Ukraine, NATO, Afghanistan: General Jens Arlt im Lokalo-Interview

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Brigadegeneral Jens Arlt im Trierer Dom. Foto: Alexander Scheidweiler

TRIER. Am vergangenen Freitag hielt Brigadegerneral Jens Arlt in Trier im Rahmen der Reihe DomWort einen Vortrag zum Thema „Macht und Sicherheit“ (Lokalo berichtete). Arlt, Kommandeur der Luftlandebrigade 1 in Saarlouis, wurde im vergangenen Jahr einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er die Evakuierungsmission der Bundeswehr aus Kabul und Taschkent befehligte. Am Rande der Veranstaltung im Dom hat Lokalo mit ihm gesprochen.

Lokalo: Herr General Arlt, vielen Dank für Ihren Vortrag im Rahmen der DomWort-Reihe und vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Gespräch mit Lokalo nehmen. Sie haben heute zu dem Thema „Macht und Sicherheit“ gesprochen. Es ist ja kein Geheimnis, dass viele Deutsche mit Macht, besonders mit militärischer Macht, fremdeln. Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund ganz persönlich fragen, wenn Sie erlauben, was Sie bewogen hat, den Soldatenberuf zu wählen.

Arlt: Es war für mich damals schlichtweg ganz normal, dass ich als Wehrpflichtiger meinen Dienst leiste. Aus diesem Rational heraus bin ich Soldat geworden. So wie andere aus meinem Freundeskreis sagten, sie gehen zum THW oder zur Feuerwehr, so habe ich mich damals für den Wehrdienst entschieden. 1988, als ich aus der Schule kam, war das für mich selbstverständlich.

Lokalo: Aber nicht jeder, der Wehrdienst geleistet hat, wird dann auch Berufssoldat.

Arlt: Ja, das ist richtig. Das hat sich bei mir einfach entwickelt, weil ich Spaß an der Tätigkeit hatte. Ich hatte dann einen Vorgesetzten, der mich dort auch geleitet und geführt, der mir gesagt hat: Du bringst die Voraussetzungen mit. Kannst Du Dir das vorstellen? Und so bin ich dann dabei geblieben.

Lokalo: Vielleicht daran anschließend: Wenn man Deutschland etwa mit unseren Nachbarn in Frankreich oder mit den USA vergleicht, so kommt dem Militär in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland nicht der gleiche Stellenwert zu. Werden aus Ihrer Sicht die Soldatinnen und Soldaten und ihr Dienst von der deutschen Gesellschaft ausreichend wertgeschätzt?

Arlt: Ich glaube, dass man es hier nicht vergleichen kann, aus der Historie schlichtweg. Das muss man immer berücksichtigen, wenn man verschiedene Nationen vergleichen will. In der Gesamtschau kann man sagen, dass gerade unsere Hilfe bei der Pandemiebekämpfung sowie der Einsatz der Bundeswehr im Ahrtal und auch die Evakuierungsoperation aus Afghanistan zweifellos dazu beigetragen haben, dass die Bundeswehr wieder mehr im Fokus stand und mehr wahrgenommen wurde. Damit einhergehend haben wir in den letzten zwei Jahren große Wertschätzung aus der Gesellschaft erfahren.

Man muss natürlich abwarten, wie sich das weiterhin entwickelt – ob es nur eine Momentaufnahme ist oder nachhaltig wirkt. Aber in der Gesamtschau ist die Würdigung da. Wir können keine höhere Wertschätzung erfahren, als es der Fall war, als wir, der Evakuierungsverband, im September letzten Jahres wahrgenommen worden sind – auch durch die Politik. Denken Sie an die Anwesenheit der Bundeskanzlerin, der Bundesverteidigungsministerin und des Generalinspekteurs bei der Würdigung des Einsatzes, an einem Standort, wo ein Gelöbnis der Rekruten stattfindet. Eine höhere Wertschätzung konnten wir uns nicht wünschen.

Lokalo: Sie waren phasenweise als Referent im Bundesverteidigungsministerium auch mit dem Thema nationale Krisenvorsorge befasst. Wenn man sich die doch z.T. unvorbereitet wirkende Reaktion staatlicher Stellen auf Herausforderungen wie die Corona-Pandemie oder die Flutkatastrophe im Ahrtal ansieht, bekommt man den Eindruck, dass wir in Deutschland auf derartige Krisensituationen nicht optimal vorbereitet sind. Ist der Eindruck richtig? Ist er falsch? Was könnte man eventuell besser machen?

Arlt: Ich glaube, zunächst einmal muss man sich klarmachen, dass jedes Ressort in einer sicherheitspolitischen Gesamtschau bestimmte Aufgabenpakete und Verantwortlichkeiten hat. Ich habe darauf ja auch in meinem Vortrag hingewiesen: Sicherheit ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, bei der viele Ressorts ineinandergreifen müssen. Wie ich ebenfalls ausgeführt habe, ist manchmal einfach die Dynamik der Entwicklung so hoch, dass man überrascht wird.

Bezogen auf die Flut im Ahrtal: War ich überrascht, dass wir ein Wetterphänomen hatten, das sich dann so massiv niederschlug, wie es sich dort niedergeschlagen hat. Und in so einem Zusammenhang ist die Frage, was man als Vorsorge anbieten bzw. wie man in der Situation schnell handeln kann, schwierig zu beantworten.

Ich möchte das an einem plastischen Beispiel festmachen. Sie könnten natürlich die Frage stellen: Warum brauche ich eine Berufsfeuerwehr, die hohe Kosten verursacht, obwohl sie nur selten eingesetzt wird? Aber wenn es wirklich brennt und drauf ankommt, dann brauchen Sie eben die Feuerwehr. Und deshalb muss die Diskussion um die Krisenvorsorge immer wieder neu geführt werden: Wieviel Vorsorge treffe ich? Was halte ich vor? Was kann ich vorhalten? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer entsprechenden Krisensituation? Je nachdem wird man öfter oder seltener von den Ereignissen überrascht. Das gilt für uns als Individuen, als Privatpersonen, aber auch als Organisation, als Institution.

Lokalo: Sie wurden im letzten Jahr einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als Sie die Evakuierungsmission der Bundeswehr aus Afghanistan befehligten, die unter dramatischen Umständen stattfand. Wenn Sie heute, mit einem halben Jahr Abstand, auf die Evakuierung zurückblicken, wie beurteilen Sie den Einsatz?

Arlt: In meiner Betrachtung war es ein erfolgreicher Einsatz. Unter den schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen wir entsandt wurden, in der kurzen Zeit, die wir nur hatten, hat sich in ganz kurzer Zeit ein tolles Team zusammengefunden. Und dieses Team ist über sich hinausgewachsen und hat eine Leistung erbracht, die einfach phänomenal war. Man sollte das auch nicht an nackten Zahlen festmachen, sondern sehen, dass unter den sehr schwierigen Rahmenbedingungen vor Ort das Maximale erreicht wurde, was möglich war – und das war großartig.

Lokalo: In diesen Tagen sind wir alle schockiert über den schrecklichen Krieg in der Ukraine und die furchtbaren Bilder, die uns von dort erreichen. Überraschend ist dabei aus der Sicht des Laien, aber auch aus der Sicht vieler Fachleute, dass der russische Vormarsch trotz großer zahlenmäßiger und technologischer Überlegenheit nur schleppend vorankommt, während die eigentlich unterlegenen Ukrainer erstaunliche Erfolge zu erzielen scheinen. Aus rein militärischer Sicht: Wie ist dies zu erklären und was lernen wir daraus?

Arlt: Das ist kein rein militärisches Phänomen. Hier kommen viele Faktoren zusammen: Die Ukrainer verteidigen ihr Land. Sie kämpfen für ihr Land. Sie kämpfen für ihre Familie, für ihre Freunde, ihre Bekannten. Dadurch haben sie eine andere Motivation und Widerstandsfähigkeit, eine andere Resilienz, die sie aufbringen. Und all das schweißt die Menschen zusammen. In einer solchen Situation passieren Dinge, die man vorher nicht kalkulieren kann – ob man sich findet, ob man über die Maßen den Widerstand leisten kann. Genau das Erleben wir gerade. Gesamtstaatliche und individuelle Resilienz spielen hierbei eine entscheidende Rolle.

Lokalo: Der Ukraine-Krieg verändert das sicherheitspolitische Umfeld nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte westliche Welt. Wie sollte die NATO sich in diesem Kontext künftig aufstellen?

Arlt: Die NATO hat sich bereits aufgestellt. Ich hatte es im Vortrag kurz erwähnt: Die Annexion der Krim 2014 führte zu sofortigen Maßnahmen. Es sind neue Strukturen entwickelt worden, es sind Kräfte vorgehalten worden, die schnell zur Wirkung kommen können. Die VJTF [„Very High Readiness Joint Task Force“, sog. „Speerspitze der NATO“, Anm. d. Red.] ist ein Element, eine unglaublich schnell verlegbare Truppe. Ferner wurden dauerhaft weitere Kräfte an der Ostflanke der NATO stationiert, im Baltikum, in Polen, aber auch in Rumänien und Bulgarien. Auch das sind Auswirkungen der Ereignisse von 2014.

Sicherlich wird man jetzt im Nachgang das eine oder andere nochmal analysieren: Müssen wir weitere Anpassungen vornehmen? Wie ich auch sagte: Unsere Maßnahmen müssen mit der gewachsenen Dynamik der Veränderung in Einklang gemacht werden. Aber in der Gesamtschau sind viele Dinge bereits angeschoben und zum Besseren verändert worden.

Lokalo: Ich möchte zum Abschluss des Gespräches gewissermaßen zum Anfang zurückkehren und, wenn möglich, noch eine persönliche Frage stellen. Sie haben als Soldat das Kriegshandwerk gelernt, nun unterhalten wir uns hier in der ältesten christlichen Kirche Deutschlands, dem Trierer Dom. Ich würde Sie daher gerne fragen, ob Sie an Gott glauben und wie sich dieser Glaube zu ihrem Beruf verhält.

Arlt: Ja, ich glaube an Gott. Ich trage, seit ich Soldat und in Einsätzen bin, an meiner Erkennungsmarke den Erzengel Michael. Der Erzengel begleitet mich überall hin. Und diese Marke hat mir immer Glück gebracht – ich habe sie in ferne Länder getragen und sie hat mich zurückgebracht. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man mit sich im Reinen ist. Jeder hat dafür individuelle Verfahren, wie er das macht. Aber für mich ist das sehr wichtig.

Lokalo: Herr General Arlt, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Arlt: Gerne.

Die Fragen stellte Alexander Scheidweiler.

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1 Kommentar

  1. Warum hat die deutsch reformierte synodale Nationalkirche rund um das Trierer Quattro aus dem Vertuscher K. Marx, Bischof Ackermann, Dieser und Bätzing nicht den Transkommandeur der Bundeswehr im Dom über die Wehrunfähigkeit der deutschen Streitkräfte vortragen gelassen?

    Das hätte den 300 Klerikern aus dem Trierer Bistum die eine Revolte gegen das römische Lehramt inszeniert haben – doch bestimmt in ihrer pro „Queren Bewegung“ besser gefallen.

    UND werter Herr Scheidweiler, warum wurde dem General nicht die richtigen Fragen über die Bundeswehr gestellt?

    Die quasi von innen her zersetzt wird. Von wegen des Prinzips und der Grundsatz von der „Inneren Führung“ die damals bei der Wiederbewaffnung der Bundeswehr im Kloster Himmerod installiert wurde. Davon ist weit und breit in der Führung nichts mehr zu sehen, sonst hätte Merkel ihre unrühmliche Ära schon vor zig Jahren ein Ende gefunden.

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