiden Beamten tot. Die Frau stirbt durch Schüsse aus einer Schrotflinte, der Mann wird von Schüssen aus einem Jagdgewehr getroffen. Den Abzug betätigte dem Landgericht zufolge beide Male der gleiche Mann: der Hauptangeklagte.

Richter Mall findet für die Tat drastische Worte. «Der Angeklagte ist bei beiden seiner Opfer vorgegangen wie zuvor auf seinen Jagdzügen.» Der Polizistin habe der 39-Jährige mit der Schrotflinte in den Kopf geschossen – «gemäß seinem Motto „Kopfschuss, wie immer“.» Das Gesicht der jungen Frau sei «völlig zerfetzt» worden.

Den Polizisten habe der Hauptangeklagte «regelrecht gejagt» und mit einem Jagdgewehr handlungsunfähig geschossen. «Dann trat er an seine Beute heran und gab dem Polizeibeamten einen letzten Fangschuss in den Kopf. Auch hier „Kopfschuss, wie immer“», sagte Mall. «Hier wurden aber nicht Wildtiere gejagt, sondern Menschen. Den letzten Schuss nennt man bei Menschen nicht Fangschuss, sondern Hinrichtung.»

An die Angehörigen gewandt, sagt der Richter in einem «persönlichen Schlusswort», er hoffe, dass das Urteil ihnen bei der Bewältigung der Trauer helfen könne. «Auch Sie haben lebenslänglich bekommen.»

Als «gerecht und nachvollziehbar» bezeichnet der Anwalt der Familie des getöteten Polizisten das Urteil. Es werde «beiden Familien sicherlich helfen, mit der Sache so weit wie möglich abzuschließen», sagt Kai-Daniel Weil. Die Wunden seien noch lange nicht verheilt. «Es wird der Beginn einer langen Trauerarbeit sein.»

Nun also lebenslange Haft – und eine «besondere Schwere der Schuld»: Was heißt das eigentlich? «Der Begriff bezeichnet eine wesentlich ins Gewicht fallende Schuldsteigerung», sagt Rechtsanwalt Martin Rubbert, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins der Deutschen Presse-Agentur. «Es muss etwas deutlich herausragen.»

Früher bedeutete «lebenslang» genau dies: Haft bis zum Tod. Das Bundesverfassungsgericht entschied aber, dass jeder Verurteilte eine Chance auf Entlassung haben sollte. «Heute kann der Rest einer lebenslangen Haftstrafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden», sagt Rubbert. Stellt aber das Gericht die «besondere Schwere der Schuld» fest, ist dies ausgeschlossen. Mall sagt, meist bedeute dies 20 bis 25 Jahre Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Plätze im Landgericht sind auch am letzten Prozesstag voll belegt gewesen. Darunter finden sich etliche Zuschauer, die in den vergangenen Monaten regelmäßig dabei waren. «Es war sehr interessant, so einen Prozess von Anfang bis Ende zu erleben», sagt Tanja Fay. Der Fall habe sie so mitgenommen, dass sie mit ihrem Mann bis auf drei Termine jedes Mal aus Saarbrücken gekommen sei. «Manche hier haben sich sogar Urlaubstage genommen, um dabei zu sein.»

Der Hauptangeklagte war in der verhängnisvollen Nacht mit einem Komplizen unterwegs. Dem Gericht zufolge hat sich 33-Jährige zwar der Mittäterschaft bei der Jagdwilderei schuldig gemacht. Von Strafe sei jedoch abzusehen, weil der Mann mit seiner Aussage zur Aufklärung beigetragen habe, heißt es. Die Männer waren kurz nach der Tat im angrenzenden Saarland festgenommen worden. Am Tatort wurden Personalausweis und Führerschein des Hauptangeklagten gefunden.

Schnell kam nach der Tat die Frage auf, wie sich eine solche Gewalt gegen eine Polizeistreife verhindern lasse. Aus Sicherheitskreisen hieß es, Beamte würden bei Fahrzeugkontrollen auch künftig nicht Helm und Maschinenpistole tragen – es genüge die «Standardausrüstung» aus Pistole, Handschellen, Pfefferspray und Schlagstock. Das Verbrechen bei Kusel werde aber sicher Lehrstoff bei der Polizeiausbildung. Die beiden Opfer trugen Schutzwesten und waren bewaffnet.

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