„Spuren über die Jahrzehnte“: Erinnerung an den Trierer Germanisten Christoph Gerhardt

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Herausgeber Dr. Ralf Plate spricht bei der Vorstellung der Gedenkschrift für Prof. Dr. Christoph Gerhardt. Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Nur gut drei Monate nach seinem 70. Geburtstag am 6.9.2010 starb der Trierer Germanist Prof. Dr. Christoph Gerhardt am 28. Dezember desselben Jahres bei einem Autounfall. Auf den Tag genau zu seinem 82. Geburtstag stellten Kollegen, Freunde und Schüler des Experten für die deutsche Literatur des späten Mittelalters am gestrigen Dienstagabend in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier einen umfangreichen wissenschaftlichen Sammelband als Gedenkschrift vor und erinnerten an den verstorbenen Gelehrten.

Von Alexander Scheidweiler

Gerhardt, der aus Halle an der Saale stammte und nach dem Abitur in Münster in Hamburg und Heidelberg studiert hatte, kam bei der Gründung der Universität Trier in Jahre 1970 zunächst als wissenschaftlicher Assistent in die Römerstadt und blieb der Universität bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2005 treu. Neben seinem umfangreichen wissenschaftlichen Werk trug er eine bedeutende private Forschungsbibliothek zur Literatur-, Sprach- und Kunstgeschichte des Mittelalters im Umfang von ca. 10.000 Bänden zusammen, die dank einer großzügigen Stiftung seiner Familie in den Bestand der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier übergegangen ist.

Die Leiterin der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier, Dr. Magdalena Palica, begrüßt die Gäste. Foto: Alexander Scheidweiler

Hierauf nahm die Leiterin der Wissenschaftlichen Bibliothek, Dr. Magdalena Palica, in ihrer Begrüßung Bezug: Gerhardts Forschungsbibliothek sei nicht nur in ihrem Haus ständig in Benutzung, Titel aus der Sammlung des Mediävisten würden auch häufig per Fernleihe aus dem ganzen Bundesgebiet angefragt.

Dr. Ralf Plate, einer der vier Herausgeber der im S. Hirzel Verlag erschienenen Gedenkschrift mit dem Titel „Auf den Schwingen des Pelikans. Studien und Texte zur deutschen Literatur des Mittelalters“ wies darauf hin, dass der Band auf eine Tagung zurückgeht, die 2010 zum 70. Geburtstag Gerhardts in der Wissenschaftlichen Bibliothek stattgefunden hatte.

In drei Vorträgen würdigten die Oxforder Germanistin Prof. Dr. Henrike Lähnemann, der Studiendirektor a.D. Dr. Hermann-Josef Müller, einer der ersten Schüler Gerhardts, und Plate den Wissenschaftler und Menschen Christoph Gerhardt. Die drei Vorträge ließen ihren enkomiatischen Charakter bereits im Titel erkennen.

Die Oxforder Germanistin Prof. Dr. Henrike Lähnemann bei ihrem Vortrag. Foto: Alexander Scheidweiler

In ihrem „Lob der Amicitia“ schilderte Lähnemann die jahrzehntelange Gelehrtenfreundschaft, die Gerhardt mit dem vor wenigen Monaten verstorbenen britischen Germanisten Prof. Dr. Nigel F. Palmer verband, der Lähnemanns Vorgänger in Oxford gewesen war. Im Jahre 2006 fand in Oxford zu Palmers 60. Geburtstags ein Festkolloquium zum Thema „Amicitia“ („Freundschaft“) statt, zu dem auch Gerhardt als Gast geladen war. Anhand von zahlreichen Bildern schilderte Lähnemann Momente der langen Freundschaftsgeschichte der beiden Wissenschaftler. Der Kontakt reichte bis in die Phase von Palmers Doktorarbeit zurück. Beide Professoren habe auch die stete „Fürsorge für die Nachwuchsgeneration“ des Faches verbunden. So hinterlasse die Gelehrtenfreundschaft Gerhardts und Palmers „Spuren über die Jahrzehnte hin“.

Dr. Hermann-Josef Müller sprach zum Thema “Lob der Fußnote und der Kunstpostkarte”. Foto: Alexander Scheidweiler

Müller widmete sich in seinem „Lob der Fußnote und der Kunstpostkarte“ betitelten Vortrag den ausführlichen, teilweise seitenlangen Anmerkungen, mit denen Gerhardt seine wissenschaftlichen Publikationen versah. „Die große Spannweite und wissenschaftliche Tiefe“ von Gerhardts wissenschaftlichem Werk erschließe sich nicht zuletzt durch diese ausführlichen Fußnoten. Sie enthielten „eine immense Menge an philologischen Erkenntnissen, an detaillierten Beobachtungen und aus Lesapparaten wissenschaftlicher Editionen mittelhochdeutscher Werke gewonnenen Beobachtungen zu den Schreibern der Handschriften und hieraus umfangreich belegten Schlussfolgerungen“, was Müller seinerseits umfangreich mit Beispielen belegte. Zudem ging Müller auf Gerhardts Gewohnheit ein, seinen Freunden zu unterschiedlichen Anlässen oder auch gänzlich anlasslos eng beschriebene Kunstpostkarten zukommen zu lassen, die diese nicht selten ihrerseits mit Kunstpostkarten beantworteten, woraus wiederum bisweilen wissenschaftliche Publikationen entstanden.

Dr. Ralf Plate (links) und Mitherausgeber Dr. Niels Bohnert (Mitte) übergeben ein Exemplar der Gedenkschrift an Prof. Dr. Ludwig Gerhardt (rechts). Foto: Alexander Scheidweiler

Plates „Lob der langen Gedenkschrift“ skizzierte die Entstehungsgeschichte der 654 Seiten umfassenden Gedenkschrift, zu der 21 Fachgelehrte, darunter auch Lähnemann und Müller, wissenschaftliche Aufsätze beigetragen haben. Dabei meint „lange Gedenkschrift“ nicht nur den Umfang des Bandes, sondern auch die Dauer der Entstehung, geht die Gedenkschrift doch auf die bewusste Tagung zu Gerhardts 70. Geburtstag vor 12 Jahren zurück. Wie bereits seit längerem geplant, wird derzeit außerdem eine Ausgabe der kleinen Schriften Christoph Gerhardts realisiert. Als zeitgemäße Lösung wird hierfür in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Trier der Weg der Zweitveröffentlichung auf dem Open Access Repositorium der Universität Trier beschritten. Plate erinnerte an den unlängst verstorbenen Mitherausgeber Michael Trauth und übergab ein Exemplar der Gedenkschrift an den Bruder Christoph Gerhardts, den Hamburger Afrikanisten Prof. Dr. Ludwig Gerhardt.

Der Cellist Moritz Reutlinger umrahmte die Veranstaltung musikalisch. Foto: Alexander Scheidweiler

Stilvoll umrahmt wurde die Veranstaltung von Moritz Reutlinger, der auf dem Cello Stücke von Bach und Philip Glass vortrug. In einer nahegelegenen Weinstube ließen die Gäste der Buchvorstellung den Abend bei dem Programmpunkt „Lob der grünen Flasche“ ausklingen.

Ralf Plate/Niels Bohnert/Christian Sonder/Michael Traut (Hg). „Auf den Schwingen des Pelikans. Studien und Texte zur deutschen Literatur des Mittelalters“. S. Hirzel Verlag, 2022. 654 Seiten mit 35 Farb- und 16 s/w-Abbildungen. €106,- (kostenfreier Download hier: https://biblioscout.net/book/99.140005/9783777633404)

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