TRIER. Im Dezember 2001 trat die Volksrepublik der Welthandelsorganisation bei und wurde damals zunächst für 15 Jahre als sogenannte Nicht-Marktwirtschaft eingestuft. Die Folge: Handelspartner können relativ einfach Anti-Dumping-Strafzölle verhängen, falls China seine Produkte zu billig ausführt. Am 12.12.2016 sollte China eigentlich den Status einer Marktwirtschaft erhalten, hat es aber nicht. Über die Hintergründe gibt Dr. Dirk Schmidt von der Universität Trier Auskunft.
Was genau bedeutet für ein Land den Marktstatus der WTO zu erhalten?
Schmidt: Die Bedeutung hat es in erster Linie im Zusammenhang von Anti-Dumping Verfahren bei der WTO. Zunächst einmal was ist Dumping? Dumping ist wenn ein Staat Güter im Ausland billiger anbietet als auf dem Heimatmarkt. Wenn wir China nehmen dann wird die Logik einem sagen, dass bei Exporten aus China nach Europa diese Güter im Grunde teurer sein müssten als in China, da der Transport noch hinzukommt. Was man aber feststellt ist, dass die Preise in Europa für chinesische Exportprodukte geringer sind als auf dem Heimatmarkt. So, im Zusammenhang mit dem Status einer Marktwirtschaft gibt es zwei Verfahrensweisen: ein einheimisches Unternehmen oder der Staat, also der Importstaat, vermutet das Dumping vorliegt; wenn jetzt das Ursprungsland, also der Exporteur den Status einer Marktwirtschaft hat, dann muss das klagende Land, also das Importland nachweisen, dass die Preise in der Tat verzerrt sind. Wenn das Land, aber nicht den Status einer Marktwirtschaft hat, dann geht man per se davon aus, dass das Land die Preise verzerrt, weil es ja keine Marktwirtschaft ist. Keinen Marktwirtschaftsstatus zu haben bedeutet, dass das exportierende Land die Preise durch staatliche Eingriffe verzerrt. Im Falle dieser Nicht- Marktwirtschaft hat das Importland die Möglichkeit sogenannte Drittstaaten als Referenzen heranzuziehen. Das ist auch gemacht wurden, d.h. die EU, Japan oder die USA sind relativ frei in der Auswahl der Referenzstaaten und können dann sagen: „Hier sehen wir die Differenz zu den chinesischen Produkten daraus bemisst sich dann der Strafzoll den das Importland gegenüber dem exportierendem Land erlässt.“
Ein Beispiel wäre auch der Konflikt wegen den Solarpanels, oder?
Schmidt: Richtig, das wäre ein Beispiel, aber das gibt es permanent. Die USA haben gerade Strafzölle verhängt wegen Importen von Mikrowellen. Permanent läuft das ab und meistens kriegen wir das gar nicht mit. Im Fall von Europa war es wegen Stahl, wegen Schrauben und wegen Chemikalien. Wir bekommen das allerdings in den wenigsten Fällen mit.
China ist seit 2001 WTO Mitglied; warum hat China dann ein Zeitfenster von 15 Jahren bekommen um den Marktstatus zu erhalten? Ist das ein übliches Verfahren?
Schmidt:
Also es sind zwei Aspekte die wichtig sind. Man war 2001 sicher, dass 2016 China eine Marktwirtschaft sein würde und hat das einfach so antizipiert und geglaubt wenn wir China einfach in den Handel einbinden, dann wird China irgendwann so wie wir. Jetzt hat man festgestellt, zur Überraschung, dass das eben nicht der Fall ist. Das China immer noch erhebliche Verzerrungen in der Preisgestaltung hat. Die EU hat das getestet und China ist nur zu einem Fünftel eine Marktwirtschaft (siehe FAZ Artikel). Es gibt fünf Katalogpunkten die geprüft wurden und China hat lediglich einen von diesen fünf Punkten erfüllt. China ist von der Entwicklung, die man vermutet hat, damit deutlich zurück geblieben. Auf gut deutsch: man war viel zu optimistisch, zu hoffnungsfroh, dass sich China zu den vom Westen erhofften Vorstellungen entwickeln würde.
Das andere ist das mit den Übergangsfristen, das ist nichts speziell chinesisches sondern das macht man hin und wieder. Bevor China WTO Mitglied wurde haben die Chinesen individuell mit den Amerikanern und den Europäern individuelle Beitrittsprotokolle oder Beitrittspakete verhandelt. In diesem Zusammenhang werden dann auch die Übergangsfristen festgelegt. Es ist z.B. auch so, dass Vietnam eine Übergangsfrist bekommen hat von 12 Jahren. Übergangsfristen sind also nichts spezifisch chinesisches.
Welche Katalogpunkte hat China erfüllt und welche Punkte hat es nicht erfüllt?
Schmidt: Erfüllt hat Peking, dass die Privatisierungsverfahren nicht mehr staatlich verzerrt werden. Nicht erfüllt ist der Einfluss der chinesischen Regierung auf Preiskontrollen, die Bevorzugung oder Benachteiligung von Unternehmen bei Steuerfragen, beim Gesellschaftsrecht wurden die Erwartungen ebenfalls nicht erfüllt, Rechnungslegungsstandards, Insolvenzrecht und Schutz geistigen Eigentums. Also lediglich in einem Punkt hat China die Erwartungen erfüllt um den Status einer Marktwirtschaft zu erhalten.
Welche Folgen hätte der Marktstatus innerhalb von China?
Schmidt: Das ist für China positiv und hat zwei Dinge zur Folge: das ganze betrifft ja vor allem Chinesische Exporteure natürlich gibt es auch eine ganze Reihe von Industrien die nicht im Außenhandel beschäftigt sind, für die ist das irrelevant. Das ist hauptsächlich relevant für die chinesischen Exporteure. Die Chinesen sind jetzt davon ausgegangen, dass die Europäer, die Amerikaner, die Japaner und andere Drittstaaten, dass es einen Automatismus gibt und mit dem 12.12.2016 China automatisch diesen Status einer Marktwirtschaft erhält. Das hat etwas zu tun mit was die Chinesen Vertragstreue nennen; also es gibt Protokolle und Verträge und diese müssen dann eingehalten werden. Das andere ist, dass die Chinesen den Europäern Protektionismus vorwerfen, da aus chinesischer Sicht es Verhandlungen mit den Europäern und Amerikanern gibt diese aber dann nicht umgesetzt werden. Neben den Folgen der ökonomischen Dimension ist das Ganze auch eine Prestigefrage für China.
Was man zum Status der Marktwirtschaft noch wissen muss, ist das nicht die WTO diesen
Status vergibt sondern einzelne WTO Mitglieder vergeben diesen Status als Marktwirtschaft. Man kann von chinesischer Seite fragen, es gibt bereits 80 WTO Mitgliedsstaaten die diesen Status Chinas als Marktwirtschaft anerkennen und warum erkennen die anderen Staaten diesen Status nicht an? Außerdem könnten die Chinesen auch fragen, warum die Europäer z.B. Vietnam diesen Status als Marktwirtschaft gewährt haben, warum Russland diesen Status bekommen hat und China nicht. China ist natürlich im Außenhandel ein ganz anderer Spieler als Vietnam und Russland.
Dieser Automatismus von dem China ausging hat aber nicht funktioniert, oder?
Schmidt: Vor ein paar Monaten hat man noch gedacht, die EU Kommission hat das auch kommuniziert, dass die Chinesen davon ausgehen könnten, dass es diesen Automatismus gibt. Das EU Parlament hat sich dagegen ausgesprochen, aber die Kommission hat vor wenigen Monaten noch gesagt, ja das wird wohl so sein, dass dieser Automatismus trägt und in Kraft tritt. Jetzt stellt sich die Frage warum sie die Meinung geändert haben. Das hat verschiedene Faktoren: zum einen wurde diese Entscheidung im Hintergrund der ganzen Globalisierungskritik, der Anti-Freihandelsstimmung, siehe Brexit, siehe Trump Erfolge, beschlossen. Man glaubte nicht verantworten zu können jetzt China in dieser Situation diesen Status zugestehen zu können.
Ein anderer Grund war, dass auch die Amerikaner frühzeitig erklärt haben, dass sie China den Status nicht gewähren, die Japaner das erklärt haben und daraufhin hat sich jetzt auch relativ kurzfristig die EU Kommission dazu entschieden diesen Status China nicht zuzusprechen.
Was jetzt als Kompromiss versucht wird ist weg von diesem Status dieser Marktwirtschaft zu gehen sondern unabhängig auch von China generell zu sagen: Anti-Dumping Maßnahmen können weiterhin verhängt werden und zwar immer in diesen Fällen, in denen Staaten Dumping betreiben bestraft werden können. Wer betreibt Dumping? Immer dann wenn Staaten über Unternehmensbeteiligung, über Subventionen, die Vorzugsbehandlung von Einheimischen Unternehmen gegenüber Ausländern hier die freie Preisbildung verzerren. Das ist jetzt von der Kommission vorgeschlagen worden und ist noch im Abstimmungsprozess mit den Mitgliedsstaaten und dem Parlament. Man muss hier sagen, die EU hat hier wertvolle Zeit verstreichen lassen. Es gab immer wieder Arbeitssitzungen mit den Chinesen und man hat das bis auf den letzten Drücker laufen lassen. Am Ende war der Zeitdruck zu groß und man hat sich in dieser Gemengelage zu diesem Schritt entschieden.
Es wäre also theoretisch möglich, dass die USA den Status einer Marktwirtschaft anerkennen und die Europäer aber nicht?
Schmidt: Theoretisch wäre das möglich, ja. Es gab immer die Forderung, dass sich die Staaten untereinander absprechen damit nicht ein einzelnes Land vorprescht. Nacheinander haben die Staaten das jetzt verkündet, dass sie das als einzelne nationale Volkswirtschaften China den Status nicht zugestehen.
Gibt es kritische Stimmen innerhalb von China gegenüber dem Marktstatus?
Schmidt: Gut, das ist immer die Frage wie weit man das in dem System rausfinden kann, aber es ist eine klare Position für den Status einer Marktwirtschaft innerhalb von China. Was interessant ist sind die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der EU. Die Deutschen und die Skandinavier waren der ganzen Sache zunächst positiv eingestellt, sehr kritisch waren die Italiener und auch die Franzosen. Das Ganze ist allerdings noch offen, da die Meinungsbildung innerhalb der EU noch nicht abgeschlossen ist. Also innerhalb der EU 28 gibt es nach wie vor erhebliche Meinungsdifferenzen und meinem Eindruck nach sind diese noch nicht beigelegt worden.
Setzt China Empfehlungen der WTO um?
Schmidt: Ich habe mir Statistiken der compliance von WTO Regelungen angeschaut. Also inwiefern die Chinesen die Forderungen der WTO eigentlich umsetzen. Die setzen das zwar um, aber mit Verzögerungen und auch nur teilweiße. Wenn man sich die gesamten Fälle anschaut die gegen China bei der WTO eingereicht sind, da sind die Chinesen im Vergleich auch gar nicht so außergewöhnlich hoch. China ist da relativ im Durchschnitt und sie versprechen zwar die Forderungen umzusetzen, aber es dauert sehr lange. Damit verpufft der Effekt den sich die WTO wünscht. Es ist wie so oft mit China das international Versprechen gehalten werden es aber mit der Umsetzung im Land stark hapert.
Welche Optionen hat China jetzt?
Schmidt: China hat jetzt bereits eine entsprechende Klage eingereicht. Das ist im Einzelnen etwas kompliziert, da gibt es ein mehrstufiges Verfahren. Die Chinesen haben unmittelbar, nachdem der Termin verstrichen ist, am 11. Dezember die einzelnen Staaten, also die USA, Japan, die EU verklagt. Das muss jetzt geprüft werden und dieser Streit kann sich jahrelang hinziehen.
In Deutschland kritisiert vor allem die deutsche Stahlindustrie den Marktstatus, weil es unfaire Wettbewerbsbedingungen für China befürchtet. Sind diese Bedenken gerechtfertigt?
Schmidt: Da gibt es natürliche einzelne Industriezweige in Europa die mehr davon betroffen wären als andere. Da haben wir mit der Stahlindustrie einen Industriezweig in Europa der sehr wichtig ist. Die Stahlindustrie ist in der Tat durch die chinesischen Überkapazitäten stark betroffen und hier geht es um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen.
Eine Strategische Handelsfrage war auch gewesen wenn wir als Europäer hingehen und geben den Chinesen jetzt eigentlich automatisch diesen Status was haben wir dann eigentlich noch als Hebel in der Hand um die Chinesen dazu zu bringen die anderen vier Katalogpunkte umzusetzen? Man würde sich also eines Druckinstrumentes entledigen gegenüber China wenn dieser Automatismus einfach greifen würde.
Das Interview mit Dr. Dirk Schmidt von der Universität Trier führte Ceyhun Yakup Özkardes.