REGION TRIER. Brücken beschädigt, Straßen zerstört, Gleise unterspült: Die schweren Überschwemmungen haben der Infrastruktur in Rheinland-Pfalz massiv zugesetzt. Fachleute suchten auch am Dienstag nach Lösungen, um den Verkehr am Laufen zu halten.
«Das Ausmaß ist noch nicht abschätzbar», sagte die Sprecherin des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) in Koblenz. Seit Montag seien Experten mit der Schadensaufnahme beschäftigt. «Wir sind dran, haben aber noch keine Auflistung, was alles kaputt ist.»
Einen ersten Überblick über zerstörte Straßen und Brücken könne es möglicherweise Ende dieser Woche geben, sagte die LBM-Sprecherin. Prüfer seien vor Ort, um zu schauen, welche Brücken saniert werden könnten oder abgerissen werden müssten. Es gebe auch noch Orte, die komplett abgeschnitten seien, dazu zähle Mayschoß im Kreis Ahrweiler.
Auch die Schäden bei der Bahn werden immer deutlicher. Allein sieben Regionalverkehrsstrecken seien so stark zerstört worden, dass sie neu gebaut oder umfangreich saniert werden müssten, teilte die Deutsche Bahn mit. Die Reparatur- und Wiederaufbaumaßnahmen würden Wochen und Monate dauern. Insgesamt seien Gleise auf einer Länge von rund 600 Kilometern von den Unwetterfolgen betroffen. Rund 2000 Mitarbeiter der Bahn seien derzeit dabei, Gleise, Bahnhöfe und Anlagen von Geröll und Schlamm frei zu räumen. Rund 80 Bahnhöfe wurden der Mitteilung zufolge durch das Unwetter beschädigt. Bislang bekanntgewordene Bilder legen nahe, dass weite Teile der Eifel- und Ahrstrecke komplett neu aufgebaut werden müssen. Betroffen sind in Rheinland-Pfalz bis zu 115 km Bahn-Streckenlänge.
Ein Prüfungstrupp des LBM nahm unterdessen die Ahrbrücke bei Sinzig (Kreis Ahrweiler) in Augenschein. Wie eine Sprecherin sagte, werde untersucht, ob die Brücke zum Teil abgerissen werden kann, ohne dass der noch intakte Teil beschädigt wird. Die zweigeteilte Brücke als Teil der B9 gilt als wichtige Verbindung zwischen Köln und Bonn auf der einen und Koblenz auf der anderen Seite. Durch die Strömung hatten die Fluten der angeschwollenen Ahr Ende der vergangenen Woche einen Pfeiler schwer beschädigt. Der war daraufhin abgesackt.
Nach dem Ausfall von mehr als 500 Mobilfunkstationen im Katastrophengebiet in Rheinland-Pfalz nahmen die Netzbetreiber mehr als 70 Prozent der Anlagen wieder in Betrieb. Nach wie vor gebe es an vielen Orten keinen oder nur eingeschränkten Empfang, teilte das Digitalisierungsministerium in Mainz mit. Nötig sei eine gemeinsame Kraftanstrengung der Mobilfunkunternehmen, um die Situation vor Ort zu verbessern, sagte Minister Alexander Schweitzer (SPD).
Der Katastrophenstab des Landes Rheinland-Pfalz baute im Kreis Ahrweiler zwölf Satellitenschüsseln für die Bevölkerung auf. Grund ist, dass es in der besonders stark von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Region massive Ausfälle im Mobilfunknetz gibt. Die Zahl der Satellitenschüsseln solle auf 35 gesteigert werden, teilte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier (ADD) mit. Betroffene könnten sich einwählen und so einen Zugang zum Internet bekommen.
Sechs Tage nach dem Unwetter im Norden von Rheinland-Pfalz werden dort noch 170 Menschen vermisst. Diese Zahl nannte am Dienstag ein Sprecher der Polizei in Koblenz. Bisher wurden im Kreis Ahrweiler 117 Menschen tot geborgen. In Nordrhein-Westfalen starben 47 Menschen.
Nach der Flutkatastrophe sehen die betroffenen Bundesländer erhöhte Corona-Risiken, weil sich Menschen bei Hilfsaktionen oder in Notunterkünften anstecken könnten. «Derzeit kommen viele Menschen auf engstem Raum zusammen, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Bewältigung der Katastrophe nicht zu einem Superspreader-Event wird», sagte David Freichel vom Corona-Kommunikationsstab der Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Aus Sorge vor einer Ausbreitung des Coronavirus im rheinland-pfälzischen Katastrophengebiet starteten Landesregierung und Kreisverwaltung im Ahrtal eine Impfaktion mit einem Bus. Ohne Anmeldung können sich Bewohner der Region dort impfen lassen, wie das Gesundheitsministerium in Mainz mitteilte. In dem Bus gibt es auch die Möglichkeit zu Schnelltests.
Staatssekretär Denis Alt (SPD) sagte, in der Katastrophenhilfe werde «notwendigerweise Hand in Hand» gearbeitet, «oftmals ohne Corona-Schutzmaßnahmen umfänglich einhalten zu können». «Mit Impfungen und Schnelltests wollen wir den Betroffenen und den zahlreichen Helferinnen und Helfern ein unbürokratisches Schutzangebot machen, um so die Pandemie im Katastrophengebiet im Griff zu behalten.» Im Kreis Ahrweiler lag die Sieben-Tage-Inzidenz – also die innerhalb einer Woche registrierte Zahl der Neuansteckungen pro 100 000 Menschen – am Montag beim eher geringen Wert von 3,8.
Die Polizei warnte unterdessen vor falschen Durchsagen im Katastrophengebiet. Es lägen Informationen vor, wonach Fahrzeuge mit Lautsprechern unterwegs seien, die polizeilichen Einsatzfahrzeugen ähnelten, teilte die Polizei in Koblenz mit. Mit diesen werde «wahrheitswidrig» verbreitet, dass die Zahl der Einsatzkräfte verringert werde. «Das ist eine Falschmeldung», betonte die Polizei.
Nach ihren Angaben geben sich in den Katastrophengebieten zudem Rechtsextremisten als «Kümmerer vor Ort» aus. «Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick», meinte die Polizei in Koblenz.