Ein echtes Gesamtkunstwerk: Schillers „Kabale und Liebe“ am Theater Trier

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Lennart Hillmann als Ferdinand, Luise Harder als Luise, Michael Hiller als Miller (v.l.n.r.). Foto: Martin Kaufhold

TRIER. Rüdiger Papes Inszenierung von „Kabale und Liebe“ am Theater Trier ist ein echtes Gesamtkunstwerk aus Bühnenbild, Musik, Kostümen und schauspielerischer Exzellenz. Es erweckt einen Klassiker zum Leben und zeigt, was er uns heute noch zu sagen hat.

Von Alexander Scheidweiler

Früher, im Barock zum Beispiel, war zwar beileibe nicht alles besser, aber doch vieles einfacher. Zumindest waren die gesellschaftlichen Hierarchien klar, auch in der Literatur und auf der Theaterbühne: in der Tragödie, die ihre Stoffe gerne der antiken Historie entlehnte, trat der Adel auf, in der Komödie das Bürgertum. Dass nur ja keiner auf die Idee komme, über die Aristokratie zu lachen! Im Zeitalter der Aufklärung wurd’s freilich anders: Die gewachsene ökonomische Potenz des Bürgertums übersetzte sich irgendwann auch in kulturelles Kapital – noch bevor der dritte Stand sich politisch als solcher konstituierte, wird er tragödienfähig. Und nutzte dies, um nebenbei Kritik am Adel, an dessen willkürlicher Machtausübung und moralischer Dekadenz, zu üben.

Das Resultat nennt man bekanntlich „bürgerliches Trauerspiel“. Und Schiller dürfte der Gattung mit „Kabale und Liebe“ das wohl bedeutendste Beispiel geschenkt haben – neben der „Emilia Galotti“ – und so ganz nebenbei denjenigen sozialen Konflikt künstlerisch etabliert haben, der bis zu Fontane und Keyserling (den Reich-Ranicki einst so treffend den baltischen Fontane nannte) die deutsche Literatur direkt und indirekt beschäftigte, den Ständekonflikt. Allein, das ist doch vom heutigen Leser bzw. Zuschauer recht weit weg. Dass eine Liebesbeziehung an Standesschranken scheitert oder die gesellschaftliche Dominanz des Adels als Problem wahrgenommen würde, hört man heute eher selten. Gar nicht so einfach also, ein vorklassisches Stück wie „Kabale und Liebe“ unter inhaltlichen Gesichtspunkten inszenatorisch der historistischen Musealität zu entreißen!

Zweites Problem: das Schiller’sche Pathos. Zweifellos war der Klassiker ein Sprachkünstler hohen Ranges, jedoch die Klaviatur der ganz großen Emotionen und einer geradezu pompösen Rhetorik bespielte er – nicht nur, aber auch und gerade in seiner Sturm und Drang-Zeit – manchmal vielleicht ein bisschen zu eifrig. Das wuchtige Und-setzet-ihr-nicht-das-Leben-ein-Pathos bewegt sich bisweilen an der Grenze der Selbstparodie. Nicht umsonst reizte der Schiller-Ton durch die Jahrhunderte Spötter von August Wilhelm Schlegel („Ehret die Frauen, sie stricken die Strümpfe“) bis Heinz Erhardt („Wer wagt es, Knippersmann oder Ratt“) zu satirischen Nachdichtungen. Abgesehen von Wagner’schen Alliterationsorgien provoziert wohl nichts so sehr die Parodie wie das Schiller-Pathos! Auch dies macht es nicht ganz einfach für heutige Regisseure, den Klassiker auf die Bühne zu bringen.

Das Liebespaar. Foto: Martin Kaufhold

Doch die Trierer Inszenierung von Rüdiger Pape, die gestern im Großen Haus des Theaters Trier Premiere feierte, löst diese Probleme meisterlich. Denn auch wenn es keine Stände im Sinne des Ancien Régime mehr gibt, so ist ja die soziale Stratifikation nicht verschwunden. Noch immer sind manche oben – finanziell und machtmäßig – andere sind unten und schaffen den aufstieg nicht, wieder andere kämpfen darum, sich in der Mitte zu behaupten. Papes Inszenierung veranschaulicht dies durch die Nutzung einer dreistufigen Simultanbühne – „Kabale und Liebe“ trifft „Zu ebener Erde und erster Stock“, Schiller meets Nestroy auf der Trierer Theaterbühne. Rein bühnentopographisch gesprochen.

Zuunterst die Stube von Musikus Miller (Michael Hiller) und Tochter Luise (Luise Harder), mit dem Musikinstrument, das zu erlernen den jungen Major Ferdinand von Walter (Lennart Hillmann) zuerst in das Haus Millers führte, wo er sich, unter Missachtung aller Standesschranken, in des Stadtmusikanten Tochter unsterblich verliebte. Zuoberst ein ehrfurchtgebietendes, klassizistisches Säulenportal, die Sphäre von Ferdinands Vater, das Reich des Präsidenten (Klaus-Michael Nix), der als Sachwalter des Fürsten (von dem ständig die Rede ist, ohne dass er doch jemals erscheint) und mit allen Wassern gewaschener, knallharter Machtpolitiker,die Zügel des Staates und der höfischen Intrigenmaschinerie in Händen hält. Dass er einen vage an die protzenhaften Geschmacksverirrungen eines Donald Trump erinnernden, komplett goldenen Dreiteiler trägt, katapultiert ihn aus der untergegangenen Welt des Absolutismus in die Gegenwart kapitalistischer nouveaux riches. In der Mitte der Bereich der Lady Milford (Tamara Theisen), ein angedeutetes Boudoir mit chaise longue und Aschenbecher, wird die Titularmätresse mit dem goldenen Herzen, die sich schließlich für die bedrängte Luise einsetzen will, doch fast zum Scharnier zwischen beiden Welten, aber nur fast. Theisen spielt die Lady übrigens glänzend – angesichts ihrer rasenden Eifersucht („Wisse das Elende! Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit.“) bekommt man als Zuschauer fast selber Angst vor ihrem Zornesausbruch!

Luise in Verzweiflung. Foto: Martin Kaufhold

Treppenstufen verbinden die drei Ebenen: Der Abstieg fällt den Höhergestellten leicht – die können sich im wahrsten Sinne des Wortes „herablassen“, so wenn der Präsident die Millers besucht, um den Liebesbund durch ein Machtwort zu zerreißen. Diese doppelte Herablassung, das räumlich-soziale Heruntersteigen verknüpft mit der ganzen Verachtung des Hofaristokraten für die „Bürgerkanaille“, transportiert Nix als Präsident von Walter perfekt, nicht nur in dieser Szene. Der Aufstieg ist schon schwieriger. Schon rein räumlich gelingt er denen, die unten sind, so gut wie gar nicht – es sei denn, Luise wird zur Lady zitiert, oder Musikus Miller, von Hiller überzeugend als treusorgender Vater und in einem guten Sinne biederer Bürgersmann interpretiert, muss auf Wunsch Ferdinands den Abschiedsbrief zu seinem Vater bringen. Sozialer Aufstieg als Problem – wer wollte bestreiten, dass dies auch in der Gegenwart ein Thema in unserer Gesellschaft ist, auch wenn es keine Standesschranken wie in den Duodezfürstentümern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation mehr gibt?

Und das wuchtige Pathos?

Wird in der Trierer Inszenierung geschickt mit dosierter, musikalisch grundierter Heiterkeit konterkariert. Immer wieder gibt es poppig-schlagerhafte Musik- und Tanzeinlagen, zu Melodien von „Highway to Hell“ und „A Girl from Ipanema“ bis „This is my Freedom. This is my voice!“ von Sophie Hunger, diese letzte Titel zwar nicht lustig, aber hochsymbolisch-passig der Lady Milford zugeordnet. Zudem ein komödiantisches Highlight im tragischen Gesamt-Plot: der Hofmarschall von Kalb, ohnedies als einfältig-komische Gestalt mit sprechendem Namen von Schiller konzipiert. Er wird von Paul Hess herrlich clownesk gespielt, mit rosafarbenem Rüschenhemd und Strapse, mit Goldkonfetti, Puderquaste und affektiertem Ausruf „spectacle formidable“ als catch phrase. Und auch Giovanni Rupp, der das Mephistophelische des von ihm verkörperten, intriganten Sekretärs Wurm hervorragend zur Geltung bringt, verleiht der Figur durch seine zuckend-staksigen Bewegungen bei aller Dämonie ein Moment der grotesken Komik.

In der Hauptsache aber tragen Harder und Hillmann die Inszenierung. Das liegt freilich ein Stück weit in der Natur der Sache, schließlich sind Luise und Ferdinand die unbestrittenen Protagonisten. Und dennoch: Das Wechselbad der Gefühle, das die beiden Figuren im Laufe der Handlung durchmessen, von der unbeschwerten, überschäumenden Verliebtheit des Beginns zu den düsteren Verzweiflungsabgründen des Doppel(selbst)mordes am Ende, muss man erst einmal so glaubhaft und überzeugend darbieten, wie Harder und Hillmann dies tun. Das ist ganz große Kunst!

Daher bleibt festzuhalten: Papes Trierer Inszenierung von „Kabale und Liebe“ präsentiert sich als echtes Gesamtkunstwerk, bei dem alles zusammenpasst, künstlerisch perfekt verfugt ist – vom Bühnenbild über die Musikeinlagen und Kostüme bis hin zu einer exzellenten schauspielerischen Leistung des Ensembles. Die Fragen, die sich aus der historischen Distanz des Stoffes und dem schweren Pathos der Sprache ergeben, wurden elegant und überzeugend beantwortet. Pape schafft es, das Stück auf unsere Zeit zu beziehen, ohne Schiller im Geringsten zu verfälschen, der Ernsthaftigkeit Rechnung zu tragen und doch Momente der Heiterkeit unaufdringlich einzufügen. Gott sei Dank, möchte man in diesem Zusammenhang sagen, wurden nur ganz moderate Kürzungen am Text vorgenommen, denn von den zwei Stunden und vierzig Minuten Spielzeit möchte man als Zuschauer keine einzige missen!

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