Die „Meisterklasse“, ein „Schauspiel mit Musik“ aus der Feder des unlängst verstorbenen, amerikanischen Dramatikers Terrence McNally über das Leben der Maria Callas, feierte gestern Abend am Theater Trier Premiere. Das Premierenpublikum erlebte einen äußerst anregenden, teils heiteren, teils tiefgründig-nachdenklichen Theater-Abend.
Von Alexander Scheidweiler
1960 kam die Musikkomödie „Let’s Make Love“ mit Marilyn Monroe in die Kinos, in der es um die Produktion einer Off-Broadway-Revue mit vielen Musical-Nummern geht. Die von der Öffentlichkeit begierig verfolgte Affäre, die die Diva während der Dreharbeiten mit ihrem Co-Star Yves Montand hatte, trug maßgeblich zum Zerbrechen ihrer dritten Ehe mit dem Dramatiker Arthur Miller bei. In einem dieser Songs des Films, einem Duett das Monroe zusammen mit Frankie Vaughn singt und das den Titel „Specialisation“ trägt, heißt es, frei übersetzt: „Wenn man die Leute in den Nachrichten verfolgt, / Die Leute, über die die Zeitschriften schreiben, / Wird man feststellen, dass sie auf ganz besondere Weise ‚soingné‘ sind. […] Sie haben alle eine Eigenschaft, die zu sagen scheint: ‚Erste Klasse‘. / Und die sie von den kleinen Fischen unterscheidet.“
Und wer wird dann als erstes Beispiel für einen solchen Star, der ständig in den Medien ist, der von allen als Benchmark betrachtet wird, der das gewisse Etwas hat, der offensichtlich nicht zu den kleinen Fischen gehört, genannt? Richtig: „La Divina“, die „Primadonna assoluta“, die Callas: „Maria Callas / Is booked in Dallas. / The carpet’s rolled out and they’re sold out clear to the skies“, singt Frankie Vaughn in der Filmkomödie. Es entbehrt nicht einer gewissen tragischen Ironie, dass die Film-Diva mit der tragischen Biographie, die die Phantasie so vieler Menschen angeregt hatte und sich zwei Jahre später das Leben nahm, die Opern-Diva mit der tragischen Biographie besang, die die Phantasie so vieler Menschen angeregt hatte und ihre kometenhafte, aber kurze Karriere nur wenige Jahre später qua Stimmverlust beendenden musste. In nur 13 Jahren auf den Opernbühne hatte die Callas sich verschlissen, im Dienste der Kunst aufgezehrt.
Anfang der 70er-Jahre unterrichtete die Sängerin, die schon lange nicht mehr sang – 1965 hat sie als Tosca am Royal Opera House in London ihre Laufbahn beendet – Meisterklassen an der Juillard School, dem renommierten Konservatorium in ihrer Geburtsstadt New York. Über diese Meisterklassen, in denen die Diva ihrer Allüren, hohen Ansprüche und Kritiksucht wegen bei den Studenten gefürchtet war, hat der im vergangenen Jahr verstorbene, amerikanische Dramatiker Terrence McNally sein spartenübergreifendes Stück „Meisterklasse“ geschrieben, das gestern Abend im Großen Haus des Theaters Trier in einer Inszenierung von Operndirektor Jean-Claude Berutti Premiere feierte.
Drei Schüler müssen der unberechenbaren und manisch-selbstverliebten, zur Dozentin gewordenen Maria Callas, überragend gespielt von Stephanie Theiß, in den anderthalb Stunden des Theaterabends vorsingen, an allen hat sie etwas auszusetzen: Der schüchternen Sharon Graham (Liliana Merker), die sich mit „Nel dì della vittoria“ aus Verdis „Macbeth“ präsentiert, spricht sie das „gewisse Etwas“ ab, so dass sie erst einmal die Flucht ergreift (später wird sie wiederkommen). Sophie de Palma (Einat Aronstein), die „Oh! se una volta sola“ aus Bellinis „La sonnambula“ singt, macht sie wegen ihres zu kurzen Rockes nieder. Und Antonio Candolino (Derek Rue), ein junger, hoffnungsfroher Tenor, dem sie immerhin zugesteht, „bella figura“ zu haben bzw. zu machen, ist ihr nicht gut genug vorbereitet, weil er die Kirche nicht benennen kann, in der seine Arie – „Dammi i colori“ aus Puccinis „Tosca“ – angesiedelt ist.
Stephanie Theiß parodiert die überkandidelte Selbstverliebtheit der Diva großartig, so dass immer wieder komische Momente und Lacher entstehen, z.B. wenn sie ihren Pianisten Manny, gespielt von Dramaturg Malte Kühn, maßregelt. Die Rückblenden aber, in denen die Protagonistin über die Beschwernisse und Enttäuschungen ihrer Vita reflektiert – die Armut ihrer Jugend in Athen, die langjährige, in mancher Hinsicht toxische Liebesaffäre mit Aristoteles Onassis, die ihre Ehe und die erste des argentinisch-griechischen Reeders ruinierte, die giftigen Rivalitäten mit anderen Sängerinnen – zeigen, dass die Komik sich über den Abgründen einer eben zumindest in Teilen tragischen Biographie entfaltet. Dabei gelingen Theiß die Momente der Verzweiflung ebenso überzeugend wie diejenigen der Komik.
Die Inszenierung nutzt die Möglichkeiten der Bühne des großen Hauses zur Erzeugung eindrücklicher Schauwerte, etwa wenn das Porträt Onassis’ riesenhaft auf den transparenten Vorhang fällt, der die Bühne teilt, während Christian Niegel, der auch den Bühnentechniker spielt, als Stimme des Ex-Geliebten der Diva erklärt, sie könne materiell alles von ihm bekommen, aber keine Liebe, die er, der superreiche Unternehmer auch gar nicht brauche. Ein mächtiges, Bühnenbild gewordenes Symbol der Last, die die Erinnerung an Onassis und den Umstand, dass ihre Liebe sich nicht erfüllte, für die alternde Sängerin darstellt.
Sehr löblich ist, dass das Theater Trier dem Programmheft eine biographische Skizze zu Maria Callas beigefügt hat, die beim Verständnis der zahlreichen Anspielungen äußerst hilfreich ist.
Auch was das Musikalische angeht – Malte Kühn zeichnet verantwortlich – wurde hervorragende Arbeit geleistet, vermögen die Gesangseinlagen in diesem „Schauspiel mit Musik“ zu begeistern: Die beiden Sängerinnen und ihr männlicher Kollege tragen die Arien-Klassiker so meisterlich vor, wie es einer Meisterklasse unter Leitung der Callas gebührt, wobei vielleicht Derek Rues kraftvoller Mario Cavardossi gestern ein klein wenig hervorstach.
Selbst wenn Berutti im Programmheft betont, sein Fokus liege auf dem Stück selbst und die darin anklingende Frage, inwieweit Kunst überhaupt lehr- und lernbar ist, so ist die Trierer Inszenierung der „Meisterklasse“ doch zumindest auch eine zugleich lustige und anrührende Hommage auf eine der ganz Großen der Operngeschichte, eine Diva, die sich nach außen einen Panzer zulegen musste, um die Drücke auszuhalten, die mit der Weltkarriere und den privaten Fährnissen einhergingen, die schon zu Lebzeiten zu einer Ikone geworden war, die man gar nicht mehr primär hören, sondern v.a. sehen, gezeigt bekommen wollte. Zum „Monster“ (von „monstrare“ i.S.v. „zeigen“) war sie so geworden, wie Onassis in einer Rückblende hart, aber wohl treffend sagt.
Das Premierenpublikum dankte seinerseits den Mitwirkenden für einen äußerst anregenden, teils heiteren, teils tiefgründig-nachdenklichen Theater-Abend mit Opern-Einlagen mit langanhaltendem Applaus.
Weitere Termine: 18.9., 10.10., 23.11. und 29.12.