Ackermann: Aufarbeitung von Missbrauch muss auf breitere Basis gestellt werden

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Der Trierer Bischof Stephan Ackermann. Foto: Harald Tittel/dpa/Archivbild

TRIER. Triers Bischof Ackermann will seinen Job als Missbrauchsbeauftragter der katholische Kirche auf mehr Schultern verteilen. Ein Grund: Neben sexuellem Missbrauch solle auch psychische Gewalt betrachtet werden.

Der Kampf gegen Missbrauch und Gewalt in der katholischen Kirche Deutschland muss nach Ansicht des Trierer Bischofs Stephan Ackermann auf eine größere Basis gestellt werden. «Ich meine, das müsste man breiter verankern», sagte Ackermann, der seit 2010 Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs ist. «Ich bin bereit, weiter in dem Feld zu arbeiten», sagte Ackermann der Deutschen Presse-Agentur. Diese Arbeit müsse aber «auf breitere Füße gestellt» werden.

«Das Feld weitet sich immer weiter aus. Wir sprechen jetzt auch über geistlichen, nicht nur sexuellen Missbrauch», sagte der Bischof. Es gehe um Frauen in Abhängigkeit und um unterschiedliche Gewaltformen: Diese könnten sexuell, physisch und psychologisch sein und auch subtile Formen haben. Die «stärkere Verankerung» des Themas Missbrauch solle dazu führen, «dass es nicht nur einen Missbrauchsbeauftragten gibt».

Deswegen habe die Vollversammlung der Bischofskonferenz im September in Fulda zugestimmt, «dass wir ein Konzept aufstellen, damit ich künftig nicht als der einzige für dieses Feld stehe. Das ist, meine ich, nach den Entwicklungen, die es in den letzten elf Jahren gab, auch nicht mehr angemessen.» Die Bischofskonferenz habe ihn gebeten, ein Konzept für dieses breitere Herangehen an das Thema zu entwickeln.

Er denke an ein Gremium aus etwa sechs Fachleuten. In anderen Bischofskonferenzen gebe es «Boards» oder Kommissionen, die sich dieses Themas annehmen. «Da sollten Bischöfe drin sein, aber eher mehrheitlich keine Bischöfe sitzen.» Er wolle auch nicht den Vorsitz in diesem Gremium haben. Er wolle aber weiter mitarbeiten.

Laut eines Berichts des «Spiegel» über Missbrauchsfälle im Bistum Trier mit dem Vorwurf der Verschleppung von Aufklärung hatte die Vereinigung der Missbrauchsopfer im Bistum Trier (Missbit) am Freitag unter anderem den Rücktritt von Ackermann sowie dessen Vorgängers, des jetzigen Kardinals Reinhard Marx, gefordert.

Er könne Wut, Frust und Enttäuschung verstehen, sagte Ackermann. Er sehe aber keinen Grund, zurücktreten: «Wir sind wirklich seit Jahren daran, konsequent Aufarbeitung zu betreiben, individuell und jetzt auch institutionell», sagte er. «Ich bin überzeugt, dass wir nicht ein besonders schlimmes Beispiel dafür sind, wie man Aufarbeitung verschleppt, sondern dass wir das wirklich konsequent betreiben, nach den festgelegten Kriterien.»

Es sei «nicht wegzudiskutieren», dass man in der Vergangenheit vor allem auf die Reputation der Kirche gesetzt und Täter einfach an andere Orte versetzt habe. «Da sind Fehler gemacht worden, absolut», sagte Ackermann. Zudem gebe es «in den letzten elf Jahren auch eine Lerngeschichte: Wir reagieren natürlich heute schneller und professioneller als noch vor zehn Jahren.»

In den meisten deutschen Diözesen seien in diesem Jahr unabhängige Kommissionen eingerichtet worden, die den Blick auf Versäumnisse der Institution Kirche richteten. Dabei gehe es um Verantwortlichkeiten, wie das jeweilige Bistum mit Tätern und Opfern umgegangen ist. Anfang des Jahres hatte Ackermann vorausgesagt, es würden «dann dunkle Flecken» in der Geschichte der Bistümer deutlich werden.

Die Kommission in Trier besteht aus sieben Mitgliedern, darunter Betroffene, eine Psychologin, ein Jurist und ein Historiker. Die Aufarbeitung soll sechs Jahre dauern – der erste Zwischenbericht werde im Laufe des Jahres 2022 vorliegen, teilte die Kommission mit. Das Gremium in Trier hat sich bisher fünfmal getroffen.

Die Kommission wolle als Grundlage der Aufarbeitung eine Studie in Auftrag geben, die – unter Berücksichtigung bisher vorliegender Erkenntnisse – eine erste Übersicht über das Ausmaß von Missbrauchsfällen im Bistum Trier ergeben soll, hieß es.

Seit 2010 haben sich 208 Betroffene beim Bistum gemeldet. Alle diese Fälle und Vorwürfe sowie mögliche weitere Hinweise seien Gegenstand der Beratung und Untersuchung. Drei Einzelfälle werden bereits einer näheren Betrachtung unterzogen und weiter untersucht, teilte der Sprecher der Kommission mit.

Nach einer seit Anfang dieses Jahres greifenden Neuregelung auf höhere Anerkennungszahlungen hätten 78 Missbrauchsopfer Anträge gestellt, sagte die Sprecherin des Bistums Trier. Darunter seien 16 Erst- und 62 Zweitanträge. Das Bistum habe diese zur Entscheidung an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen in Bonn weitergeleitet. Bis 31. Oktober seien 42 der Anträge positiv entschieden gewesen, hieß es in Trier.

Im Herbst 2018 hatte die katholische Kirche die sogenannte MHG-Studie und damit Zahlen zu sexuellem Missbrauch öffentlich gemacht. Demnach sind bundesweit in den Personalakten von 1946 bis 2014 insgesamt 1.670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt worden. Es gab 3.677 Opfer. In Rheinland-Pfalz und im Saarland wurden Hunderte Kinder und Jugendliche missbraucht. (dpa)

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